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Montag, 10. Dezember 2012

Stimmungsbild

 Die italienische Linke überlebt tatsächlich, weil sie selbst zum Sterben noch zu dumm ist. Italiens Problem war nie Berlusconi, sondern das Fehlen einer glaubwürdigen Sozialdemokratie. Die italienische Linke besteht aus Ex-, Post- und Nochkommunisten. Eine der wenigen löblichen Ausnahmen ist Matteo Renzi, Bürgermeister von Florenz und jüngster Bürgermeister Italiens. Kürzlich kandidierte er bei den Urwahlen der Linken gegen den aus der Szene der kommunistischen Gewerkschaft stammenden Grufty Pier Luigi Bersani (mit dem Peer Steinbrück kurz zuvor in Mailand vor die Kameras getreten war, was nicht für Bersani, sondern gegen Steinbrück spricht). Im Rahmen der Urwahlen kam es zu einem Fernsehduell zwischen Bersani und Renzi. Bersani gab der Moderatorin auf ihre Fragen nur müde Gemeinplätze zur Antwort. Renzi brillierte mit Dynamik und mit treffenden Formulierungen, die den Stand der Dinge hervorragend veranschaulichen und zusammenfassen. Trotzdem verlor er die Urwahl!!! Er war schlicht und einfach zu intelligent und lebendig für die tumben Zombies, die in den linken Parteien militieren.

In der Gewissheit, dass sein wichtigster Gegenkandidat nun Bersani sein wird, tut Berlusconi allerdings gut daran, abermals zu kandidieren. Im Vergleich zu Bersani ist Berlusconi, obwohl an Jahren älter und ohne den einstigen Glanz immer noch ein junger, dynamischer Politiker. Gegen Renzi hätte es keinen Sinn gehabt zu kandidieren, und er hätte es gewiss bleiben lassen. Aber jetzt hat er wieder eine große Chance. Nicht, die Wahlen zu gewinnen. Das wohl nicht. Aber weiterhin persönlich ein spürbares Gewicht zu behalten, ohne es seiner rechten Hand, dem brillanten Angelo Alfano (den ich für den Wunschkandidaten der Mafia halte) delegieren zu müssen. Als Mario Monti sein Amt antrat, sagte Berlusconi: "Wir können ihm den Strom ausschalten, wann wir wollen." Monti antwortete, er glaube nicht, ein elektrisches Haushaltsgerät zu sein... Aber jetzt hat Berlusconi, der ihm bisher aus Staatsräson die Stange hielt, den Strom ausgeschaltet.


Allein die Sachzwänge und spontaner, passiver Widerstand werden dafür sorgen, dass Südeuropa in den kommenden Jahrzehnten Europa so konditionieren wird, wie Süditalien es mit Italien macht. Vermutlich sogar in größerem Ausmaß, da sich Verantwortung im anonymen, europaweiten Kontext noch sehr viel mehr verflüchtigt als innerhalb Italiens, wo ein letzter Rest nationaler Loyalität das endgültige Ausufern bremst.

Berlusconi wird es sich nicht nehmen lassen, "linke Politik" zu machen und das Tauziehen zwischen Norden und Süden offiziell zu machen, unausgesprochene Grundüberzeugungen Südeuropas klar und unüberhörbar immer wieder auszusprechen. Daniel Cohn-Bendit wird nolens volens mit Berlusconi am selben Strang ziehen müssen, wenn er sein Gesicht nicht verlieren möchte (genau wie Gysi und Gabriel und am Ende auch Peer Steinbrück). Mario Monti wird wegen der auferlegten Opfer, die so manchen Rentner in den Selbstmord trieben, auch von besonnenen, klugen Italienern zunehmend als Handlanger Deutschlands angesehen. Der Satz "Was schert mich der Spread!" macht die Runde, ist immer häufiger zu hören und immer wütender.


