Stationen

Samstag, 5. Februar 2011

Atheismus



Wer in der Sonne kämpft, ein Sohn der Erde,
und feurig geißelt das Gespann der Pferde,
wer brünstig ringt nach eines Zieles Ferne,
von Staub umwölkt, wie glaubte der die Sterne?

Doch das Gespann erlahmt, die Pfade dunkeln.
Die ewgen Lichter fangen an zu funkeln.
Die heiligen Gesetze werden sichtbar.
Das Kampfgeschrei verstummt. Der Tag ist richtbar.

http://www.ibka.org

http://www.junge-atheisten.de

http://www.buskampagne.de

http://de.wikipedia.org/wiki/Atheismus

Es sieht zunächst alles sehr vernünftig aus. Aber Vernunft kommt von Vernehmen und nicht vom Gescheitsein, und der Atheismus enthält ein Potential der Zergliederung, das mit dem der Dodekaphonie vergleichbar ist, die ebenfalls die Wirklichkeit mit rationalistischer Abstraktion und Relativierung verwechselt und die anthropologische Phänomenologie außer Acht lässt und so die Rechnung ohne den Wirt macht.

Advocatus Diaboli

Wenn ich sage, "Nur Gott ist gerecht", sage ich genau dasselbe, wie wenn ich sage, dass Menschen nicht wirklich gerecht sein können. Aber die Feststellung, dass uns niemand gerecht werden kann (und selbst die Liebe nur unter der Bedingung der Unzulänglichkeit möglich ist), richtet nichts aus, außer entwappnender Zergliederung, Desorientierung, Entzauberung, Verarmung, Verstellung und Hemmung, während die Feststellung, dass nur Gott gerecht ist, die Wirklichkeit mit einer Metapher ausstattet und festzuhalten vermag und uns einen guten Maßstab in die Hand legt.

Auf diese maßstabsgerechte Haltung ist die Entscheidung der katholischen Kirche zurückzuführen, als die eigentlich angemessene Zelebrationsrichtung diejenige anzusehen, bei der der Priester während der Messe nicht der Gemeinde zugewandt ist, sondern der Gemeinde den Rücken zuwendet und, der Gemeinde vorstehend, dem Altar zugewandt ist.

Nichts ist wichtiger, als das rechte Maß. Nichts aber ist seltener anzutreffen heutzutage als die richtigen Proportionen. Der Gedanke, dass Meister Eckhart und der Buddhismus eine höhere Stufe der religiösen Entwicklung darstellen und eine Fortsetzung des Fortschrittes darstellen, der sich vom antropomorphen Polytheismus der Antike und vom Monotheismus der jerusalemistischen Tradition fortbewegt, entspricht unserem westlichen linearen Zeitbegriff und Fortschrittsdenken. Und der Gedanke, das Göttliche (oder "Göttliche") im Menschen selbst zu suchen - wie es Eckhart und der Buddhismus tun - ist ein fruchtbarer Gedanke. Aber es hat alles seine zwei Seiten. Der Vorteil des "externen" und "excelsen" Monotheismus bleibt der Antianthropozentrismus dieses Entwurfs, und die Tatsache, dass der monotheistische Gott als kollektives, von unseren Spiegelneuronen projektiertes Hologramm zum Trainer unserer empathischen Fähigkeiten wird, ist das eigentliche Kontinuum der jerusalemistischen kulturgeschichtlichen Tradition.


Der Atheismus ist eine gute Übung - besonder für die, die sich etwas darauf einbilden, nach Gottes Bild geschaffen worden zu sein, statt sich an das Gebot zu halten, sich kein Bildnis zu machen. Gerade in dieser vermeintlichen biblischen Widersprüchlichkeit liegt übrigens die Grandiosität jedes religiösen Daseinsentwurfes: er vermag Realismus nicht zu definieren, aber er fußt darauf.

Aber man soll sich nicht zuviel vom Atheismus versprechen und nicht zuviel deswegen zugutehalten. Es gibt viele große Männer unter den Atheisten, aber wahrscheinlich keinen einzigen großen Mann unter den militanten Atheisten. Sind Woody Allen und Bob Dylan militante Atheisten? Ich weiß es nicht. Juden sind sowieso eine Kategorie per se ipsam, gerade, wenn es um Religion geht. Denn selbst, wenn sie sich zur Nichtzugehörigkeit bekennen, gehören sie nolen volens doch dazu, 1. weil sie einer unvorstellbar langen Tradition der Nichtzugehörigkeit angehören und 2. weil sie die einzigen mythischen Wesen in Fleisch und Blut dieses Planeten sind und im Gegensatz zu Einhörnern tatsächlich existieren. Man sollte auch zur Kenntnis nehmen, dass es in den letzten 50 Jahren einige Übertritte zum Katholizismus von hochintelligenten Menschen gab, die nicht so sehr einen Sinn im Katholizismus fanden, den sie andernorts nicht gefunden hätten, als ihm viel mehr durch ihren Beitritt einen neuen Sinn hinzufügten. Ich meine vor allem Alfred Döblin und Ernst Jünger. Besonders merk-würdig ist auch der Übertritt Israel Zollers. Dass er nicht an die große Glocke gehängt wird, ist fast noch merkwürdiger.

