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Mittwoch, 24. März 2010

Quod licet - Sprichwörter, Zitate und Redensarten

Die interessantesten sind diejenigen, die sich gegenseitig widersprechen, denn sie beleuchten zwei Seiten derselben Situation oder zwei alternative Situationen, zwei immer wiederkehrende Erscheinungsformen eines mit dem menschlichen Leben untrennbar verbundenen Motivs und Bedingungshintergrundes. Am bekanntesten: Der frühe Vogel fängt den Wurm, aber erst die zweite Maus kriegt den Käse.

in cauda venenum - dulcis in fundo
Diese beiden Ausdrücke entsprechen unterschiedlichen Temperamenten. Es gibt Menschen, die, wenn sie Unannehmlickeiten meinen, ansprechen zu müssen, mit der Tür ins Haus fallen und erst zum Schluss wieder auf die angenehmen Dinge des Lebens zu sprechen kommen. Zu diesen Menschen gehöre zweifellos ich: dulcis in fundo. Auch Boccaccio hielt es so. Im Vorwort zum Dekameron schrieb er: " Dieser schreckensreiche Anfang soll euch nicht anders sein wie den Wanderern ein steiler und rauher Berg, jenseits dessen eine schöne und anmutige Ebene liegt, die ihnen um so wohlgefälliger scheint, je größer die Anstrengung des Hinauf- und Hinabgehens war." Es kann allerdings manchmal eine Weile dauern, bis die anmutige Ebene kommt.

Andere Menschen fangen ihre Jeremiaden mit süßen Worten an und schließen dann cum cauda venosa, zum Beispiel meine Schwester. Es ist, wie gesagt, eine Frage des Temperaments.

Interessant sind auch Sprichwörter, die sich ergänzen:
Qui tacet consentire videtur. Wer schweigt, scheint zu zustimmen, wobei das "scheint" nicht vergessen werden darf, denn Stille Wasser, die sind tief. Hunde die bellen, beißen nicht, oder weniger als die schweigsamen, die nicht zustimmen.

Schweigen ist bekanntlich Gold. Nicht immer!! Im Hause des Henkers und im Hause des Gehängten spricht man nicht über den Strang.

Silentium omnia bona continent, mala omnia loquacitas. Wer sich das wohl ausgedacht hat?


 Wir Deutschen heißen in den slawischen Sprachen so ähnlich wie die Stummen. Nemac ist z.B. im Serbischen der Deutsche und nemak der Stumme. Ich habe in Italien noch nie ein Sprichwort gehört, dass das Schweigen über das Reden stellt. Daran wirds wohl liegen, dass in Italien so viel geschwafelt wird. Es gibt aber auch ein italienisches Sprichwort, das unserem "Schweigen zur rechten Zeit übertrifft Beredsamkeit" in etwa entspricht: "Chi sa tacer all'occasione guadagna più che col parlare". Aber nur in etwa! Es reimt sich nicht, der Rhythmus fließt nicht mal richtig. Es hört sich holprig an, steht nur in den Sammlungen und man hört es nie. Und es passt zur Omertà und zum Duckmäusertum gegenüber der Mafia.

Plenus venter non studet libenter. Ein typisches Sprichwort aus dem Mittelalter. Merkwürdigerweise ist gereimtes Latein nie antikes Latein. Diesmal ist die Lage wirklich eindeutig. Man könnte nur dazu bemerken, dass man, wenn man erst mal Rentner oder Pensionär ist, einerseits mehr Zeit zum Studieren hat und andererseits manchmal auch anfängt, zuzunehmen

Interessant ist, dass es in allen Sprachen das Sprichwort "Gegensätze ziehen sich an" gibt. Es ist aber immer ein kalter, nüchterner Satz! Das entsprechende Sprichwort, das das Gegenteil behauptet, ist dagegen in allen Sprachen wohlklingend und reimt sich manchmal sogar: Birds of a feather flock together. Gleich und gleich gesellt sich gern. Chi si assomiglia, si piglia. Qui se ressemble, s'assemble. Similia similibus curentur, nein, Verzeihung, das gehört nicht hier her.

