Stationen

Montag, 27. Februar 2012

Trost an die Hellenen

Der griechische Nationalstaat entstand im 19. Jahrhundert maßgeblich mit deutscher, genauer bayerischer Hilfe. In München wurde die Kasse jenes Bundes verwaltet, der die Befreiung der Griechen von der türkischen Herrschaft erstrebte. Das intellektuelle Europa, namentlich Lord Byron, dachte philhellenisch. Nicht zuletzt der kunstsinnige König Ludwig I. begeisterte sich für das antike Hellas und schmückte München mit griechischen Tempeln. Den Rebellen sandte er Offiziere und Geld, schrieb selbst Gedichte wie „Trost an die Hellenen“. 1829 räumte er jenen Griechen, die die Kämpfe in ihrer Heimat nach Bayern verschlug, die Kirche am Salvatorplatz als orthodoxes Gotteshaus ein und ließ junge Griechen auf seine Kosten erziehen. Die Großmächte boten 1832 seinem zweiten Sohn Otto die griechische Krone an.

Der 16 Jahre junge Prinz nahm an, ohne allerdings zum orthodoxen Glauben überzutreten, wie es der Zar von Russland gefordert hatte. Der neue König kam mit einem Schutzkorps von 3 000 regulären Truppen, mit zahlreichen Beratern, Beamten und Baumeistern. Sie schufen staatliche Grundlagen, gaben der Hauptstadt Athen ihr Gesicht, gründeten eine Universität, die lange die einzige auf dem Balkan blieb. In dieser Epoche entstand auch die griechische Nationalhymne. Für Golo Mann gehört dieses Abenteuer zum Nobelsten und Rührendsten in der bayerischen Geschichte: „Hier waltete der reinste Idealismus, die reinste Romantik.“

Schon 1858 beklagt Europa Athens Finanzgebaren

Auch Ludwig I. bereiste das Land, um mit dem Thukydides in der Hand die klassischen Orte Attikas zu besuchen. Ottos Ehe mit der evangelischen Prinzessin Amalie von Oldenburg blieb jedoch kinderlos. Die Hoffnung auf einen orthodoxen Nachfolger aus dem Wittelsbacher Haus erfüllte sich nicht. 1862, nach drei Jahrzehnten, wurde der Monarch durch eine Militärrevolte unblutig gestürzt. Das entthronte Paar unterstützte von seiner Residenz in Bamberg aus noch aufopfernd den Aufstand der Griechen gegen die osmanische Herrschaft auf Kreta; beider Sarkophage sind heute in der Fürstengruft der Theatinerkirche in München zu besichtigen.

Schon 1858 beschrieb der französische Schriftsteller Edmond About übrigens die finanzielle Lage Griechenlands drastisch. Man lebe dort seit langem „in Frieden mit einem Staatsbankrott“. Er schrieb weiter: „Wenn in einem zivilisierten Land die Einnahmen nicht ausreichen, um die Ausgaben zu bestreiten, ist das Mittel einer Staatsanleihe im Innern vorgesehen. Dieses Mittel hat die griechische Regierung noch nie versucht, und der Versuch wäre auch erfolglos gewesen. Die Schutzmächte mussten schließlich die Zahlungsfähigkeit Griechenlands garantieren, damit es über eine Anleihe im Ausland verhandeln konnte. Diese Mittel wurden von der Regierung ohne irgendeinen Nutzen für das Land selbst verprasst; und nachdem das Geld einmal ausgegeben war, mussten die Garantiemächte aus purem Wohlwollen die Zinsen bedienen. Griechenland konnte sie überhaupt nicht mehr bezahlen.“

Der Südosten des Kontinents entwickelte sich zum Wetterwinkel der Weltpolitik, wo 1914 schließlich der große Krieg ausbrach, die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts. Noch für den preußisch-deutschen Kanzler Otto von Bismarck waren die ganzen Balkanhändel „nicht die gesunden Knochen eines einzigen pommerschen Musketiers wert“. Denn der Reichsgründer von 1871 sah ansonsten bedroht, „was wir mühsam unter dem drohenden Gewehranschlag des übrigen Europa ins Trockene gebracht haben“. Deutschland in seiner geografischen Mittellage solle sich nicht aufspielen wie jemand, der zu Geld gekommen ist und nun, „auf den Taler in seiner Tasche pochend, jedermann anrempelt“, warnte der alte Staatsmann seine Nachfolger – vergeblich.

Im Ersten Weltkrieg schlugen sich die Griechen auf die Seite der Gegner des wilhelminischen Kaiserreichs. Im Zweiten Weltkrieg, 1940, überfiel das faschistische Italien den Nachbarn im Mittelmeer, erlitt dabei aber ein Debakel. Mussolini hatte die Aktion nicht mit seinem nationalsozialistischen Bundesgenossen abgestimmt. Hitler ließ Griechenland von der Wehrmacht 1941 vor dem Angriff auf die Sowjetunion erobern. Konsequent betrieben die NS-Besatzer den Holocaust. Beim Abzug im Herbst 1944 war von den 70 000 griechischen Juden nur noch etwa ein Siebtel übrig (so Heinrich August Winkler in seiner „Geschichte des Westens“, München 2011). Brutale Vergeltungsmaßnahmen gegen die Zivilbevölkerung, wann immer Aktionen der Partisanen dazu Anlass boten, machten die Deutschen verhasst.

Die europäische Nachkriegsbewegung zog die einzig richtigen Lehren aus der Vergangenheit und schien den Dämon des Chauvinismus zu bannen. Seit der Ära Adenauer verstand die Bonner Republik die Einigung des Kontinents als ein historisches Projekt, jenseits aller wirtschaftlichen Vorteile. Charles de Gaulle wusste, warum er die deutsch-französische Aussöhnung als ein wahres „Wunder“ bezeichnete. Das Erfolgsgeheimnis von Helmut Kohl, dem Ehrenbürger Europas, bestand darin, der Grande Nation jeden Respekt zu zollen, aber auch den kleineren Staaten bis hin zu Luxemburg stets auf Augenhöhe zu begegnen.

