Stationen

Montag, 26. November 2012

Tragweite


Nicht in Allem stimme ich Klonovsky zu, aber fast. Auf jeden Fall sprechen wir auch da, wo ich ihm nicht zustimmen kann, noch im singulärsten Detail auf geradezu frappierende Weise immer über denselben Gegenstand.

So soll es sein


Sonntag, 25. November 2012

Herbststorm



Der Nebel steigt, es fällt das Laub;
Schenk ein den Wein, den holden!
Wir wollen uns den grauen Tag
Vergolden, ja vergolden!

Und geht es draußen noch so toll,
Unchristlich oder christlich,
Ist doch die Welt, die schöne Welt,
So gänzlich unverwüstlich!

Und wimmert auch einmal das Herz, -
Stoß an und laß es klingen!
Wir wissen's doch, ein rechtes Herz
Ist gar nicht umzubringen.

Der Nebel steigt, es fällt das Laub;
Schenkt ein den Wein, den holden!
Wir wollen uns den grauen Tag
Vergolden, ja vergolden!

Wohl ist es Herbst; doch warte nur,
Doch warte nur ein Weilchen!
Der Frühling kommt, der Himmel lacht,
Es steht die Welt in Veilchen.

Die blauen Tage brechen an,
Und ehe sie verfließen,
Wir wollen sie, mein wackrer Freund,
Genießen, ja genießen.


Leider ist die Welt nicht mehr so unverwüstlich wie damals. Aber die Schönheit dieses Gedichts, die ist immer noch beständig.

"Der Herbst ist ein zweiter Frühling, wo jedes Blatt zur Blüte wird.", sagte Albert Camus

Dienstag, 13. November 2012

Ektropie


Mutter aller Dinge

Samstag, 10. November 2012

Und es begab sich


Würzburg

510

Freitag, 9. November 2012

9. November

Für den heutigen Tag mag gelten, was Goethe 1792 bei Valmy angeblich doch nicht gesagt hat, aber irgendetwas Vergleichbares wird er schon geäußert haben, nämlich: "Von hier und heute geht eine neue Epoche der Weltgeschichte aus, und ihr könnt sagen, ihr seid dabei gewesen."

Mein Motto für heute ist einfacher: "Schweig und tanze!" (Elektra).

God bless America!


schrieb Michael Klonovsky, als Donald Trump Präsident der USA wurde.

Man könnte abergläubisch und sterngläubig werden bei diesem Datum. Ob Kary Mullis sich wohl auch mit so etwas befasst? Napoleons 18. Brumaire war ein 9. November, Hitlers misslungener Putsch 1923 auch. Auch die Republik war 5 Jahre zuvor an einem 9. November ausgerufen worden. Hitler nahm in seiner Verteidigungsrede nach dem gescheiterten Putsch explizit auf die "Novemberverbrecher" bezug. Später ließ er den als Kristallnacht berühmt gewordenen Pogrom an einem 9. November stattfinden.

Beunruhigend wird diese Anhäufung von Schicksalstagen aber erst dadurch, dass die Berliner Mauer ebenfalls an einem 9. November fiel, so dass wir jetzt gar nicht anders können, als am 9. November gleichzeitig eines der schönsten Tage der deutschen Geschichte zu gedenken und eines der unangenehmsten.

Diese Tatsache ist einerseits eine Chance und andererseits eine Gefahr. Sie ist für Deutschland eine ambivalente Herausforderung unserer Vernunft und eine Belastungsprobe für das emotionale Gleichgewicht, das kollektive Unbewusste und den Hort des irrationalen Erbes, das bei jeder Nation im Innern der Menschen, "in ihrem Herzen"  mehr oder weniger anamorph mitschwingt. Meine Mutter konnte sich dem Sog religiöser Deutungen gerade in Bezug auf den Nationalsozialismus nicht entziehen. Nicht nur, weil Hitler die zahlreichen Attentate alle überlebte, sondern auch weil Gegner des Hitlerregimes, deren Schicksal ihr persönlich bekannt war, auch nach dem Krieg auf Grund erschwerter Ausgangsbedingungen - viele Männer in Rang und Würden in Adenauers Zeit waren vorher nationalsozialistische Funktionäre und begünstigten ihre Gesinnungsgenossen - kein Glück hatten. Das Missverhältnis, das darin besteht, dass Gleichgeschaltete und Offiziere oft Anrecht auf eine Pension hatten und Verfolgte des nationalsozialistischen Regimes sich eine Entschädigung für erlittenes Unrecht erst in jahrzehntelangem Ringen erkämpfen mussten, durchschaute sie nicht, weil sie es nicht durchschauen wollte. Sie war gewissenlos genug, um in den fortdauernden, erschwerten Existenzbedingungen der Gegner und Verfolgten ein Zeichen des Himmels zu sehen.