 http://persciun.blogspot.com/2010/08/eugenio-zolli.html

"Nur Gott ist gerecht" - was für ein starker, märchenhafter Satz! Jeder versteht ihn sofort, und weiß wie wahr er ist, und wie märchenhaft er ist. Die Illusion ist gebannt.

http://michaelkunze.blogspot.com/2010/09/amazing.html

http://www.horeb.org/

Dass Illusionen ein Gift sind, dass im irrationalen Gefühl wirkt und dass sie nur durch den Verstand aufgedeckt werden können, ist ein fataler Trugschluss, denn das Gegenteil ist genauso gut möglich und infolge des trügerischen Fehl- und Vorurteils vielleicht sogar häufiger; es tritt als optische Täuschung und Verzerrung des Verstandes auf, die sich durch hypnotische Fokussierung selbst reproduzieren und perpetuieren können und am Ende nur noch durch das irrationale Unbehagen zu spüren und zu bremsen sind.

Das beste Beispiel hierfür ist die dodekaphone und dodekaphonoide Musik, die irrtümlicherweise für rational gehalten wird und in Wirklichkeit das Ergebnis einer Verzerrung ist, die auf optischer Täuschung des reflektierenden Verstandes und Betäubung des fühlenden Vernehmens beruht.

Der Verstand kann eigentlich nur das Licht reflektieren, das er durch die Vernunft empfängt.

Leider ist das Gleichgewicht zwischen Gefühl und Verstand noch keine Lösung. Das Gefühl selbst muss Ausdruck eines inneren Gleichgewichts sein, wenn es der Wahrhaftigkeit dienen soll, und die wahre Rationalität - die ein harmonisches Zusammenwirken beider Hirnhemisphären wiederspiegelt - ist nur die, die in der Lage ist, morphologisch zu denken und bei jeder kulturellen Erscheinung in der Lage ist, die zeitgemäßen und die unzeitgemäßen Aspekte zu nennen, und vor allem - falls sie vorhanden sind - die zeitlosen.

Aus diesem Grund ist gerade beim Thema Atheismus ein ganz anderes Thema naheliegend. Und bezüglich der Rationalität ist es sehr viel wichtiger: die Zeitlosigkeit. Auschwitz hat nicht nur die Religionen, die Theologien und Gott selbst beeinträchtigt, sondern auch die zeitlose Gültigkeit von Goethes "Faust", und die Aufgabe von Philosophie und Dichtung ist es, wieder Bilder zu schaffen, die zeitlos sind und in der Lage sind, aus Robert Musils Collage der Zerrissenheit wieder ein Mosaik zu machen. Nichts ist unvergänglich, dennoch kann das Prinzip der Zeitlosigkeit sehr lange symbolisch dargestellt und festgehalten werden, obwohl von Zeit zu Zeit eine "Heutung" und Umwertung vieler abgeleiteter Werte und ein neues Gewandt nötig werden.

Das Werdende, das ewig wirkt und lebt,
umfass euch mit der Liebe holden Schranken,
und was in schwankender Erscheinung schwebt,
befestiget mit dauernden Gedanken.


Der Doctor (Paul Schulz) hat jetzt eine Hagiographie historischer Atheisten geschrieben, an der mir der epochengeschichtliche Neuentwurf sehr gefällt. Denn er vertieft detailreich eine Einteilung, die ich unabhängig von ihm in groben Zügen ebenfalls vorgenommen hatte, um gegen das Geschwafel von der Postmodernität anzudenken und es als Humbug zu entlarven. Aber den frommen Sokrates als Atheisten zu bezeichnen, ist eine Initiative, die wahrlich eines Klerikers würdig ist; und als solcher entpuppt sich der Doctor letztlich.

