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Samstag, 8. Mai 2010

Wem nützt es? Niemand!

Die Attacke gegen die katholische Kirche und speziell gegen Benedikt hat von einem der GIPS-Länder - Griechenland, Italien, Portugal, Spanien - aus gesehen noch einen wichtigen zusätzlichen Aspekt. Dass uns niemals jemand für den Verzicht auf die Deutsche Mark dankbar sein würde, war von vorherein klar. So hart wie die DM wird in diesen Ländern aber auch oft die markige Unerschütterlichkeit und empathische Strenge empfunden, mit der Benedikt die Wahrheit auszusprechen pflegt. "Pastore tedesco" ist nicht nur die italienische Übersetzung von "deutscher Pastor", sondern auch von "deutscher Schäferhund".

Kurz nach der Papstwahl wurde mir ein Witz erzählt. Um ihn richtig zu verstehen, muss man wissen, dass in Italien Papst Johannes XXIII dafür berühmt ist, dass er einmal in einer warmherzigen Rede sagte "Wenn ihr nach Hause kommt, gebt eurem Kind ein Küsschen und sagt ihm, es komme vom Papst!"
Als nun Ratzinger Papst wurde, erzählte man sich wenige Tage später einen Witz (mir wurde er in der jüdischen Gemeinde erzählt, wo man grundsätzlich sehr hellhörig über Äußerungen von Repräsentanten aller Religionen wacht und besonders dann, wenn es deutsche Repräsentanten sind). Der Witz bestand in einem einzigen Satz: "Wenn ihr heim kommt, gebt eurem Kind eine Ohrfeige, und sagt ihm, die käme vom Papst." 

Die Attacke gegen die katholische Kirche erscheint in diesem Licht nicht nur als Attacke gegen die katholische Kirche. Bei inhaltlich identischer Sachlage wäre diese Attacke - davon bin ich überzeugt - bei keinem Papst so heftig, wie sie es bei einem deutschen Papst jetzt ist, der schon als Kardinal mit der Bezeichnung "Rottweiler Gottes" verspottet wurde. Und diese Heftigkeit hat leider andere Gründe als Benedikts eklatanten Mangel an diplomatischem Savoir faire. Jeder Mensch mit internationaler Erfahrung, egal zu welcher Nation er gehört, weiß, dass Deutschland gerade bei besonders seriösen Menschen überall in der Welt immer noch den Ruf der Verlässlichkeit genießt. Trotz Auschwitz, und obwohl auch in Deutschland einige peinliche Fälle von Korruption ans Licht gekommen sind, wird von Deutschen im Prinzip mehr als von andern Einhaltung von Regeln erwartet, und sie wird oft sogar von denen belächelt, die sie begrüßen.

Gerade bei Menschen, die zählen, hat Deutschland immer noch den Ruf von rigider Verlässlichkeit, Ehrlichkeit und Gewissenhaftigkeit. Die Gefühle gegenüber diesem Bild sind oft eine ambivalente Mischung aus Anerkennung und Unbehagen, wie jeder Mensch mit großer internationaler Erfahrung bestätigen kann. Und wer diese Erfahrung hat, weiß auch, dass diejenigen, die uns nicht mögen, uns kaum je Unzuverlässigkeit ankreiden, sondern gegebenenfalls ein Zuviel an Zuverlässigkeit beanstanden.

Entsprechend schlimm ist daher der Gesichtsverlust, wenn Deutschland sich auf Grund widriger Umstände im Eigeninteresse auf einmal nonchalant gibt, egal, ob es sich um die Aufweichung der Maastrichtkriterien handelt und Hans Eichel plötzlich so redet wie vorher nur Berlusconi, oder ob der Papst auf einmal kleinlaut wird.