Politik und Weltgeschehen am 9. November


Hedwig Kiesler

Robert Blum


Verdrängung ist ansteckend, denn es ist die Sehnsucht nach Harmonie, durch die die Verdrängung bewirkt wird; diese Sehnsucht übt auf den Menschen einen Sog aus, durch den Familie und Harmonie über die Wahrheit gestellt werden soll (wie ja auch in den 10 Geboten die Ermahnung, die Eltern zu ehren, gegenüber einer Reihe anderer Gebote Vorrang hat, die das zivile Zusammenleben betreffen; nicht aber gegenüber den zu Anfang stehenden Geboten, die das Adyton selbst zum Gegenstand haben).

Meine Mutter hat die "Kristallnacht"" in Berlin erlebt. Obwohl ich seit meinem 15. Lebensjahr versuchte, die NS-Zeit zu verstehen, bin ich nie auf den Gedanken gekommen, meine Mutter zu bitten, mir ihre Erinnerungen an diese Nacht, oder zumindest an den Tag danach zu schildern. So stark kann die ansteckende Wirkung der Verdrängung sein. Es entsteht eine Starre, wie bei den verwunschenen Kindern in Grimms Märchen. Dass alle, die diesen Tag erlebt haben, wissen, wo und wie sie ihn erlebten, dessen bin ich mir sicher. Jeder weiß, wo er war, als er vom 11. September 2001 erfuhr. Jeder kann sich an die Mondlandung erinnern. In Deutschland gab es kein Fernsehen, als überall im Land Synagogen brannten. Dennoch bin ich felsenfest davon übereugt, dass an diesem Tag in Deutschland Millionen von Menschen Dinge sahen, die sie ihr Leben lang nicht vergaßen. Aber ich habe meine Mutter, die vor ein paar Jahren starb, nie danach gefragt, weil ich Angst vor ihr hatte, seit sie mir mit grauenhafter Härte und hasserfüllter Bestimmtheit mitgeteilt hatte, sie verachte diejenigen, die glaubten, dass wir Deutschen in Auschwitz Juden ermordet haben.

Die Verdrängung hat also nicht nur bewirkt, dass ich mein Vorhaben, sie über diese Nacht zu befragen, etwa immer wieder vergessen hätte, sondern sie bewirkte sogar, dass ich, solange meine Mutter noch am Leben war, vor lauter Angst nicht einmal auf den Gedanken kam, sie zu fragen. Ich wusste seit meiner Kindheit, dass meine Eltern die Hitlerzeit miterlebt hatten und sich nicht nur gut an sie erinnerten, sondern sie in guter Erinnerung hatten. Aber ich war schon über 40, als ich mir endlich bewusst wurde, dass sie die "Kristallnacht" miterlebt haben mussten: also nicht nur eine Zeit, in der unüberprüfbare Gerüchte an ihr Ohr kommen konnten, sondern ein einschneidendes Ereignis, dass sich ganz in ihrer Nähe vor ihren Augen abgespielt hat, und noch dazu in Berlin, falls sie nicht ausgerechnet woanders waren an diesem Tag. Im Ausland waren sie bestimmt nicht, denn sie haben Deutschland beide nie verlassen bevor der Krieg ausbrach, und der Krieg wurde für meinen Vater zum ersten Auslandsaufenthalt. Auch muss meine Mutter den gelben Judenstern gesehen haben. Ich habe sie, solange sie lebte, nie danach gefragt und werde nie wissen, was sie mir geantwortet hätte, und ich werde nie wissen, was sie dabei für ein Gesicht gemacht hätte. Aber ich kann es mir gut vorstellen. Denn glücklicherweise habe ich, als ich das richtige Alter dafür hatte (ich war inzwischen fast 40),  ihr gegenüber genug Dinge angesprochen, deren Beantwortung aufschlussreich wurde und es ermöglichte, ihr auf den Zahn zu fühlen, um der amorphen Wahrheit näher zu kommen und ihre Gestalt zu erkunden.

Um es zu tun, war eine äußerste Kraft- und Willensanstrengung nötig. Ich liebte sie sehr und sie liebten mich sehr. Und dieses Glück hat ja nicht jeder. In meinem Fall war dieses Glück gleichzeitig auch ein quälendes Unglück, das mich dazu zwang, mit der Wahrheit und mit der Sehnsucht nach Harmonie auf eine Weise zu ringen, für das mir ein einziger Vergleich einfällt, der vielleicht die hierfür nötige Anstrengung veranschaulichen kann: Jakobs Kampf mit dem Stellvertreter, Hologramm, Qui pro Quo, Engel, Alien Gottes am Fluss Jabbok, der in Genesis 32, 23 - 33 beschrieben wird. Ich kann versichern: dass man nach einem solchen Kampf hinkt, ist wirklich das Mindeste.