Es gibt nicht viele Atheisten, deren Beiträge gerade deshalb kostbar sind, weil sie auf dem Atheismus fußen. Aber es gibt sie. Zwei von ihnen sind sicher Piergiorgio Odifreddi und Richard Dawkins. Vielleicht auch Philip Pullman, dessen Werk ich noch nicht kenne. An ihm stört mich jedoch, dass er nicht zu wissen scheint, wo die Grenzen verlaufen. Provokation gilt seit 1968 immer noch als rühmlich. Es gibt aber Dinge, die man nicht schreiben sollte, weil unser Gewissen davon abrät. Aber er setzt sich darüber hinweg. Man darf Gotteshäuser nicht in Pissoirs verwandeln (wie es die Sowjets taten) oder alte buddhistische Denkmäler zerstören (wie es die Talibaner taten). Man darf aber auch nicht blindlings drauf los schreiben, selbst wenn die Halbwahrheit, die man niederschreibt, im Detail hieb- und stichfest und vielleicht sogar sakrosankt ist.

Ich bin bisher in meinem Leben keinem einzigen konsequent atheistisch denkenden Menschen begegnet. Es hängt mit einem Grundsatzproblem zusammen. Es ist ja kein Zufall, dass wir von Glaubhaftigkeit und Glaubwürdigkeit reden und es keine Wisshaftigkeit und Wisswürdigkeit gibt. Hinzu kommt, dass es - wie Popper es nennt - letztlich kein wirkliches Wissen, sondern nur "Wahrscheinlichkeitswissen" gibt. Und diese Grundbedingung bewirkt, dass Leute, die den Gottesbegriff nicht mehr denken wollen, meistens an eine Götze (darf ich Göttse schreiben?) in Form eines abstrakten Prinzips glauben, bei dem es sich meistens nicht um eine Einsicht handelt, sondern um eine gutgemeinte, kaum überprüfte und ungern in Frage gestellte Annahme.

All den atheistischen Dichtern gelang es meines Wissens bisher nicht, zeitlos starke, ergreifende Bilder zu schaffen. Genauer gesagt, wo es ihnen gelang, kann ich mich nicht dafür verbürgen, dass die Autoren in ihrem Kern wirklich Atheisten waren, weil ich argwöhne, dass sie sich im Stillen an ein Gebot hielten (Non assumes nomen Domini Dei tui in vanum, nec enim habebit insontem Dominus eum, qui assumpserit nomen Domini Dei sui frustra). In jedem Fall gilt: nur wer selbst ergriffen ist, kann auch ergreifen. Bei Neruda schmeckt jedoch die Absicht viel zu sehr durch, vor allem die, an die Stelle der Verwandtschaft die Leidensgenossenschaft zu stellen, und am Ende wirkt er immer etwas zu sentimentalistisch. Serge Gainsbourg ließ die großen elementaren Zusammenhänge außer Acht.

Bob Dylan ist heutzutage einer der wenigen - wenn nicht der einzige -, dem es gelingt, atheistische Bilder zu schaffen, die ähnlich stark sind wie das Lied "Hohe Nacht der klaren Sterne", das ausgerechnet ein Überbleibsel der nationalsozialistischen Kulturerzeugnisse darstellt, aber Nüchternheit, Wärme und Feierlichkeit verbindet und eine Kraft besitzt, die mit der von "Der Mond ist aufgegangen" vergleichbar ist und dabei ohne den lieben Gott auskommt, den die Atheisten so gerne verbannen möchten. Ohne die Natur kommt niemand aus, und sie wird daher fast unvermeidlich zur Göttse. Der beste Schutz vor Göttsen ist immer noch Mosche Ben Maimons Idee der negativen Attribute: man könne von .... nur sagen, was er nicht sei, nicht aber, was er ist. Bob Dylans Schwäche liegt darin, dass er sich - mehr noch als Heine - hinter "postmoderner" Ironie versteckt. Inwieweit er versucht haben könnte, Ergriffenheit nicht nur solipsistisch und wärmer als nur lauwarm zu artikulieren, habe ich noch nicht untersucht.



Am See, tief zwischen Tann und Silberpappel,
beschirmt von Mauer und Gesträuch ein Garten,
so weise angelegt mit monatlichen Blumen,
daß er vom März, bis zum Oktober blüht,

Hier in der Früh, nicht allzu häufig,
sitz ich und wünsche mir, auch ich mög allezeit
in den verschiednen Wettern, guten, schlechten,
dies oder jenes Angenehme zeigen.

Ein wundervolles Gedicht. Aber Eislers Vertonung...



Apropos konsequent atheistisch denken ...

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Negentropie und Ektropie

Somnium Scipionis





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