Ein besonders schönes Gegensatzpaar gibt es im Italienischen
Paese che vai usanza che trovi. Das haben wir im Deutschen auch: andere Länder, andere Sitten. Aber bei uns fehlt glaube ich das Sprichwort, das in der ganzen Welt dasselbe Dorf sieht und alle Unterschiede nur als Variationen ansieht: Tutto il mondo è paese. Oder kann es mir einer nennen?

Ein fauler Apfel kann einen ganzen Korb voll guter Äpfel verderben. Es gibt meines Wissens hierzu kein anonymes Sprichwort, dass durch ein Bild die Umkehrung dieses Verfallsprozesses darstellt. Aber es gibt ein Jesuswort, das interessanterweise auch einen mikrobiologischen Prozess zum Inhalt hat, sein Gleichnis vom Sauerteig, den er mit dem Himmelreich vergleicht. Merkwürdigerweise galt Sauerteig damals jedoch als Sinnbild des Bösen! War es kühne Ironie, die Jesus da zeigte? Ich weiß es nicht.


Quod licet Jovi, non licet bovi. 
Man könnte in diesem Wort nur die progressive Häufung von willkürlichen oder meritokratischen Privilegien sehen, die dann durch noblesse oblige ergänzt werden sollte, es ist aber vor allem der Schlüssel zur Doppelbödigkeit und erschließt auch das römische Verhältnis zu Ambiguität, Ambivalenz und Elastizität, denn es kennzeichnet vor allem die Haltung dessen, der zwar die Allgemeingültigkeit einer Regel befürwortet, für sich selbst und andere Auserwählte jedoch die Ausnahme von der Regel in Anspruch nehmen möchte. Die dieser mittelalterlichen Form zu Grunde liegende Sentenz wurde von Publius Terentius Afer überliefert: "Aliis si licet, tibi non licet". Man sollte bei diesem Sprichwort an den Gott Janus denken und daran, dass nicht immer eindeutig feststeht, wer Jupiter ist und wer der Ochse! Rom fängt mit einem von Ambiguität und Unwägbarkeit durchdrungenen Gründungsmythos an: sex vultures erscheinen zuerst! aber dann erscheinen duodecim! Ernst Jünger spricht in seinem Kriegstagebuch einmal mitfühlend den Schmerz gegenüber all dem an, wogegen man sich entscheidet, wenn man sich für etwas entscheidet und bemerkt dazu, dass gerade dann ein Gefühl der Identifikation angebracht ist, wie es die hinduistische Formel Ta twam asi ausdrückt. Das christliche Liebet eure Feinde ist auch ein Aspekt dieser Haltung, würde ich sagen. Im Moment der Entscheidung reduzieren sich die pluralen Alternativen meist zur Dualität, im Fall von Rom war das die Dichotomie Romolus oder Remus, die später als Urzelle der Gewaltenteilung wieder in den Kollegialconsuln auftauchte. Die Brutalität, die sich zwischen Romulus und Remus aufludt, entspricht der Uneindeutigkeit! Gerade das Fehlen von Eindeutigkeit führt zu Entladungen, die durch übermäßige Gewalttätigkeit erschrecken. Die Aufladung erfolgt, weil es sich nicht um einen Zusammenstoß zwischen Gut und Böse handelt, sondern sich zwei gleichermaßen gute Gestaltungsabsichten gegenüberstehen, die nicht miteinander vereinbar sind und einander auch nicht völlig verstehen können. Wer beide versteht und für keinen von beiden Partei ergreifen möchte und statt dessen lieber Distanz bewahrt, wird schnell von beiden angefeindet werden, denn dass beide in ihm einen Vermittler sehen ist unwahrscheinlich, weil beide davon überzeugt sind, dass es nichts zu vermitteln gibt. Die fatale unversöhnliche Feindschaft zwischen zwei Parteinungen, die beide das Gute wollen, scheint die Bibel zu übersehen. In der Baghavatgita - die wie die römische Mythologie indoeuropäischen Ursprungs ist - ist sie sogar eins der zentralen Themen. Ob in dieser Schrift wohl auch Zwillinge vorkommen?

