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Samstag, 24. September 2011

Die Ökumene und die Unzulänglichkeit

"Vetus autem illud Catonis admodum scitum est, qui mirari se aiebat, quod non rideret haruspex, haruspicem cum vidisset." Cicero - De divinatione II, 51

Das Schwierigste an der Selbstkritik ist, auch das kritisch zu beleuchten, was einem selber heilig ist. Aber nur dann ist man auch in der Lage, es glaubwürdig zu verteidigen. Auch hier gilt, dass es am heilsamsten ist, zu versuchen, sich völlig in die Lage des Anderen zu versetzen.

Das eigentliche Problem scheint mir zu sein, dass die evangelischen Schriftgelehrten vor lauter Durst nach ökumenischer Gleichberechtigung die katholische Kirche aus den Augen verloren haben. Sie haben von der katholischen Kirche kein phänomenologisches Verständnis. Die katholischen Schriftgelehrten haben aber sehr wohl ein solches von der evangelischen Kirche. Die Katholiken empfinden gegenüber den Lutheranern nie Herablassung, aber - außerhalb Deutschlands - eine gewisse Belustigung gegenüber dem rebellischen Eifer und nicht selten Unbehagen gegenüber der rigiden, schematischen Mentalität, die in protestantischen Ländern Nordeuropas, besonders Schwedens, anzutreffen ist. Unter den Lutheranern ist kaum verholene Herablassung gegenüber dem Katholizismus beinahe die Regel, zumindest dann, wenn es um bayrischen oder gar südeuropäischen Katholizismus geht und hinter verschlossenen Türen gesprochen wird. Dass ausgerechnet diejenigen, die sich meist verächtlich über den Katholizismus äußern auf "Augenhöhe" pochen, ist paradox.

Es ist lächerlich, wie die Lutheraner einerseits auf dem Primat der Schrift beharren, so als gäbe es da im Gestrüpp der Philologie so etwas Ähnliches wie einen sicher gangbaren, ausgetretenen Pfad des indirekten Zugangs zum Allerhöchsten, der wichtiger wäre als der lebendige direkte (auch einstmals direkte, also geschichtliche), von dessen Tradition die Katholiken retten möchten, was zu retten ist. Besonders lächerlich ist die Verbohrtheit, mit der man auf dem Primat der Schrift besteht, weil man seit langem weiß, dass es nichts gibt, was als wahre Urschrift gelten kann, sondern nur Überlieferung, Überlieferung, Überlieferung und den harten Kern der Wahrheit im süßen Fleisch der Legende.

Luther hat sich geirrt! Er hat sich in dieser Hinsicht geirrt!! Einmal abgesehen davon, dass die katholische Kirche inzwischen auf bestimmte Stellen der "Schrift" - und die kirchengeschichtlichen Schriften - mehr pocht als die Lutheraner.

Das lutheristische Festhalten am Primat der Schrift ist andererseits selbst nichts anderes, als eine inzwischen Jahrhunderte alte Überlieferung, die insofern hohl ist, als der Inhalt der Bibel für die Lutheraner mittlerweile kaum eine geringere Rolle spielen könnte. Man liest in der evangelischen Kirche jetzt nur noch zwischen den Zeilen, und da findet sich natürlich nur das, was man beim Auslegen der Schrift in sie hineinlegen möchte. Luthers "Schrift" als Kondensationskern für nebulöse Befindlichkeitsspiritualität, Luthers "Schrift" als Interpretationsgötze.  Erbärmlicher geht es nicht.

Und dieser Affenzirkus - der wie eine Karikatur von Mathilde Ludendorffs „Bund für Deutsche Gotterkenntnis" aussieht: besonders bei Dr. Paul Schulz finden sich Parallelen zu Frau Ludendorff - will auch noch zusammen mit den Katholiken die Eucharistie feiern??? Ausgerechnet das Irrationalste, was in der gesamten christlichen Lehre zu finden ist?????

Wenn ich tot wäre, würde ich mich im Grabe umdrehen.


