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Dienstag, 14. Dezember 2010

"der erste Deutsche"

http://www.zdf.de/ZDFmediathek/hauptnavigation/sendung-verpasst/#/beitrag/video/1076670/Der-Neandertaler-Code



Das deutsche Fernsehen und generell die deutsche Publizistik achtet sehr sorgfältig darauf, alle naslang zu betonen, dass es "die Deutschen" jahrhundertelang gar nicht gab, dass es auch nach Karl dem Großen noch eines fast 1000 Jahre dauernden kulturellen Evolutionsprozesses bedurfte, bis die Deutschen eine Nation waren, und vor allem, dass Arminius der Cherusker kein Deutscher war. Was  ist damit gewonnen? Nichts, also wirklich überhaupt nichts. Dass Arminius ein Cherusker war und kein Deutscher, wussten auch unsere deutschtümelnden Urgroßväter, aber seine waldbewohnenden Verwandten waren trotzdem unsere kulturellen Vorfahren, oder Vorläufer - falls letzterer Ausdruck politisch korrekter sein sollte. Und die Tatsache, dass Luthers Bauern, denen er aufs Maul schaute, noch keine Kartoffeln fraßen, macht sie nicht zu Aliens aus der Sicht heutiger Deutscher. Außerdem waren die Germanen zweifellos nicht nur kulturell und linguistisch unsere Verwandten und Vorfahren, sondern auch in biologischer Hinsicht! Es gibt in Germanien zwar keine Marmorskulpturen, die die große physiognomische Ähnlichkeit des Typus beweisen könnten - wie dies in Italien möglich ist -, aber es gibt die Moorleichen  und seit den 70-er Jahren gibt es die Technik der kriminalistischen Gesichtsrekonstruktion. Und der Befund ist eindeutig.

http://de.wikipedia.org/wiki/Moorleiche_von_Windeby_I

Außerdem braucht man nur einen Blick auf die folgende Vokabelliste zu werfen, um sofort zu erkennen, wie sehr uns die Germanen im Vergleich zu den Römern ähneln mussten. Und das Resultat bleibt sogar dasselbe, wenn man statt der lateinischen, italienische Wörter daneben schreibt.

http://de.wikipedia.org/wiki/Krimgotische_Sprache

Unabhängig davon hat der Humangenetiker Luigi Cavalli-Sforza bewiesen, dass die biogenetische Verbreitung und die linguistische parallel verlaufen. Dennoch herrscht nach wie vor eine seit 1968 in der Historiographie verordnete heuchlerische Schweigsamkeit, die Angst davor hat, unsere Geschichte und Vorgeschichte tatsächlich als unsere anzusehen.

Das Drollige, das mir fast schon wieder unheimlich ist, ist, dass wenn die neuesten Erkenntnisse über die DNA des Neandertalers angekündigt werden, kein Mensch ideologische und - was noch erstaunlicher ist - nicht einmal wissenschaftliche Vorbehalte hat, den Neandertaler als "ersten Deutschen" zu bezeichnen.

Nicht zu fassen. Wir sind Masochisten, kein Zweifel. Auf jede Demütigung reagieren wir mit Überanpassung, um dann irgendwann, wenn wir es nicht mehr aushalten, überzuschnappen und ins andere Extrem zu fallen. Schon von Friedrich Barbarossa hieß es, er sei ein Dulder gewesen, dessen Wüten, wenn ihm erst einmal der Kragen geplatzt war, nicht mehr zu besänftigen war - di ira lenta, ma implacabile.

http://www.zdf.de/ZDFmediathek/beitrag/video/718370/Kampf-um-Germanien---Teil-1

Besonders lächerlich ist außerdem, dass jedesmal, wenn ein römischer Geschichtsschreiber vorgestellt wird, betont wird, dass dessen Darstellung "nicht objektiv" sei. Nun, das gilt also wirklich für alle Geschichtsschreiber und in jeder Epoche, einschließlich der unseren!

Wenn man aber die römischen Geschichtsschreiber liest, kann man feststellen, dass sie 1. kein Hehl aus ihrem politischen Standpunkt machen und ihn korrekterweise durch eine grundsätzliche Erklärung und Stellungnahme zu Beginn ihrer Schriften definieren, was viel besser ist als die heute gängige mystifizierende Pseudoobjektivität und 2. dass bei Schriftstellern wie Livius und Tacitus, ja selbst bei Caesar die Bemühung um möglichst objektive und gleichzeitig freimütige Darstellung so augenfällig ist, dass man sich wünschen würde, es gäbe heutzutage mehr Historiker, die mit ebensoviel Unbefangenheit über die Geschehnisse schreiben. Statt dessen herrscht ein erbärmliches Mittelmaß. Und das nicht nur in Deutschland!! Kein Zweifel, als Ernst Jünger kurz nach dem Krieg zu Carl Schmitt - in einer Bemerkung über Toynbee - sagte, die Rekrutierung passender Geschichtsphilosophen sei jetzt vielleicht sogar wichtiger als die von Kernphysikern und Raketentechnikern, irrte er sich nicht.

Übrigens hatten die "Italiener" schon Marmorbrücken, als "wir" noch zwischen den germanischen Urwäldern lebten. Man merkt es heute noch an der Anziehungskraft, die dunkle Wälder auf uns Deutsche ausüben. Bismarck hatte noch Bäume umarmt, Caprivi ließ die Bäume vor dem Kanzleramt fällen! "Per un po' di luce", sagte er wortwörtlich. Ein junger Mann, der ohne Unterkunft ist, sucht sich in Italien sofort eine Brücke. In Deutschland sucht er sich spontan, tapfer und romantisch einen Baum, in der Hoffnung, dass es nicht regnen wird oder das Blätterdach ihn tatsächlich schützen werde.

Dass in der Walhalla sogar eine Gedenktafel für Gaius Julius Civilis steht, ist andererseits auch wieder lächerlich. Ich finde das Herrmannsdenkmal dennoch rührend, da drücke ich gerne ein Auge zu. Aber Walhalla ist gar zu sehr eine Geschmacklosigkeit, tut mir leid. Ach, es ist alles so unausgegoren und verquast.... und nicht nur bei den bayrischen Ludwigs.

Aber so ist es nun einmal, und es ist ja gut gemeint, wenn dort jetzt auf einmal auch Heinrich Heine aufgestellt wird. Es gibt wahrlich schlimmeres, und es wäre schön, wenn die Friedenszeit der letzten 65 Jahre nie enden müsste in Europa. Wer weiß. wie lange wir's noch so gut haben werden.

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