Die Tatsache, dass die Roten Brigaden im Gegensatz zur RAF (die nur bei der SED Rückhalt hatte) eine gewisse Zustimmung in der italienischen Bevölkerung genoss (und in Umbrien, der Toskana und Emilia-Romagna immer noch genießt), sollte man nicht unterschätzen. Auch sollte man sich keine Illusionen darüber machen, dass die Italiener eher deutschfeindlich als deutschfreundich gesinnt sind und als Beispiele für Deutschfreundlichkeit heute immer noch vor allem Mussolini und dessen Tochter Edda gelten. Markus Lanz arbeitet ja auch nicht fürs italienische Fernsehen, sondern fürs deutsche, denn die römische Deutschfeindlichkeit hätte ihm bei der RAI nie eine Karriere ermöglicht, zumal der Unterhaltungssektor fest in apulischer Hand ist. Und deutschfeindlichere Menschen als die Apulier gibt es nicht. Klaus Davi ist praktisch der einzige, der sich manchmal bemüht, den Italienern deutsche Denkweisen nahezubringen. Wenn es etwas gibt, was im italienischen TV fast nie zu sehen ist, dann sind es wir Deutschen und diejenigen Italiener, die Deutschland gut kennen, wie zum Beispiel Franco TatòGiuseppe Vita oder Roberto Giardina. Wie es ja auch nicht zu übersehen ist, dass die Türken - deren "Migrationshintergrund" eigentlich eine sehr viel größere kulturelle Distanz zu uns mit sich brachte - sich viel besser in unsere Gesellschaft - sogar in Film, Literatur, Medien und Politik - eingegliedert haben als Kalabresen, Apulier und Neapolitaner.

Ein Freund von mir aus Ferrara, der in Mailand an einer Universität Geschichte unterrichtet, sagt immer ironisch-kynisch zu seinen italienischen Mitbürgern "Warum haben wir die Österreicher weggejagt, wenn wir es nicht schaffen, uns selber zu regieren?" Wenn wir selbstzufrieden über diese Bemerkung schmunzeln und dabei an Radetzky denken, der Italien liebte und Norditalien von Mailand aus regierte (und die Bistecca alla milanese angeblich in Wien als Wiener Schnitzel einführte; ich halte das für ein gehässiges italienisches Gerücht), sollten wir uns auch daran erinnern, dass Sissi von Luigi Lucheni ermordet wurde, und dass Giovanni Passannante vor kurzer Zeit quasi rehabilitiert wurde, als unter Prodis Regierung sein erzkommunistischer Justizminister (der unter Bersani wieder zu Amt und Würden kommen könnte) die Überführung von Passannantes in Formalin liegendem Gehirn bewilligte und zur Beerdigung freigab.


Roadmap: Italien möchte die Eurobonds. Angela Merkel sagte "Solange ich lebe, wird es keine Eurobonds geben!". In italienischen Ohren ist das sozusagen eine Aufforderung zum Attentat. Peer Steinbrück wird Angela Merkel nicht erdolchen, aber er könnte zu Italiens Interessenvertretung werden und derjenige sein, der - statt die Ausbreitung von Mafia und Geldwäsche zu bekämpfen - die Einführung der Eurobonds, die Joschka Fischer schon beschlossen hat, tatsächlich beschließt.

Erfreulich ist, dass - wie ich im Mai 2010 begann zu hoffen - sich einige Persönlichkeiten mit politischem Gewicht offen für Mario Monti ausgesprochen haben und zwar nicht nur für den politisch neutralen Experten und "technischen Gouverneur", wie man die Übergangslösungen nennt, die in Italien zustandekommen, weil die Polarisierung im Parlament immer zu groß ist, um die Große Koalition zu ermöglichen, durch die bei uns die Entstehung eines Exekutivvakuums verhindert wird, sondern für den Politiker Monti. Mit anderen Worten, Montezemolo, Buttiglione, Fini und Pisanu (ehemals Innenminister Berlusconis und einer seiner besten Männer) glauben an Montis politisches Projekt, und das ist ein gutes Zeichen. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass Monti genau so endet wie Lamberto Dini, der vor 10 Jahren mein Lieblingspolitiker war, ist immer noch hoch.

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