Ich bin schließlich selber ein eingefleischter Lutheraner, und noch dazu ein (anti)atheistischer. Gerade deshalb schäme ich mich ja über die aufgeblasene kulturgeschichtliche Dummheit der evangelischen Kirche. Man urteilt allen Ernstes über den Papst, er kenne zwar den Protestantismus sehr gut, aber er habe sein Urteil über denselben in 500 Jahren kaum geändert. In Wahrheit sind es vor allem die Protestanten, die auf ihrem hohen Ross sitzen und um nichts in der Welt von ihren herablassenden Ansichten über die katholische Kirche abrücken wollen, und das obwohl die überheblichen Protestanten die katholische Kirche sehr, sehr schlecht kennen. Denn seit vielen Jahrzehnten kümmern sie sich nicht darum, den Katholizismus auch nur zu verstehen. Geschweige denn werden sie sich bewusst, wie nötig sie selbst den Katholizismus nicht nur für das eigene Selbstverständnis brauchen, sondern auch als "feste Burg" in einer Zeit, in der Gott lange aufgehört hat, eine feste Burg für die evangelische Kirche zu sein. Die katholische Kirche ist für die Protestanten nicht nur der Sockel, auf dem sie sich als Büste brüsten, also ein Sockel des Primitiven, Rückständigen, der die Protestanten zu Distanz und selbstgefälligem Selbstverständnis beflügelt. Sie ist gleichzeitig auch das Bollwerk, hinter dessen Mauern es sich bequem evangelischer Christ sein lässt. Man gönnt es der katholischen Kirche nicht, dass es in ihr immer noch keine geschiedenen Priester gibt, die vor der Aufgabe, ihren Kindern nicht nur Vater, sondern auch Familienvater zu sein, davonlaufen. Man wirft daher Steine auf diejenigen Priester, die nicht gegen die Ströhmung des hedonistischen Zeitgeists schwammen und sich in troubled water treiben ließen, und man möchte mit diesen Steinen die katholische Kirche treffen.

Aber wenn man den Protestanten die "katholische Rückständigkeit" wegnimmt, bleibt nicht viel übrig von diesen Vögeln, die auf dem Thron der spirituellen Avanguarde hocken. Daran kann auch die Tatsache, dass das Bundesverfassungsgericht wegen der hohen Ämterüberschneidung manchmal schon als langer, geradezu befangener Arm des Rates der EKD bezeichnet wurde, nichts ändern.

Die aufgeblasene Ignoranz der Lutheraner ist ekelerregend. Sie sind es, die seit über 100 Jahren immer wieder dieselben Dummheiten über die katholische Kirche verbreiten und von Luther außer dem "sola fide" (das für Luther nichts von der heute üblichen unverbindlichen Bequemlichkeit hatte) so gut wie nichts bewahrt haben. Sie sind es, die sich immer für das gelbe vom Ei halten. Und das bloß weil sie einem Glauben anhängen, der so etwas ähnliches ist, wie ein sentimental verklärter, moralindividualistischer Atheismus, für den nicht mal die 10 Gebote viel bedeuten. Sie sind es, die auch der dümmsten Sau, die durchs Dorf rennt, hinterherrennen, um nicht als unfortschrittlich zu gelten. Sie sind es, die unkommentierte Bibeln verbreiten, die kein Mensch verstehen kann, obwohl und weil man die Bedeutung der Schrift zur Götze machte. Diejenigen aber, die vorbildlich kommentierte Bibeln auf dem neuesten Stand archäologischer, anthropologischer und philologischer Forschung in wahrhaft lutherischem Geist herausgeben, sind einzig und allein die Katholiken, besonders die italienischen und französischen. Und diejenigen, die versuchen der soziologistischen, im besten Fall zoologistisch ideologisierten Verflachung, die unser kulturhistorisches Erbe einzuebnen droht, widerstehen, statt sich ein X für ein U vormachen zu lassen, sind wiederum die Katholiken.

Auch die Katholiken haben ihre spezifischen Fehler und Schwächen. Aber sie sind darüber wenigstens im Bilde und sie stecken sogar Spott (wie den von Tom Lehrer z.B.) sehr gut weg (im katholischen Gesangsbuch "Gotteslob" befindet sich unter Punkt 8,3 sogar ein Gebet um Sinn für Humor!), während die Protestanten Spott überhaupt nicht vertragen und nicht einmal in der Lage sind, auch nur zu denken, dass es spezifisch protestantische Fehler, Schwächen und Laster geben könnte, sei es, was die protestantische Lehre angeht, sei es was die protestantische Mentalität angeht.



