Stationen

Dienstag, 18. März 2014

Ich bin sehr enttäuscht

Es war mir von Anfang an unverständlich, weshalb die Wehrpflicht abgeschafft werden sollte. Dass konventioneller Krieg wahrscheinlicher wird, wenn nuklear abgerüstet wird, ist eine Binsenweisheit der Abschreckungspsychologie: im Kalten Krieg wird nicht zu den Waffen gegriffen, solange alle potentiellen Kriegführer die Eskalation und die Second Strike Capacity fürchten müssen.

Ich verstand daher auch die triumphalen Kommentare damals nicht, als Russen und Amerikaner ihre Truppen aus Deutschland abzogen und uns uns selbst überließen. Dieser Ton änderte sich nicht einmal, nachdem der Kossowo uns aus dem Schlaf gerüttelt hatte. Und die Abschaffung der Wehrpflicht als zeitgemäße Rationalisierung nach 9/11 zu bezeichnen... ich verstehs nicht.

Einmal abgesehen davon, dass man gerade dann, wenn man nuklear abrüstet, konventionell aufrüsten muss, am besten bis an die Zähne bewaffnet sein sollte, solange man kein tragfähiges gemeinsames politisches Projekt mit dem Gegner hat, gab es auch noch andere als rein militärische Gründe, die Wehrpflicht beizubehalten:

Weil sie ein wichtiges Zusammengehörigkeitsgefühl fördert, während eine Berufsarmee den Trend der Abkoppelung und Verdrängung militärischer Notwendigkeiten aus unserem Alltagsbewusstsein - den es in dem Ausmaß nur im traumatisierten Deutschland gibt - zusätzlich verstärkt.
Weil dieses bürgerliche, demokratische, nationale Zusammengehörigkeitsgefühl besser ist als die neokolonialistische Option, ausländische Prekarier einzustellen (dass eine Bürgerwehr besser ist als Söldner, hat sich auch nach Machiavelli nicht geändert; obwohl nicht alles zeitlos wahr bleibt, was Militärtheoretiker einmal erkannten: Zum Beispiel ist der Nuklearkrieg nicht mehr "Fortführung der Politik mit anderen Mitteln", sondern, wo die Gefahr nuklearer Eskalation herrscht, ist der Krieg selbst zum Hauptfeind geworden).
Aus überzeugtem Pflichtbewusstsein
Aus bürgerlichem Bewusstsein
Um die Eskalation des rein militärischen zu verhindern
Um die Erinnerung an Germania felix zu pflegen
Um die Gefahr von self fulfilling prophecies nicht zusätzlich zu erhöhen
Um Prädestination zum Verhängnis zu vermeiden

Seit der Wiedervereinigung macht Deutschland in der Verteidigungspolitik das genaue Gegenteil dessen, was richtig wäre. Und die VerteidigungsministerInnen Guttenberg, De Maizière, von der Leyen... einInn schlimmer als der anderInn.

Die Wehrpflicht wird wieder kommen,

Dass ich persönlich lieber einen konventionellen Krieg erlebe (und dabei hoffentlich unter den Gewinnern bin), als mich darauf zu verlassen, dass ein Nuklearkrieg, der Deutschland dem Erdboden gleich machen würde) nie stattfindet, steht auf einem ganz anderen Blatt.

Dass ein deutscher Verteidigungsminister den deutschen Soldaten, die ihr Leben in einem Krieg wagen, die diesen Krieg nicht einmal Krieg nennen dürfen, weil es mittlerweile zur Regierungsroutine gehört, Rechtsvorschriften spitzfindig auf den Kopf zu stellen, und die auch noch tagtäglich angepisst werden, so als seien sie in ethischer Hinsicht sowieso a priori unterste Schublade, dass ein deutscher Verteidigungsminister diesen Soldaten vorhält, sie "gierten nach öffentlicher Anerkennung" und nach dem "Hotel Mama", macht mich sprachlos.

In Italien leugnet niemand, dass man sich an Amerikas Seite im Krieg befindet, die Soldaten gehen gerne auf Heimaturlaub, sie werden selbst von den Kommunisten nicht kaltschäuzig herabgesetzt, und man hat Verständnis für ihre Leiden, ohne sie zu heroisieren oder zu verherrlichen. Wenn besonders viele fallen, ehrt man sie an der marmornen Schreibmaschine, und die RAI überträgt den Trauerabend im Fernsehen. Und die italienischen Frauen werfen ihren Männern nicht vor, sie seien Feiglinge, wenn sie an Alpträumen leiden, wie es deutsche Soldaten erleben müssen.

Die Operation Heimkehr ist nur deshalb ein Problem, weil im Allgemeinen bei uns Deutschen Empathie atrophiert ist und im Speziellen, weil es mittlerweile zum guten Ton gehört, sich nicht für Soldatenschicksale zu interessieren und als unschicklich empfunden wird, wenn man es trotzdem tut. Des Rechtsradikalismus verdächtigt zu werden, ist das Mindeste, was man zu erwarten hat.

Ich bin sehr enttäuscht. Bin ich mehr von der Hybris des Westens enttäuscht oder mehr von der Dummheit des Westens? Ich weiß es nicht. Die Niveaulosigkeit der Fernsehdebatten kann einem Angst machen. Peter Scholl-Latour ist der einzige, der seine Gesprächspartner daran erinnert, dass die EU kein politischer oder gar militärischer Machtfaktor ist. Das müsste eigentlich für alle Teilnehmer der Talkshow eine Selbstverständlichkeit und eine allgemein als solche empfundene Prämisse der Auseinandersetzung sein. Enttäuscht bin ich auch über die flapsige Berichterstattung. Putin hat heute eine glänzende Rede gehalten, in der er den Putschversuch in Kiew als russlandfeindlich, neonazistisch und antisemitisch bezeichnete. Niemand, der auch nur einen Faden gesunden Menschenverstand besitzt, kann sagen, da habe er nicht recht. So bitter es auch ist. Der Westen macht sich lächerlich mit seinen Sanktionen, und er schneidet sich dadurch ins eigene Fleisch. Was haben wir alles für Rechtsbrüche in den vergangenen Jahren hinter uns gebracht! Und jetzt gehts auf einmal ums Prinzip, weil jemand das Volk hat abstimmen lassen. Es ist nicht zu fassen. Putin hält unseren Nasenring fest in seiner Hand und führt uns durch die Manege.

Anschluss

Wunscherfüllung

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