Nichts ist tröstlicher, als der erste Psalm in dieser Hinsicht. Wie sich überhaupt in den mythologischen Überlieferungen und in Boccaccios kurz nach dem Schwarzen Tod geschriebenem Dekameron oft brauchbarere und treffendere Texte finden, als bei der zeitgenössischen Psychologie, bei den deutschen Hirnforschern oder Robert Musil oder Richard David Precht. Vielleicht liegt es daran, dass der Schmerz die sogenannten "Ich-Zustände", die der letzte Schrei wissenschaftlicher Begrifflichkeit im Bereich des Seelenlebens sind, zusammenschweißt und die Alten noch eine Ahnung davon besaßen, die in Nordamerika und Nordeuropa nicht mehr zu finden ist. Boccaccio muss allerdings entweder im Original oder in Flaschs Übersetzung gelesen werden, und leider hat Flasch nur einige Novellen übersetzt. Seltsamerweise gibt es ausgerechnet in Luthers Land auch keine brauchbaren Bibelausgaben. Und ausgerechnet in einem atheistischen Land wie Frankreich gibt es eine Bibel mit einem der besten Fußnotenkommentare, den ich je gesehen habe: die Traduction Oecomenique de la Bible, kurz TOB genannt. Von dieser Bibel gibt es auch eine italienische Ausgabe, und in Italien gibt es noch mehrere andere hochinteressante Übersetzungen und Ausgaben, sogar eine Bibel, die die Anerkennung von Protestanten, Katholiken und Orthodoxen fand und zusätzlich auch noch die Zustimmung des Rabbiners von Rom erhielt. Allein die Bescheinigungen dieser verschiedenen religiösen Einrichtungen zu lesen, ist ein Erlebnis. Die deutschen Theologen machen sich zum Hanswurst des Zeitgeists, und es scheint in Deutschland keinen einzigen großen Schriftsteller zu geben, der in der Lage ist, ihnen die Stirn zu bieten. Aber aus Mathias Matussek und Martin Mosbacher könnte noch was werden.

Jakob und Romulus sind zwei Symbole des Überlebens. Der eine ist ein Betrüger, der zusammen mit der Mutter den eigenen Vater betrogen hat, der andere ein Mörder, der den eigenen Bruder umgebracht hat.

Späher


Maßstab

Spaemann ist einer der wenigen, bei denen die Zeit des Nationalsozialismus - ähnlich wie bei Loriots Beschreibung der "Reichskristallnacht" - so anschaulich wird, dass nuancierte Proportionen erkennbar werden.

Als 14-jähriger Gymnasiast erlebt er in der Straßenbahn, wie ein junger Mann einen würdigen Alten mit Judenstern lautstark von seinem Sitzplatz vertreibt, um sich statt seiner zu setzen. Spaemann war in diesem Augenblick klar, »dass es jetzt nur eine anständige Weise des Verhaltens gebe könne, nämlich aufzustehen und dem Herrn meinen Platz anzubieten. Ich tat das nicht. Ich blieb sitzen. Ich hatte Angst. Bis heute schäme ich mich. In diesem Augenblick erfasste mich eine ungeheure Wut. Eine Wut gegen die, die es fertiggebracht hatten, mich zu diesem unwürdigen Sitzenbleiben, zu diesem Sieg der Feigheit, zu veranlassen.«

Den 21. Juli 1944, als das Scheitern von Stauffenbergs Attentat bekannt wird, bezeichnet er als düstersten Moment seines Lebens. Falls Hitler siegte, hätte er Gärtner werden wollen. Misstrauisch recherchierte er bei Ostfrontsoldaten nach dem Verbleib der deportierten Juden: »Nach einem halben Jahr wusste ich Bescheid. Ich wusste, dass sie vergast wurden.« Sein Fazit: Die Deutschen wussten nichts, weil sie es nicht wissen wollten. Vieles an dieser Jugend erinnert dabei an die Erinnerungen von Joachim Fest an dessen Aufwachsen in einem ebenfalls katholisch-antinazistischen Elternhaus.

Die Lutheraner setzten sich selbst durch ihre Offenheit und Aufrichtigkeit schachmatt. Die doppelbödigen Katholiken blieben handlungsfähig. Selbst der vielgescholtene Pius XII rettete Tausende verfolgter Juden. Der damalige Rabbiner von Rom trat nach dem Krieg zum Katholizismus über und nahm Pius XII zu Ehren dessen Namen als Taufnamen an. Aber der Katholizismus ist nicht nur doppelbödig, sondern auch zweischneidig. Jakob Taubes trifft den Nagel auf den Kopf. Er sagte einmal, er habe lange darüber nachgedacht, was Adolf Hitler, Martin Heidegger und Carl Schmitt verbinde und sei zu dem Schluss gekommen, dass es der Katholizismus sei. Friedrich Heer würde dem wohl zustimmen.

Spaemann ist sehr konsequent und akkurat. Er feindet die 68-er im Moment ihrer vitalsten Stärke unmissverständlich und proportioniert heftig an und wird trotzdem Heinrich Bölls Freund. Als er mit seiner Frau einen Abend bei ihm verbringt, werden sie hinter vorgehaltenem Maschinengewehrlauf für Ulrike Meinhof und Andreas Baader gehalten. Je präziser man ist, desto mehr ist man den Gefahren ausgesetzt, die von der Plumpheit ausgehen. Egal ob man Jakob Taubes heißt oder Robert Spaemann.

Dienstag, 6. November 2012

Ladies and Germanies!