Der arme Ratzinger. Er ist an sich schon ein schüchterner Mensch, und darüberhinaus schlagen ihm ein Hass und eine Verachtung entgegen, wie sonst wenigen Menschen. Bin Laden weckte mehr Sympatien und der Attentäter in Norwegen weniger Hass. Umso mehr muss man den Mut und die humorvolle Heiterkeit bewundern, mit dem Ratzinger unbeirrbar seine scharfsinnigen Analysen vorträgt, wohl wissend, dass sie immer nur 1 % aufmerksam hören wird und nur höchstens 1 Promille verstehen wird, obwohl er sich so große Mühe gibt, klar und unmissverständlich zu sein.

Mehr als Symbol der Unzulänglichkeit kann keine Kirche sein.

Die Stärke der protestantischen Kirche - wie auch generell die Stärke der im Spätbarock beginnenden kleinen deutschen Renaissance, die zum Deutschen Idealismus führte - ist der Pietismus. Die gute Seite am lutherischen Gestus ist heute der Wille zu zeitloser Außergeschichtlichkeit und Unbedingtheit, aber seine Kehrseite ist die Geschichtslosigkeit, die Illusion aus geschichtlicher Eingebundenheit heraustreten zu können und gleichsam von einer Dimension der Ewigkeit aufgenommen zu werden, wodurch alle Geschichtlichkeit und mitmenschliche Eingebundenheit abgestreift werden und Traditionen verdorren, deren Absterben uns von der Kraftquelle der Wurzeln trennt. Die römisch-katholische Kirche wehrt sich vor allem anderen gegen dieses Heraustreten. Sie hat von den alten Römern den Brauch übernommen, auch das Veraltete durch rituelle Bezugnahme auf altehrwürdigen Humus zur symbolischen Gegenwart unserer Herkunft ins lebendige Leben einzubinden und praktizierte Jahrhunderte lang auch deren Brauch, sich fremde Götter unter dem Aspekt des logos spermaticus anzueignen. Ob es eine Rückkehr zu dieser "exoratio" geben wird, wird sich zeigen. In manchen Fällen könnte es in einzelnen Fällen dadurch zu einer Heiligsprechung von Personen kommen, die eigentlich anderen Religionen angehörten oder gar als "fromme Atheisten" galten. Im Archiv des Vatikans liegt ein reiches Register an über ein Jahrtausend alten Erinnerungen bereit, das sich für die Wiederbelebung einstiger Strategien eignet. Das Irrationale im Menschen wird nie beseitigt werden , es kann nur in begehbare Bahnen gelenkt und in menschliches Erbe und Traditionen eingebunden werden. Die römisch-katholische Kirche denkt in Jahrhunderten. Auch Luther ist deshalb in der katholischen Optik nur eine Episode, die für 2% der Katholiken - mehr sind die deutschen Katholiken im Weltmaßstab nicht - eine Sirene darstellt. In Rom fühlt man sich aber vor allem für die restlichen 98% verantwortlich.


Die katholische Kirche ist skeptisch. Sie ist die älteste Institution der Welt. Sie hat Erfahrung. Sie ist der letzte Rest römisches Reich. Es ist, als habe sich das große Weltreich zum Schluss wieder auf einen der Hügel am Tiber zurückgezogen, von denen es seinen Ausgang einst genommen hatte. Schon die Etruskerpriester waren in Purpur gewandet, und Latein ist immer noch die offizielle Sprache des Vatikans. Die katholische Kirche ist skeptisch. Sie glaubt zwar an das Gute im Menschen, bzw. dass da etwas ist, was gefördert werden muss, damit es ist, bleibt und vielleicht sogar wächst. Aber sie weiß, dass der Mensch nicht gut ist, sondern unzulänglich und in ständiger Versuchung ist, der Bestie anheimzufallen, egal ob man sie nun hochtrabend als Entropie bezeichnet oder plump den Teufel nennt.

Algermissens Ansicht

http://michaelkunze.blogspot.com/2010/09/amazing.html

Matussek und Precht - Zwei kluge Männer äußern sich zum Katholizismus

http://persciun.blogspot.com/2011/01/naturam-expellas-furca-tamen-usque.html

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