Stationen

Dienstag, 17. Januar 2012

Friedrich der Große





Erschien leicht gekürzt in der Süddeutschen Zeitung vom 31. Dezember 2011

Gehören die Hohenzollern zur Deutschen Geschichte? Friedrich II („der Große“?) offenbar ja, denn im kommenden Jahr wird seines dreihundertsten Geburtstages groß gedacht. Wir werden einen großen Friedrich-Rummel erleben. Anders als dieser Friedrich scheinen die Hohenzollern als Dynastie offenbar nicht mehr zur Deutschen Geschichte zu gehören, denn selbst 2011, im 950. Jubiläumsjahr, wurde dieses Fürstengeschlecht von Volk und Volkes Medien weitgehend ignoriert. Der übliche Expertenzirkus fiel aus, und sogar in der bunten Presse war die Hochzeit des jungen, sympathischen Hohenzollern-Chefs kein deutsches Mini-Pendant zur königlich britischen William-und-Kate-Maxi-Hochzeit. Für die Hohenzollern interessiert sich fast keiner, für den Einen, den zweiten Friedrich, offenbar fast alle, denn schon vor dem Jubiläumsjahr begann der Friedrich-Jubel. Der 24. Januar, der große Geburtstag, naht. Mehr, viel mehr, wird auf uns einprasseln.

Wie ist die Friedrich-Manie  einerseits und andererseits das Desinteresse an (s)einer Dynastie zu erklären, die immerhin knapp tausend Jahre deutscher Geschichte mitprägte? Ich sehe zwei Gründe: Viele halten die Hohenzollern für „zu militaristisch“, und manche sehen sie als antisemitischen Dämon oder gar „Vorläufer Hitlers“: „…Will­helm II. nun Kaiser ist, Der uns unsre Juden frisst…

Dieser Reim Theodor Fontanes aus dem „Dreikaiserjahr“ 1888 führt uns zur Hohenzollern-Dämonologie. Antisemitische Anfälligkeiten Wilhelms II. sind offenkundig, doch Hohenzollern-Dämonologie ist auch bei ihm unangebracht. Anders als Fontane, wissen wir, wer, wann und wie Juden sechsmilllionenfach „gefressen“ hat. Auch Wilhelm II. gab unbestreitbar dem Ungeist des Antisemitismus nach, und am „Berliner Antisemitismusstreit“ von 1878/79 war der Kaiserhof Wilhelms I. nicht unbeteiligt. Als aber am 9. November 1938 der nationalsozialistische Pöbel Synagogen in Brand setzte, Juden auf offener Straße drangsalierte und liquidierte, sagte Wilhelm II. in seinem niederländischen Exil: Zum ersten Mal in seinem Leben schäme er sich, Deutscher zu sein. Der „Weg nach Auschwitz“ führte gerade nicht vom bald tausendjährigen Geschlecht der Hohenzollern zu Hitlers “Tausendjährigem Reich“.

Wenn  bekennender Antisemitismus die Hohenzollern-Distanz „der“ Deutschen rechtfertigt, dürfte es 2012 keinen großen Friedrich-Rummel geben, denn seine Schriften strotzen vor Judenfeindlichkeit. In seinem Brief vom 10. Oktober 1739 nennt er als Kronprinz die Juden eine „abergläubische, schwache und grausame Nation.“ Im „General-Privilegium“ des Königs von 1750 wurde sie folgerichtig ge-, be- und unterdrückt. Die Aufnahme des hochberühmten jüdischen Philosophen, Lessing-Freund und „Nathan-der-Weise“-Vorbild Moses Mendelssohn, in die Berliner Akademie der Wissenschaften verhinderte der große Tolerante höchstpersönlich. Das „Politische Testament von 1752“ ist diesbezüglich besonders unappetitlich: „Die Juden sind von allen diesen Sekten die gefährlichsten, denn sie schädigen den Handel der Christen und sind für den Staat nicht zu brauchen…Wir haben die Juden zwar wegen des Kleinhandels mit Polen nötig, aber wir müssen verhindern, dass sie sich vermehren.“ Seine Kriege finanzierte der Monarch nicht zuletzt durch Inflation, deren Durchführung er vor allem den Münzpächtern Moses Isaac, Daniel Itzig und Veitel Ephraim übertrug. Der König, wusch seine Hände in Unschuld. Todkrank bekundete er am 16. April 1786, vier Monate vor seinem Ableben, dem Grafen Mirabeau gegenüber einmal mehr seine Judenabneigung. Ebenfalls bis zuletzt schmetterte er alle Bemühungen seiner Beamtenschaft ab, das Los der Juden zu verbessern.


