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Sonntag, 4. April 2010

Widerstreitende Wertesystheme



Rom fängt mit einem von Ambiguität und Unwägbarkeit durchdrungenen Gründungsmythos an: sex vultures erscheinen zuerst! aber dann erscheinen duodecim! Ernst Jünger spricht in seinem Kriegstagebuch einmal mitfühlend den Schmerz gegenüber all dem an, wogegen man sich entscheidet, wenn man sich für etwas entscheidet und bemerkt dazu, dass gerade dann ein Gefühl der Identifikation angebracht ist, wie es die hinduistische Formel Ta twam asi ausdrückt. Das christliche Liebet eure Feinde ist auch ein Aspekt dieser Haltung, würde ich sagen. Im Moment der Entscheidung reduzieren sich die pluralen Alternativen meist zur Dualität, im Fall von Rom war das die Dichotomie Romolus oder Remus, die später als Urzelle der Gewaltenteilung wieder in den Kollegialconsuln auftauchte. Die Brutalität, die sich zwischen Romulus und Remus aufludt, entspricht der Uneindeutigkeit! Gerade das Fehlen von Eindeutigkeit führt zu Entladungen, die durch übermäßige Gewalttätigkeit erschrecken. Die Aufladung erfolgt, weil es sich nicht um einen Zusammenstoß zwischen Gut und Böse handelt, sondern sich zwei gleichermaßen gute Gestaltungsabsichten gegenüberstehen, die nicht miteinander vereinbar sind und einander auch nicht völlig verstehen können. Wer beide versteht und für keinen von beiden Partei ergreifen möchte und statt dessen lieber Distanz bewahrt, wird schnell von beiden angefeindet werden, denn dass beide in ihm einen Vermittler sehen ist unwahrscheinlich, weil beide davon überzeugt sind, dass es nichts zu vermitteln gibt. Die fatale unversöhnliche Feindschaft zwischen zwei Parteiungen, die beide das Gute wollen, scheint die Bibel zu übersehen. In der Bhagavad Gita - die wie die römische Mythologie indoeuropäischen Ursprungs ist - ist sie sogar eins der zentralen Themen. Ob in dieser Schrift wohl auch Zwillinge vorkommen?


Eine der Stärken der Bibel besteht vielleicht darin, dass ihre Wertordnung sie auf einem Auge blind macht und sie daher unerbittlicher, intoleranter und unbeirrbarer zwischen Gut und Schlecht unterscheidet. Der lähmende Fatalismus Indiens ist in Europa völlig unbekannt. Der sinnliche Mensch bejaht das Leben, der Mystiker verneint es, der Christ bejaht es und verneint es zugleich.


Der große Historiker ähnelt dem Tragödienautor, denn er versteht es, die Ideale der geschichtlichen Verlierer angemessen hervorzuheben.

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