Stationen

Freitag, 11. April 2014

Erinnerungen

Am Giovedì (oder genauer, am Gianodì, dem Dies Jani) ist wieder Krieg zwischen Deutschland und Italien. Es ist immer wieder dasselbe. Fußball ist das Einzige, was den Italienern wirklich wichtig ist (abgesehen von Sex und Spaghetti), und sie zwingen uns durch ihre penetrante Unangemessenheit immer wieder, dieses Spiel ebenfalls ernster zu nehmen, als wir eigentlich wollen. "Drüber stehen" ist völlig unmöglich, wenn die Fairness nicht nur auf dem Spielfeld, sondern auch im Umfeld mit Füßen getreten wird.


Bei einem Schulausflug 1974 nach Südtirol musste unser Bus über eine Stunde am Zollbüro Brenner warten, obwohl es keine Autoschlange gab. Damals, als wir noch eine gute Fußballmannschaft hatten, hatte am Vortag Deutschland ein Spiel gewonnen, das den Italienern nicht ins Konzept passte, und damit erklärte sich der Busfahrer die lange Wartezeit.
Ich fragte mich damals noch, ob er da nicht vielleicht etwas übertreibe, obwohl ich bereits damals instinktiv spürte, dass der deutsch-italienische Gegensatz einer der Fundamentalgegensätze des Planeten ist, die immer fortbestehen werden und jenseits des aufgeklärten Gefasels der Soziologen über "Geoklischees" das Verhältnis zur Wahrheit prägen werden, das jeder Mensch auf diesem Planeten einnimmt.

Später musste ich oft an seine Worte denken. Es ist wirklich nicht schön, was die Italiener im Zusammenhang mit Fußball empfinden, machen und denken, und was für Empfindungen sie - unwillkürlich oder ganz gezielt - in anderen wachrufen. Besonders krass im Fall von Zidane. Beweisen kann man es nicht, aber ich weiß ganz genau, was der damals über sich ergehen lassen musste. Er hat nicht überreagiert, er hat angemessen reagiert. Die Geschicklichkeit der Italiener besteht ja gerade darin, diejenigen, auf die sie es abgesehen haben, durch unbeweisbare Gemeinheiten im Verborgenen so zu provozieren, dass diese riskieren sich dann vor aller Augen auf eine Weise zu verhalten, durch die sie diskreditiert werden. Wir Deutschen sehen in Italien den Angstgegner, weil sie uns psychologisch überlegen sind. Klinsmann hat begriffen, dass wir viel von ihnen lernen können und hat die deutsche Mannschaft mit dem Ziel trainiert, das Gute, dass er in Italien erkannt und erlebt hatte zu übernehmen und das Schlechte dabei nicht zu übernehmen.


Ich fand Desmond Morris' Behauptung, der Fußball ersetze in Friedenszeiten den Krieg, eigentlich immer abwegig, als ich sie in den 70-er Jahren hörte.

1982 fiel mir zum ersten Mal der martialische Ton auf, mit dem in Italien über die deutsche Mannschaft gesprochen wurde. In Deutschland ahnt ja kein Mensch, dass unsere Spieler in Italien immer gerne als Panzer bezeichnet werden, die "zwar nicht schön spielen" aber "auf Grund der Körperkraft oft gewinnen". Man sollte es nicht für möglich halten, aber die sehen uns immer noch genau so, wie Julius Caesar die Germanen beschrieb: ungeschlacht, aber furchterregend weil groß und stark. Obwohl die bessere Ernährung nach dem Krieg auch in Italien die Körpergröße anhob und es die "kleinen Italiener" von Cornelia Froboess nur noch in Sardinien manchmal gibt. Die Statistiken der Heeresmusterung lassen keinen Zweifel an dieser Entwicklung zu.