Was ist zum Militarismus der dominanten, brandenburgischen Hohenzollernlinie zu sagen? Beginnen wir mit dem Jubilar. Dem Militärerzieher des Kronprinzen hämmerte er dies ein: „Es ist von größter Wichtigkeit, ihm Geschmack für das Militärwesen beizubringen. Deshalb müssen Sie ihm bei jeder Gelegenheit sagen…, dass jeder Mann von Geburt, der nicht Soldat ist, nur ein Elender ist.“[1]

Alle Nachbarn Preußens hielt er im Politischen Testament von 1752 für „Neider oder geheime Feinde unserer Macht“. Diesem Weltbild gemäß entriss er Österreich bereits 1740, im ersten Jahr seiner Herrschaft, Schlesien. Für seinen Ruhm, „gloire“, liebe er den Krieg, „guerre“, gestand er 1741 einem Freund. Diese Liebe kostete allein am 25. August 1758 in der Schlacht bei Zorndorf 12.800 preußischen und 18.000 russischen Soldaten das Leben. Friedrichs Wirtschaft und Gesellschaft drohte auszubluten. Wenigstens danach verabscheute er „dieses Handwerk“, zu dem „der blinde Zufall mich von Geburt an verdammt hat.“ Zufall? Was für eine Verharmlosung. Nicht harmlos, sondern gedankenreich blieben seine Reflexionen über Kriege im Allgemeinen und seine im Besonderen. Er dachte, durchdachte und machte Krieg, doch trotz seines Denkens ließ er sich lange vom Gefühl leiten. Diese Spaltung zwischen hochkulturellem und –intellektuellem Überguss einerseits und siegreichem Ich- und Zerstörungstrieb andererseits versinnbildlicht die Zerstörung der Dresdener Innenstadt im Jahre 1760. Ein Vorläufer Hitlers war dieser König gewiss nicht, doch personifiziert dieser hochgeistige und zugleich –militante Doppel-Friedrich nicht irgendwie doch „die“ Deutschen bis 1945. Dokumentiert nicht gerade er, dass höchste Kultur und Barbarei einander keineswegs zwangsweise ausschließen, dass aus einem „Volk der Dichter und Denker“ sehr wohl Mörder und Henker wachsen können? Nicht einmal Aufklärung und Hochkultur schützen die Menschen vor dem Menschen und den einen Menschen vor sich selbst.

Vom großen Friedrich zu den kleineren Fürsten seines Hauses. Der folgende Grundgedanke erklärt ihre Strategie: Aufgrund der Mittellage ihres Staates mussten sie abwehrfähig sein, um, nicht wie im 30jährigen Krieg, wehrloses Opfer zu werden. In seinem politischen Testament von 1667 mahnte der Große Kurfürst, es sei zu verhindern, dass im Kriege „Ewere Lande Das theatrum sein wurden, Darauff man die tragedi Spillen werde.“  Die Mark Brandenburg hatte in jenem Krieg etwa die Hälfte ihrer Bevölkerung verloren. Nach diesem Urtrauma war der größte Hohenzollern-Staat  bis zuletzt (wie heute der Jüdische Staat, Israel, nach dem Holocaust) von einem bleibenden „Gefühl der Verwundbarkeit“ (Christopher Clark) geprägt. Wer sich weigert, jene Hohenzollern-Urangst zu sehen, kann die Deutsche Geschichte nicht verstehen.

