Stationen

Mittwoch, 26. Juni 2013

Schmidt und Kappler


Helmut Schmidt erinnert zu Recht daran, er habe, als er Italien 1976 Geld lieh, von Italien als Garantie Italiens Goldreserven gefordert. Griechenlands Goldreserve dagegen ist schlicht und einfach der deutsche Steuerzahler.

Was Schmidt unerwähnt lässt, ist, dass er das Darlehen nicht nur an diese Garantieforderung knüpfte, sondern auch an die Freilassung von Herbert Kappler. In Italien wurde dieses Staatsgeheimnis mittlerweile gelüftet (einige der vom italienischen Geheimdienst damals beauftragen Agenten sagten im Fernsehen aus), weil Deutschland seit einiger Zeit angefangen hat, so zu tun, als könne es kein Wässerchen trüben. Die Freilassung Kapplers wurde auf Weisung von Forlani, Moro oder Andreotti (wer genau dahinter stand, ist nicht bekannt) als Flucht inszeniert, die Kapplers Frau Anneliese vorgab, am 15. August 1977 alleine organisiert zu haben.

Weshalb wurde sie als Flucht inszeniert? Weil eine offizielle Anerkennung des Gnadengesuchs zu große Proteste bei der italienischen Bevölkerung ausgelöst hätte.


Ich kann mich noch sehr gut an die Nachricht im Sommer 1977 erinnern, die ich damals in Konkret las. Das Darlehen wurde mit keinem Wort erwähnt, und dafür eine unglaubhafte Geschichte erzählt: Kappler sei von seiner Frau in einem Koffer aus dem Krankenhaus getragen worden. Nicht "gebracht" stand dort - Koffer mit Rollrädern gab es ja bereits - sondern wortwörtlich stand dort "getragen". Es klang sehr unglaubwürdig, aber die Version im Stern und im Hohenloher Tagblatt und der FAZ war auch nicht viel einleuchtender. Es klang irgendwie alles undurchsichtig und unplausibel. Ich verstand damals auch nicht, weshalb die Italiener so entsetzt waren über die Flucht eines alten, anscheinend kranken Mannes. Was genau er verbrochen hatte, wurde in keinem der Beiträge mitgeteilt. Ich verstand es auch drei Jahre später nicht, als ich in Italien lebte und der Fassungslosigkeit italienischer Juden zuhörte. Mit der Zeit gab es dann Fernsehproduktionen, die die Geschehnisse damals in Rom veranschaulichten. Heute verstehe ich nicht, dass sich ausgerechnet Heinemann an die italienische Regierung gewandt hatte, um Kapplers Freilassung zu erwirken und, als dies erfolglos blieb, Schmidt drei mal intervenierte, bevor er schließlich seinen Willen bekam, als er das Darlehen an die Forderung band, Kappler freizulassen. Dass dieses Detail in Deutschland völlig unbekannt ist, spricht Bände über die deutsche Mediensituation und unsere Mentalität. Manchmal sind die ach so nüchternen, der objektiven Berichterstattung verpflichteten, sich "mit keiner Sache, auch nicht mit einer guten gemeinmachen wollenden" bundesrepublikanischen Journalisten, egal ob konservativ, liberal, sozialdemokratisch, evangelisch, buddhistisch oder marxistisch heuchlerischer und doppelbödiger als die Katholiken, und unsere deutsche Omertà undurchdringlicher als die der Sizilianer. 

Hitler, Himmler, Heß und Heydrich werden täglich durch den Dreck gezogen, und diese Geschichte der 70er Jahre wird weggeschwiegen. Warum? Wenn es eine rühmliche Geschichte ist, weshalb wird sie dann nie erzählt? Wenn sie unrühmlich ist, weshalb geschah sie dann überhaupt? Selbst die katholische Kirche und die evangelische Kirche hatten unabhängig voneinander zuvor schon Gnadengesuche für Kappler eingereicht. Damals wartete Rudolf Heß noch in Spandau auf den Tod. Hat man sich um ihn auch so fürsorglich bemüht? 

Kappler war außergewöhnlich intelligent und gebildet. Der einst von ihm verfolgte Monsignore Hugh O’Flaherty besuchte ihn monatlich im Kerker und bekehrte ihn zum Katholizismus. Er begann pädagogische Lehrmittel für Behinderte im Gefängnis zu entwickeln. In den 70er Jahren entstand in der BRD ein Freundschaftsverein Herbert Kappler mit 6500 Mitgliedern, und die 18 Jahre jüngere Tochter eines ehemaligen Kameraden verliebte sich in ihn. Er hatte Charisma. Vielleicht ist das schon die ganze Erklärung?

Aber dass die Wirtschaftsmacht die Rechtsprechung bei dieser Geschichte mit Füßen trat, steht auf einem anderen Blatt, und es wurde von beiden Regierungen in Kauf genommen. Rühmlich ist das nicht und demokratisch erst recht nicht. Abstoßend an der ganzen Geschichte ist das völlige Fehlen freimütiger Offenheit, dass ich gerade dem sonst so unverblümt daherredenden Schmidt Schnauze nicht zugetraut hätte.

Neun Jahre nach Kapplers Befreiung war Schmidt einmal privat in Italien und gab im TV ein langes Interview in englischer Sprache. Er sagte bei dieser Gelegenheit, er habe lange gebraucht, um zu verstehen, dass es für Italien erst recht eine Verschlimmerung bedeutete, wenn der italienische Staat gestärkt würde. Das war de facto eine seufzende Befürwortung des in Italien üblichen augenzwinkernden Umgangs mit der Gesetzlichkeit. In der Tat, wenn die italienischen Gesetze wirklich angewendet werden, hat man jedes Mal das deutliche Gefühl, tatsächlich in der Hölle zu sitzen.

Proteste gab es natürlich trotzdem wegen dieses Fluchtcoups hinter dem damals auch sofort jemand Machenschaften des Geheimdienstes vermutete, was mir einfältigem Deutschen als eine völlig abwegige Verschwörungstheorie vorkam, da ich darin keinen plausiblen machiavellistischen Sinn erkennen konnte. Aber eine offizielle Freilassung hätte sehr viel größere Proteste ausgelöst und zu politischer Instabilität in einem sehr heiklen Moment geführt. Genau darin lag der "plausible Sinn", den ich übersah. All dies ist völlig undemokratisch.




Tu quoque?

Grün und Grau

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