Stationen

Dienstag, 29. Mai 2012

þagall oc hugall

Hier ist endlich mal ein wirklich sehr guter Artikel über ein Thema der germanischen Mythologie. Dass ich das noch erlebe!

http://de.wikipedia.org/wiki/Hönir

Mir fällt dazu ein, dass die Lückenhaftigkeit dessen, was wir über die alten Mythen wissen, wie eine Verstümmelung auf mich wirkt, zumal es sich hier um einen der Hauptgötter handeln muss. In der Tat wurden die Franken von Chlodwig durch Zwangstaufe christianisiert und die Sachsen von Karl dem Großen erst recht. Wenn sie sich nicht fügten, schlug man ihnen den Kopf ab. Was bei den alten Römern die Christenverfolgung war - die blutige Bekämpfung eines Neuen, das nach Umwertung aller Werte roch - war nach dieser Umwertung bei den neuen Germanen die Heidenverfolgung im Namen der neuen Deutungshoheit - blutiger Bruch mit dem eigenen Erbe für eine Vision monarchischer Ordnung und römischer Kontinuität. Ferner fällt mir auf, dass Hönir mit etwas Urdeutschem in Zusammenhang steht: der schweigsamen Aufmerksamkeit. Das Thema beschäftigt mich schon seit langem. Mir ist nicht bekannt, dass in anderen Ländern/Kulturen das Schweigen einen so hohen Stellenwert hat wie bei uns. Nur Sardinien wird manchmal als "Insel des Schweigens" bezeichnet, und bei den Assoziationen, die dabei geweckt werden, überwiegen die positiven, wenngleich auch die zwischen den Kontinentalitalienern und den Sarden herrschende Kluft dabei mitschwingt.

"Reden ist Silber, Schweigen ist Gold" ist das deutscheste aller Sprichwörter. Wir mögen keine Schwätzer. Und nirgendwo auf der Welt ist das Radioprogramm so gut wie bei uns, nirgendwo gibt es eine so ausgeprägte Hörspieltradition (der Verein der Kriegsblinden hat hier große Verdienste, weil er einen Autorenpreis schuf, der in meinen Augen auch heute noch das beste Bindeglied zwischen Literatur und neuen Medien darstellt). Die deutsche Aversion gegen Geschwätz wird immer zu Konflikten mit den Italienern führen, macht aber andererseits auch den Reiz und die Anziehungskraft aus, die die italienische Freimütigkeit auf uns ausüben kann. Umgekehrt ist es den Italienern ein Rätsel, dass wir Deutschen das Denken nicht als Mühe empfinden, sondern es sogar als entspannenden Genuss erleben können. In den slawischen Sprachen ist die Bezeichnung für "deutsch" sogar etymologisch vom Wort "stumm" abgeleitet. Nemac ist auf serbisch der Deutsche, Nemak der Stumme. Um diese Bedeutungen und ihre Zusammenhänge zu erspüren und zu fassen, ist "Rationalität" nicht sehr hilfreich (nur um das, was man spürt und fasst, später zu ordnen, ist sie wieder nützlich). Man muss sich der Gestaltwahrnehmung bedienen. Gott sei Dank hat es einen Konrad Lorenz gegeben, der unsere heutzutage als "irrational" abqualifizierten intuitiven, seherischen Fähigkeiten erkenntnistheoretisch sanktioniert hat und die Grenzen der sogenannten "rationalen" Fähigkeiten beschrieben hat. Er nannte die intuitiven Gaben nicht "irrational", sondern "ratiomorph". Eigentlich müssten sich gerade die Frauen für diese Lorenzsche Klarstellung interessieren, aber sie sind wie Getriebene damit beschäftigt, männlicher als jeder Mann zu sein. "Das ewig Männliche treibt sie hinan". Dafür verherrlichen sie dann umso entschlossener die Vollkommenheit der Natur. Ausgerechnet die Frauen, die besser wissen sollten als wir Männer, was eine Geburtswehe ist und wie man sich fühlt, wenn einen das Prämenstruale Syndrom in den Fängen hält, verherrlichen die Natur und schwören auf Kräutertees.

Der Hönir könnte als eine Art Schutzgeist der ratiomorphen Talente angesehen werden. Zu diesem Themenkreis gehört auch die Tatsache, dass das Wort "Vernunft" von "vernehmen" kommt und nicht von reor, ratus, reri. Kants Freund Hamann würde mir sicher zustimmen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.