Wir blicken auf die Hoch- und Endphase des Hohenzollern-„Militarismus“ vom 18. Jahrhundert bis 1918: Friedrich Wilhelm I. (gestorben 1740) bekam den Beinamen „Soldatenkönig“. Er war so „militaristisch“ dass er seinen Nachfolgern dies empfahl: „… bitte ich umb Gottes willen kein ungerecht krikg anzufangen und nicht ein agressör sein, den(n) Gott (hat) die ungerechten Krige verbohten.“

Friedrich Wilhelm II., Nachfolger ds großenn Friedrich, lockte eher der Krieg der Geschlechter als Kriege zwischen Staaten. Gegen das revolutionäre Frankreich kämpfte er lustlos, und in Polen profitierte er von Russlands Angriffslust.

Sein Sohn Friedrich Wilhelm III. sagte 1806, nach seinem lange hinausgezögerten Entschluss, gegen Napoleon einen Defensivkrieg zu führen: „Mehr als ein König ist untergegangen, weil er den Krieg liebte; ich, ich werde untergehen, weil ich den Frieden liebte.“  1813, vor dem Freiheitskrieg gegen Napoleon, „fürchtete“ er „viel Widerwärtiges“, nämlich den Volkskrieg.

Nicht anders seine Untertanen, besonders die gebildeten: Wer konnte, drückte sich. Es traf die Söhne ärmerer Bauern.

Friedrich Wilhelm IV. war ein „unmilitärischer Mann“, er empfand „Abscheu… gegen alles Militärische.“ Man muss einwenden, dass er 1848/49 die Bürgerliche Revolution mit militärischen Mitteln niedergeschlagen ließ. Dem wiederum sei entgegengehalten: Die Mehrheit der Bürger-Soldaten hielt dem König die Treue. Was also war wirklich Volkes Stimme und Volksstimmung?

Ein europäischer Großbrand drohte 1853-56 im Krimkrieg. Preußen verweigerte die Kriegsteilnahme., und Westeuropa tobte über die schlappen Hohenzollern.

König, später Kaiser Wilhelm I., der „Kartätschenprinz“ der Revolution von 1848, war 1860 sogar der Londoner „Times“ zu zahm: Preußen sei „anwesend auf Kongressen, aber abwesend in Schlachten… bereit, jede beliebige Menge an Idealen oder Gefühlen beizusteuern, aber scheu gegenüber allem, was nach Realität schmeckt.“ Nicht vom heutigen Deutschland ist die Rede, sondern vom Hohenzollernstaat, der damals nur ein Drittel der Wehrpflichtigen einziehen konnte, weil nach 1820 die Armee stark reduziert worden war.

Genau hier setzte die umstrittene Militärreform Wilhelms I. an. Also doch Zackigkeit? Eher Notwendigkeit - und Vorsicht: Unter Wilhelm I. und bis 1890 unter Wilhelm II. war Bismarck der politische Steuermann, und es galt das Primat der Politik.

Anders als 1806 oder 1813 bis 1815 gegen Napoleon schienen gegen Dänemark (1864), Österreich (1866) und Frankreich (1870/71) Krieg und Tod für Hohenzollern-Untertanen einander weitgehend auszuschließen. In der Illusion eines quasi sterbefreien Krieges strebten nun die Massen der Bürger zur Uniform. Sie bekamen, was sie damals wollten: „Eisen und Blut“.

Eisen und Blut als Mittel der Politik – das war ursprünglich keine Bismarck´sche oder Wilhelm-Eins-Parole; das hatten die liberalen Bürger im antinapoleonischen Befreiungskrieg gesungen und danach die Burschenschaftler: „Denn nur Eisen kann uns retten / und erlösen kann nur Blut.“ Trickreich hatte Bismarck für seinen Hohenzollern-König die Liberalen mit ihren eigenen Mitteln geschlagen.

