Stationen

Dienstag, 31. Dezember 2013

Sprachlos

Bei der Darlegung der Einzelheiten zögert er zunächst, denn ihm selbst kommt die Kühnheit seines utopisch wirkenden Konzepts bedenklich vor, doch dann gibt er dem hartnäckigen Drängen der anderen nach. Den Ausgangspunkt bildet der Grundsatz, dass die Tüchtigkeit und Tugendhaftigkeit nicht geschlechtsbezogen ist, sondern für alle Menschen gleich. Die darauf abzielende Ausbildung muss somit für Männer und Frauen gleich sein, und beide Geschlechter sind soweit irgend möglich zu denselben Übungen und Aufgaben einschließlich des Kriegsdienstes heranzuziehen.

Begabungen und Charaktereigenschaften sind individuell, nicht geschlechtsgebunden. Spezifisch weibliche oder männliche Beschäftigungen gibt es nicht. Daher soll es beim gemeinsamen Üben auch keine Trennung der Geschlechter geben. Es sei eine homogene Gemeinschaft von Männern und Frauen zu bilden.
Dies nennt er die „erste Woge“ von Konsequenzen des neuartigen Gedankenguts, die in diesem Diskurs heranbrandet.

Noch gewaltiger ist die „zweite Woge“, die nun folgt: die Einzelheiten der konsequenten Aufhebung des Familienlebens. Die Kinder dürfen nicht wissen, wer ihre Eltern sind. So wie die Erziehung soll schon die Fortpflanzung planmäßig organisiert werden, wobei eugenische Gesichtspunkte maßgeblich sind; Menschen sind in Analogie zur Zucht der Nutztiere zu züchten.

Damit das Erbgut optimiert wird, sollen sich die besten Männer mit den besten Frauen zur Fortpflanzung verbinden und möglichst viele Kinder zeugen. Die Regeln, die dabei anzuwenden sind, sollen nur die Herrscher kennen, da sonst leicht Unmut und Zwist unter den Wächtern entstehen könnten.
Die Kinder werden ihren Müttern gleich nach der Geburt entzogen und von Ammen und Pflegerinnen betreut. Das Stillen wird von den Müttern gemeinsam besorgt, wobei keine ihr eigenes Kind erkennen soll. Die Funktion der Familie übernimmt vollumfänglich die Gemeinschaft. Behinderte und erblich belastete Kinder werden nicht aufgezogen, sondern  „verborgen“.


 Da dreht sich einem der Magen um. Vor allem, weil nicht von Marx oder Himmler die Rede ist, von denen man es ja kaum anders erwarten würde. Auch Sparta oder Νεφελοκοκκυγία (Nephelokokkygia) sind nicht die Orte, an denen diese abscheulichen Utopien entstanden, sondern das Gehirn von Sokrates. Von dem Sokrates, den Schulz noch über Jesus Christus stellt. Ich las vor langem einmal das "Kommunistische Manifest" und traute meinen Augen nicht, als ich von der Absicht las, die Frauen zu vergemeinschaftlichen. Aber dass diese Schnapsidee keine Perversion sozialistischer Ideologen ist, sondern auf Sokrates zurückgeht, macht mich sprachlos.

Quasi in nuce


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