Castor und Pollux genaßen große Verehrung und repräsentierten - wie sollte es anders sein - Sterblichkeit und Unsterblichkeit. Der Sage nach hatten die beiden Dioskuren (=Zeussöhne), ganz am Anfang dieser damals schon die Gewaltenteilung liebenden Republik den Römern bei ihrer Entscheidungsschlacht am Regillus lacus gegen die Latiner durch persönliches Eingreifen beigestanden. Das glaubte man damals, so wie wir heute immer noch glauben, das Jesus es gut mit uns meinte. Besonders interessant dabei ist, dass die Dioskuren (Schutzgötter der Reiterei und der Pferde) von den Latinern sehr verehrt wurden! Sie wurden sozusagen durch ein Versprechen des römischen Diktators (der in dieser Notlage ins Amt gekommen war) abgeworben! Exoratio hieß die Abwerbung feindlicher Götter. Der ihnen geweihte Tempel in Rom war die Einlösung eines Versprechens dieser Abwerbung wegen. Es sind noch drei Säulen davon übrig (aus der Zeit von Augustus, als er ein halbes Jahrtausend später einen Marmortempel daraus machte). Die außerordentliche Aufmerksamkeit, die das Zwillingswesen in Rom damals genaß, kommt auch durch das Wort "vopiscus" zum Ausdruck, mit dem der überlebende bezeichnet wurde, wenn einer der beiden Zwillinge bei der Geburt starb. Auf das Bild klicken!


Diese drei Säulen sind also Säulen eines Tempels, deren Gottheit ein Zwillingspaar war, dass sich mit Pferden befasste! Also mit einem Zweig der Zivilisation, der eine besondere Eigenheit der Indoeuropäer darstellt, die die Pferdezucht wahrscheinlich etwa 3000 Jahre bevor in Rom Ställe standen und Tempel gebaut wurden, im Gebiet der Ukraine entwickelten.

Links im Hintergrund ist ein Fragment eines runden Tempels zu sehen. Aedes Vestae, der Vestatempel, wo das heilige Herdfeuer brannte, das Aenaeas aus Troja mitgebracht hatte und das die hochangesehenen keuschen Vestalinnen nie ausgehen lassen durften. Dort im Vestatempel wurden auch wichtige Dokumente verwahrt, denn die Vestalinnen waren Vertrauenspersonen, die als Notarinnen tätig waren. Zum Beispiel Caesars Testament wurde dort aufbewahrt und er konnte dadurch nach seiner Ermordung sozusagen immer noch Befehle geben. Zumindest wenn ein genialer Erbe wie Augustus vorhanden war.

Die Vestalinnen wurden lebendig begraben, wenn sie nicht keusch blieben. Auch in dieser Hinsicht beginnt Roms Geschichte der Sage nach mit einem Frevel, denn die Mutter von R&R war eine Vestalin. Der Kriegsgott persönlich soll sie geschwängert haben.

Noch weiter hinten links ist der Titusbogen zu sehen, auf dessen einer innerer Wand der Sieg über die Juden dargestellt ist, bei dem der Tempel von Jerusalem zerstört wurde. Ein Pyrrhussieg. Vom damaligen Rom sind fast nur noch Ruinen vorhanden, und die Sprache wird nur noch auf einem einzigen der Hügel Roms fließend gesprochen und als offizielle Verkehrssprache benutzt, während in Jerusalem sogar im Kindergarten hebräisch lesen und schreiben gelernt wird.
Allerdings hatte die jüdische Ausdauer einen hohen Preis, denn es gibt auch heute noch 5 mal mehr Italiener als Juden.
Immerhin ist Rom eine der ältesten jüdischen Gemeinden. Man sagt, nur wer seit 7 Generationen in Rom lebt, ist ein authentischer Römer, und ein Drittel der Inhaber dieses Autochtonitätszertifikats soll jüdischer Herkunft sein. Und das Gebiet des ehemaligen Ghettos ist eins der schönsten in Rom. Bitte auf das Bild klicken.



CONTRARIA SVNT COMPLEMENTA!

Hier ist eine INTERNATIONALE SPRICHWORTSAMMLUNG

Und hier Sprichwörter in statu nascendi

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