Stationen

Donnerstag, 1. April 2010

Blumen für Beate Klarsfeld

Heinrich Böll schickte ihr Blumen, Günter Grass mokierte sich öffentlich über die Blumen. Lutherisch erzogen, mit einem französischen Juden verheiratet, ohrfeigte Beate Klarsfeld einst Kurt Georg Kiesinger bei einem CDU-Parteitag, als dieser Bundeskanzler war, wegen seiner früheren NSDAP-Mitgliedschaft.


Heute wundert man sich vielleicht, dass eine bloße NSDAP-Mitgliedschaft so große Ablehnung hervorrufen konnte, zumal Herbert Wehner ja einst KPD-Mitglied gewesen war, was viel weniger Bestürzung hervorrief, obwohl Wehner sogar eine Führungsposition innegehabt hatte, denn er war während der NS-Zeit lange im Exil, und das ausgerechnet in Moskau, wo er Mitglied des Zentralkomitees der KPD wurde. Und er hatte in seiner Jugend sogar für den späteren stalinistischen DDR-Diktator Ulbricht gearbeitet. Wehner wirkte undurchsichtig. Wenn er an seiner Pfeife kaute, sah es immer aus, als versteckte er sich dahinter. Ich war damals nur ein Kind, und doch teilt sich so etwas atmosphärisch mit. Und mittlerweile weiß man, dass er tatsächlich in Moskau eigene Genossen denunzierte. Eine zwiespältige Person; er hat das große Verdienst, das Godesberger Programm innerparteilich durchgesetzt zu haben.


Wehner blieb aber eben immer nur ein Koordinator in der zweiten Reihe, er hätte nie gewagt, für ein Amt zu kandidieren, das das deutsche Prestige hätte gefährden können. Also zog er sich das Büßerhemd über und bekleidete fast immer nur stellvertretende Funktionen, obwohl er der große Stratege der SPD war.


Kiesinger wirkte nie undurchsichtig auf mich. Aber man traute jemandem, der in seiner Jugend in Hitlers Partei militiert hatte, eben nicht unbedingt, auch wenn hoi polloi genau das in einem Maße getan hatten, dass es zu Aufnahmestopps gekommen war und man sich fragen musste, wer eigentlich nicht in dieser Partei gewesen war und trotzdem überlebt hatte. Wenn man jemandem, der in seiner Jugend in Hitlers Partei militiert hatte, nicht trauen wollte, dann aus verschiedenen Gründen: sei es, weil man den Gedanken, er habe die Mitgliedschaft aus Berechnung wie eine Maske getragen, beunruhigend fand, sei es, weil man seine Beteuerung "nicht aus Überzeugung, nicht aus Opportunismus" nicht glauben konnte oder seine lapidare, eigentlich aufrichtige - meines Erachtens glaubwürdige - Erklärung, wichtige Ziele des Nationalsozialismus seien ihm damals eben nicht verwerflich vorgekommen (Beseitigung der Not) nicht als ausreichende Entlastung gelten lassen wollte. Es waren Überempfindlichkeiten, verständliche, vorsichtige Überreaktionen einer jungen Republik, die als gebranntes Kind geboren war.


Dass ein ehemaliges NSDAP-Mitglied Bundeskanzler werden konnte, brachte nicht nur Beate Klarsfeld aus der Fassung. Karl Jaspers ist wirklich kein Trottel und auch nicht irgendwer, und er und seine Frau gaben sogar ihre Pässe ab und wurden Schweizer Staatsbürger, so groß war ihr Unbehagen. Man muss bedenken, dass Jaspers Frau Jüdin war, und daher allein die ehemalige NSDAP-Mitgliedschaft eines Bundeskanzlers Entsetzen in ihr wecken musste. Karl Jaspers war nicht nur einer der größten Philosophen, die Deutschland je hatte, sondern auch einer der bisher größten Vertreter der Psychiatrie. Er schrieb nach dem Krieg die Schrift "Die Schuldfrage", die auch heute noch so große Gültigkeit - und leider Aktualität, inzwischen auch für andere Nationen - besitzt, dass sie zur Pflichtlektüre nicht nur in deutschen Schulen gehören müsste. 


Später machte Beate Klarsfeld Klaus Barbie ausfindig, der dadurch der Justiz übergeben werden konnte und verurteilt wurde. Klaus Barbie besaß nicht nur die NSDAP-Mitgliedschaft. Er ließ in Belgien Jean Améry foltern. Später wurde er Chef der Gestapo in Lyon und war wegen seiner Grausamkeit als "Schlächter von Lyon" bekannt, weil er katholische Pfarrer mit Elektroschocks quälte, Kinder hungern ließ, Frauen bis zur Bewusstlosigkeit prügelte und zu Geschlechtsverkehr mit Hunden zwang. So jemand kann sich nicht einmal herausreden, er habe ja nur Befehle ausgeführt.


Barbie ist einer derjenigen, an denen man die nahtlose Einheit von Verbrecher und überzeugtem NS-Funktionär beobachten kann. Diejenigen, die sich auch heute noch winden und in ihm jemanden sehen möchten, vor dem gewiss auch Hitler gegraut hätte, "wenn er davon erfahren hätte" und die in den mit Barbie verknüpften Ereignissen nur dafür Zeichen sehen möchten, dass "damals eben manches aus dem Ruder lief", weshalb Hitler ja gewählt wurde, mache ich darauf aufmerksam, dass Hitler es sogar verstand, Leute durch Ermordung auszuschalten - zum Beispiel Strasser und all die anderen im Juni 34 - und dass Leute wie Barbie von ihm nie etwas zu fürchten hatten.


Man muss sich, um sich ein wirklich vollständiges Bild des damaligen Geschehens machen zu können, leider vergegenwärtigen, dass Barbie fast so etwas wie menschliche Unzulänglichkeit und Disziplinlosigkeit für sich beanspruchen kann, der gegenüber Himmlers und Heydrichs kalte Festlegung und Befolgung von Regeln als das noch Schlimmere angesehen werden könnte. Und das Pflichtbewusstsein eines Höss, der in seinem Vernichtungslager keinen Sadismus duldete, ist eine besonders perverse Variante des Kantschen moralischen Imperativs, der ja eigentlich den edlen Kern des Preussentums darstellt. Selbst Dante wüsste bei diesen Dingen wohl nicht mehr, wie er eine Abstufung vornehmen sollte und wen er wo in seinem Inferno platzieren sollte.


Übrigens ist Heydrich ein besonders tragischer Fall, denn es scheint so gut wie erwiesen zu sein, dass sein Vater Jude war und er selbst in seiner Jugend als Jude gehänselt wurde. Ausgerechnet Heydrich, der Chefmanager der Endlösung. Auch Torquemada soll Jude gewesen sein, Valeriu Marcu war davon überzeugt. Und was soll man von Noam Chomskys Äußerungen zur Hamas halten? Was von Otto Weininger? Auch Torquemada, Weininger, Heydrich (eigentlich Süß) und Chomsky sind Wegmarken einer jüdischen Tradition.


Reinhard Heydrich - Der Henker aus Halle


Barbie war auch verantwortlich für die Deportierung der Kinder von Izieu, wobei es sich leider um Befehlsausführung handelte und nicht um den privaten Irrsinn eines Außenseiters. Er verband Arbeit und Spiel, Pflicht und Lust. Er stieß beim Einsatz auf die angenehmen Seiten des Lebens.


Beate Klarfeld

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