Im Schatten der Offensive, die gegen die katholische Kirche gerichtet ist, wird hier auch eine Offensive gegen Benedikt als Besipiel für rigorose, rigide, unbeirrbare intellektuelle Redlichkeit geführt. Die Tatsache, dass man sich dieser Tage gerade in Deutschland besonders heftig von Benedikt distanziert und sich im Wir-sind-nicht.mehr-Papst-Effekt treiben lässt, zeigt, dass die Attacke ihren Zweck erfüllt hat.


Karl Popper hat ebenfalls - mit laizistischen, besseren, logisch überzeugenderen Argumenten - die Diktatur des Relativismus bekämpft. Ratzinger bekämpft diese Diktatur - zum Teil auf Poppers Argumenten aufbauend - seiner Rolle entsprechend mit ganz anderen Mitteln, die nur ihm zur Verfügung stehen, und die er so klug nutzt, wie es möglich ist. In dieser Hinsicht leistet er wirklich gute Arbeit, Hut ab. Und seine Diagnose ist völlig richtig, genauso wie Poppers Diagnose es war, mit dem Unterschied, dass sich die Lage gegenüber Poppers Zeit noch verschlimmert hat. Natürlich wird Benedikt sofort spöttisch vorgeworfen, er sei ein Diktator der Wahrheit oder - für feinere Ohren - er sei kein Vertreter des platonischen Dialogs, sondern ein Beispiel für platonischen Monolog.

Es ist nicht zu fassen. Dabei ist Deutschland noch eins der Länder, in denen man es mit der Wahrheit genauer nimmt als anderswo, insofern man immerhin in den meisten Fällen wenigstens noch einigermaßen selbstverständlich davon ausgeht, dass es so etwas wie Wahrheit überhaupt gibt. In Italien hört man - vor allem seitens der Linken - schon seit langem jeden Tag von der Wahrheit in der Mehrzahl reden: "deine Wahrheit", "seine Wahrheit", "meine Wahrheit", und dieses Gerede beansprucht auch noch ein demokratisches Selbstverständnis für sich. Im besten Fall sollen diese "Wahrheiten" alle gleichzeitig gültig sein, solange man nicht mit dem Ellenbogen oder Schlimmerem auf die eigene pocht. Wenn man wagt zu sagen, dass es nur eine Wahrheit gibt, und man nur versuchen kann, die eigenen subjektiven Ansichten - die sind es schließlich, die tatsächlich Anspruch auf Plural haben - durch aufmerksame Argumentation dieser einen, immer flüchtigen Wahrheit zu nähern, muss man in vielen Situationen allen Ernstes damit rechnen, als Faschist abgestempelt zu werden. Ratzinger hat völlig recht, wenn er auf die "Diktatur des Relativismus" hinweist. Aber die Menschen geben gerne dem Wetterfrosch die Schuld, wenn das Wetter schlecht ist. Botschafter der Wahrheit sind meistens unbeliebt.


Dass Ratzinger nicht gerne dialogiert, ist ein besonders ungerechter Vorwurf, denn es mangelt vor allem an Dialogpartnern, die dieselbe intellektuelle Redlichkeit und denselben gelassenen Stolz der Wahrhaftigkeit wie Benedikt besitzen und in ihrem eigenen Wirkungsbereich so kompetent sind wie Benedikt in seinem. Schön wärs, Zwiegespräche zwischen herausragenden Vertretern anderer Weltanschauungen und Benedikt nachlesen zu können. Zwei solcher Zwiegespräche gibt es immerhin: als Ratzinger noch Kardinal war, hat er mal eine Podiumsdiskussion mit dem Atheisten und Sozialisten Flores d´Arcais geführt, die man nachlesen kann. Schade, dass es keine solche Dialogschrift von Ratzinger und Popper gibt! Aber ein persönlicher Freund Poppers, der Philosoph Marcello Pera, hat ein dialoghisierendes Buch mit Ratzinger geschrieben. Jeder schrieb unabhänig einen Teil, und beide antworteten dann noch, nachdem sie den Teil des anderen gelesen hatten. Auch wenn man mit beiden nicht völlig übereinstimmt, muss man die Lauterkeit dieser Auseinandersetzungen beachten und zur Kenntnis nehmen, wie selten so ein Gedankenaustausch ist. Und gerade das gute gründliche Denken ist es, zu dem Europa zurückfinden müsste.