Die Wiedervereinigung 1989/90 glückte im Einvernehmen sogar mit den Russen, Polen und allen anderen Nachbarn. Das Bild des hässlichen Deutschen schien verschwunden, obwohl Giulio Andreotti gelegentlich vor einem Pangermanismus gewarnt hatte. Das wirkte beinahe anachronistisch, während etwa Udo Jürgens längst den „griechischen Wein“ und damit die gelungene Aufnahme der „Gastarbeiter“ besang oder der Fußballtrainer Otto Rehhagel durch den EM-Sieg 2004 zum Helden von Hellas avancierte.

Mit der Euro-Krise kehren alte nationale Stereotypen zurück

Erst mit der Euro-Krise kommen vergessen geglaubte Stereotype zurück. Boulevardblätter malen Zerrbilder, einerseits von „Pleite-Griechen“, andererseits von einer Kanzlerin in Nazi-Uniform. Politiker meinen mit Parolen zu punkten, wonach in Europa endlich „deutsch gesprochen“ werde oder dass umgekehrt die ökonomische Vormacht ein „Viertes Reich“ errichte. Präsident Karolos Papoulias, mit 82 Jahren noch Zeuge der Resistance gegen die Hitlerdiktatur, fühlt sein Vaterland von oberlehrerhaften Ratschlägen des Finanzministers Wolfgang Schäuble beleidigt. Solche Töne boten ehedem, siehe Emser Depesche 1870, den Vorwand für Kriegserklärungen.

Im Streit ums Geld entfernt sich Europa von seiner kollektiven Identität. Bei den Protesten in Athen verbrennen Demonstranten die schwarz-rot-goldene Fahne und das EU-Sternenbanner in Form eines Hakenkreuzes; der ohne Gespür von Berlin vorgeschlagene „Sparkommissar“ wird als „Gauleiter“ tituliert. Deutsche Führung stößt freilich nicht nur an der Akropolis auf Ablehnung, sondern bereitet den Berliner Eliten selbst Unbehagen, konstatiert der britische Historiker Timothy Gorton Ash im „Spiegel“.

Erschreckend, wenn 76 Prozent der Griechen laut Umfrage die Bundesrepublik inzwischen als „feindselig“ wahrnehmen; vor sechs Jahren empfanden noch 78 Prozent sie als „besonders sympathisch“. Das Allensbacher Institut hat unterdessen ermittelt, dass sich auch das Denken der Deutschen renationalisiert. Immer weniger sehen die USA als engen Freund oder erkennen angesichts der Kosten die Notwendigkeit, dass die Bundesrepublik in die internationale Gemeinschaft eingebunden bleiben muss. Selbst für das deutsch-französische Verhältnis gibt der Pariser Historiker Pierre Nora eine pessimistische Prognose ab. Man habe sich auseinandergelebt, äußerte er jetzt in einem Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“.

Das Diktum von Angela Merkel lautet: Scheitert der Euro, scheitert Europa. Allerdings ist mit protestantischem Rigorismus und Sparzwang allein der Gefahr nicht beizukommen. Wegen einer Währung darf die europäische Idee nicht scheitern. Denn die historischen Erfahrungen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts lehren: Wenn Europa scheitert, scheitert Deutschland. Das Rheinland müsse mehr wert sein als ein oder zwei oder selbst drei neue Währungen, mahnte der Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer, als in der europäischen Krise von 1923 die Reichsregierung den Westen versacken lassen wollte.

Die aktuelle Krise schürt teilweise sehr alte Vorurteile und nationale Empfindlichkeiten. 1787 bemerkte Goethe aus Italien: „Alles ist auf der Straße, sitzt in der Sonne, so lange sie scheinen will. Der Neapolitaner glaubt, im Besitz des Paradieses zu sein, und hat von den nördlichen Ländern einen sehr traurigen Begriff: „Immer Schnee, hölzerne Häuser, große Ignoranz; aber Geld genug.“

Reden Deutsche von Krise, ist das eine Maske der Arroganz?

Joachim Fest schildert in seinem Buch „Im Gegenlicht. Eine italienische Reise“ von 1988 folgende Begegnung: „Italien muss seine Krisen nicht bewältigen und will es nicht einmal“, erklärt ihm ein Gesprächspartner wiederum in Neapel. Ihr Instinkt sage den Menschen, dass man nicht gegen die Krisen, sondern mit ihnen leben müsse. Ihm seien die Deutschen ganz fremd. Manchmal denke er, sie fürchteten die Krise nicht, sondern liebten sie geradezu. Zugleich hielten sie sich ihre Schrecken wie ein moralisches Verdienst zugute und wollten sie aller Welt aufnötigen. Weiter lässt Fest den Italiener von dem Verdacht sprechen, dass diese Angst nur Gehabe sei und eine andere Maskerade der deutschen Arroganz. Krisen gehörten zum Leben, und dass die Deutschen das nicht wüssten, mache ihre Unreife aus.

Man mag die andere politische Mentalität in den südlichen Krisenländer irritierend finden, kann sie aber nicht ignorieren, wenn Europas Weg zu einem guten Ende führen soll.

Die Veröffentlichung hier auf diesem Blog dieses ursprünglich von der "Tagespost" veröffentlichten Artikels erfolgte mit ausdrücklicher Erlaubnis von Herrn Theo Schwarzmüller

Der Autor

Donnerstag, 16. Februar 2012

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