Unter dem scheinbar so strammen Wilhelm II überschritt das Militär immer dreister seine Kompetenzen, etwa 1904 beim Hereroaufstand in Deutsch-Südwestafrika. Auch die Bürokratie schob den nur großmäuligen Kaiser allmählich beiseite. Beim Kriegseintritt 1914 war er nur noch eine lautstarke Randfigur, und ab 1916 lenkte das Tandem Hindenburg / Ludendorff.

Auch die außen- und sicherheitspolitischen Kardinalfehler seiner Ära hatte nicht der Kaiser erdacht. Ohne Not und von seiner Bürokratie auf den Holzweg gebracht, beendete Wilhelm II. 1890 die enge Bindung an Russland, die Friedrich II. 1762, nach dem Tod von Zarin Elisabeth eingeleitet hatte, um einen Zweifrontenkrieg zu verhindern.

Die Entzündbarkeit der zweiten, westlichen Front hatte Bismarck durch die Annexion Elsass-Lothringens verursacht. Wilhelm I. ließ ihn gewähren, weil er ihn seit 1862 gewähren lassen musste. Er war auf ihn angewiesen. Der Hohenzoller war in seinem Staat längst nicht mehr Herr im Haus.

Wilhelm II. befreite sich 1890 in einem Kraftakt von Bismarck, aber die Reichsverfassung von 1871 sah keinen wirklich starken Kaiser vor. Regierungsapparat und Militär verselbständigten sich zunehmend. Auch deshalb agierte und reagierte Wilhelm Zwei so wortstark und tatenschwach auf die gegen England gerichteten Provokationen seines Militärs, also seit 1898 die Tirpitz´sche Flottenaufrüstung und den Schlieffenplan. Dieser überrollte im Ersten Weltkrieg den deutsch-englischen Pufferstaat Belgien. Die deutsche Marinemacht und das Belgien niederwalzende deutsche Heer mussten 1914 in London als existentielle Bedrohung der Britischen Inseln wahrgenommen werden. Folgerichtig kämpfte auch Großbritannien gegen Deutschland.

Für das selbstmörderische Kunststück, ausgerechnet die interventionsunwilligen Amerikaner in den Ersten Weltkrieg hineinzuziehen, zeichnete wiederum weniger Wilhelm II. als die Bürokratie und das Militär verantwortlich. Auf den U-Bootkrieg mussten die USA ebenso reagieren wie auf das Versprechen des deutschen Außenamtes, den Mexikanern im Kampf gegen die USA zu helfen. Noch tölpelhafter konnte deutsche Geopolitik nicht sein. Sie ist jedoch nicht in erster Linie den Hohenzollern anzulasten, sondern der Verfassung ihres Staates sowie dem Dünkel und der Dummheit ihres Regierungs- und Militärapparates. Der beging noch einen klassisch krassen deutschen Fehler, indem er die USA unterschätzte. Hitler beging (gottlob) den gleichen Fehler und – vive la différence – auch Bundeskanzler Gerhard Schröder sowie - vor, mit und nach ihm - viele Deutsche, die lieber die USA hochnäsig moralisierend belehren als von ihnen lernen wollen. Wie „die“ Hohenzollern sitzen heute „die“ Deutschen den USA gegenüber auf dem Hohen Ross. Auf einem solchen saß auch Wilhelm II. bildlich-wörtlich, als er 1898 den „Vater Israels“, Theodor Herzl traf. Selbst dieses Hohenzollern-Erbe lebt noch heute in „den“ Deutschen, wenn sie an Israel denken. Und wer bei den Hohenzollern nur an Friedrich den Großen denkt, betreibt Personenkult. Die Hohenzollern sind mehr als nur Friedrich der Große.

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[1] David E. Barclay: Friedrich Wilhelm II. (1786-1797), in Frank-Lothar Kroll (Hg.): Preußens Herrscher.
Von den ersten Hohenzollern bis Wilhelm II., München 2000, S. 183.

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