Es gibt nicht viele Menschen, die geeignete Diskussionspartner für Ratzinger sein könnten, diese Feststellung muss ich leider, leider treffen, und ich bin mir dabei natürlich bewusst, dass ich damit sozusagen selber als "Diktator der Wahrheit" auftrete, weil ich "im Vorhinein" eine Auswahl treffe. Paul Schulz, Piergiorgio Odifreddi und vor allem Massimo Cacciari währen einen Dialog wert! Aber es sind alle drei Atheisten. Wichtiger wäre es, einen herausragenden Imam oder Ayatollah an die Strippe zu bekommen.

Jedenfalls hat Ratzinger sowohl mit D´Arcais als mit Pera ein Dialogbuch veröffentlicht. Wer macht so etwas sonst noch außer Ratzinger? Weshalb attackiert man gerade ihn, der immer zum Dialog bereit ist und vorbildlich argumentiert, mit dem Vorwurf, er sei ein "Diktator der Wahrheit"? Weshalb will man gerade ihn für Pädophilie verantwortlich machen, wo gerade er das Thema Pädophilie als ältester Kardinal anlässlich der Papstwahl vor dem Kardinalskollegium in einer aufsehen erregenden Rede angesprochen hatte und dadurch zu einem zentralen Kriterium machte? Michael Wolffsohns Kritik ist leider berechtigt. Im kleinen Kreis und vertrauter Umgebung gilt Ratzinger als umgänglich und liebenswert, aber für Komunikation im Großraum und Diplomatie fehlt ihm das Talent.

Es ist nicht zu fassen. Gerade eben hat man noch Lobeshymnen auf eine Kirche angestimmt, der es gelungen war, eine Figur wie Woytila hervorzubringen und in seinen Händen ein Apparat zu sein, der in der Lage war, das Sowjetreich in einer Zermürbungsstrategie entscheidend zu schwächen, und jetzt, wo dieselbe Kirche im hedonistischen Gegenreich des Sowjetreichs genauso konsequent den Finger in die Wunden legt, bricht man eine beispiellose Hetzkampagne vom Zaun, und alles, was Woytila und Ratzinger zusammen geleistet haben - es ist unglaublich viel - ist auf einmal vergessen und weicht einem ungezügelten Wunsch nach globaler Verurteilung.

Ich habe große Achtung vor Moralaposteln, die sich bemühen, ihrem eigenen Anspruch zu genügen. Aus diesem Grund hege ich Sympatien für sehr unterschiedliche Leute, die sich untereinander leider manchmal nicht ausstehen können, und obgleich ich deren Ansichten oft sogar selber bekämpfe. Unter anderm gehört meine Sympatie sogar jemandem wieWojziech Jaruzelski. Zumindest machte er auf mich, als Enzo Biagi ihn interviewte, den Eindruck einer tragischen Figur, die innerhalb der historischen Lage Respekt verdiente (was in Wikipedia mittlerweile zu lesen ist, passt allerdings nicht alles dazu; ich muss mein Urteil eventuell noch revidieren).
Aber vor allem Peter Ustinov, Ephraim Kishon und Henryk Broder gilt meine Sympatie. Aber eben auch der unsäglichen (Broder hat recht, aber was soll der Grimm) Felicia Langer, die mit einer ebenfalls alten Dame, deren unvergleichliche Sachertorten ich einst kennenlernte, durch deutsche Gymnasien getingelt ist, um den jungen Menschen an Hand eigener Erfahrungen zu erzählen, wie Menschen grausam zu andern Menschen sein können. Meine befreundete Sachertortenbäckerin erzählte von Nazideutschland, Felicia Langer von Israel.

Es ist schwer zu sein a Jid.

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