Interessant ist in diesem Zusammenhang übrigens, dass einerseits die Germanen zu Caesars Zeiten so groß nicht gewesen sein können, da ihre Ernährung damals 1. sehr viel schlechter war als die heutige der Schwaben, Chatten, Friesen und Dänen und 2.  vor allem viel schlechter als die der Römer, deren Nahrung zwar nicht so gut war wie in unserer Zeit der "ständigen Lebensmittelskandale" aber immerhin schon auf einer zuverlässigen Transportlogistik fußte, durch die Vitamine und Delikatessen aus dem herrlichen Süden in den grauen Norden gelangten. Und andererseits, dass trotz dieses nahrungsbedingten Kleinwuchses der Germanen bereits Nero als Leibgarden lange Kerls aus Germanien (in seinem Fall Bataver, also Holländer) bevorzugte.
Mit anderen Worten, trotz schlechter Ernährung waren die Germanen DNS-bedingt hochgewachsenere Menschen: eine andere Rasse. Pseudowissenschaftliche Klugscheißer mit abgeschlossenem Biologiestudium werden mich zwar darauf hinweisen, der Begriff "Rasse" sei unwissenschaftlich, wenn man über Menschen spreche. Aber das ändert nichts daran, dass es bei Menschen nicht anders ist als bei Hunden, Pferden, Hühnervögeln und anderen Nutztieren. Übrigens stirbt durch die derzeit übliche Agrarpolitik weltweit jeden Monat eine Nutztierrasse aus!

Diese Vorliebe für hochgewachsene Krieger war also kein Spleen von Friedrich Wilhelm I., sondern eine Neigung vieler Herrscher, die wahrscheinlich nicht erst mit Nero begann und die jedenfalls auch nach Nero bestand. Wegen des Bataverauftsands, der noch in Neros Regierungszeit fiel, wurde der Brauch, Germanen wegen ihrer Größe und kämpferischen Fähigkeiten als kaiserliche Leibgarde zu benutzen, erst einmal aufgehoben. Er wurde aber später bald wieder aufgenommen. Wie alles, was schön ist, starb auch dieser Brauch nicht aus. Man hört ja auch nicht damit auf, Porsche zu fahren, bloß weil manchmal jemand damit gegen eine Wand fährt.

Abgesehen davon ist die These von Desmond Morris genau die seichte, sich mit dem Unwesentlichen begnügende Betrachtungsweise von "Occam's Razor", die mir an den Angelsachsen, besonders an den Amerikanern, so oft auf die Nerven geht.


Aber mir ist erst vor einem Jahr klar geworden, was genau an dieser These tatsächlich richtig ist, und zwar als ich las, dass Uwe Seeler nur eine einzige rote Karte in seiner gesamten Karriere gesehen hat. Als zwischen den europäischen Staaten Krieg noch eine Eventualität war, mit der man selbstverständlich rechnete, war Spiel in viel höherem Masse als heutzutage Spiel, und der Respekt der Fairness und die Einhaltung der Regeln waren noch in hohem Masse heilig und selbstverständlich, weil das Spiel tatsächlich ein ziviles Kräftemessen war, dass auf feine Weise parallel und alternativ zum Krieg bestand (ganz abgesehen davon, dass es sowieso erst seit 1872 Länderspiele gibt). Auch insofern die Identifikation einer Nationalmannschaft mit der Nation damals höher war. Diese Identifikation ist allerdings nur in Deutschland verkümmert. Bzw. sie ist zum Siegeswille zusammengeschrumpft: so wie man bald ausländische Söldner in den Krieg schicken möchte, die sich nicht mit Deutschland identifizieren und denen die deutsche Nationalhymne scheißegal ist, genauso lässt man jetzt schon bei Länderspielen gerne die Tore von Türken, Polen und Tschechen schießen, denen die deutsche Nationalhymne auch 10 mal weniger bedeutet als die türkische, polnische, tschechische. Im Zweifelsfall bekommen sie einen deutschen Personalausweis sogar dann, wenn sie ihn gar nicht wollen. Die Gesichts- und Identitätslosigkeit des deutschen Volkes hat sich wie ein Geschwür in die Seele der Deutschen gefressen.

Da das Einzige, worauf man in Deutschland noch so stolz ist, dass allen dabei der Mund ob des vollen Herzens übergeht, die vielgepriesenen "Ecken und Kanten" sind und diese ewig verklemmten Menschen, sobald sie mal unbefangen werden, auch sofort, vorhersehbar und unvermeidlich auf Kosten anderer ihre Unbefangenheit entdecken,  und da selbst junge 20-jährige Gören mit "natürlicher" Dreistigkeit von alten Damen über 70 (ganz zu schweigen von älteren Herren) dieselbe Ehrerbietung fordern, die eigentlich nur letztere erwarten dürften, und da nicht absehbar ist, dass die Verherrlichung schlechter Manieren in der Rüpelrepublik (wo alle immer scheißfreundlich sind, weil es sich so gehört und man dadurch am besten alle auf Distanz hält) ein Ende finden könnte, wünscht man sich fast, dass die Deutschen sich endlich abschaffen und so schnell wie möglich vom Erdboden des "Standorts Deutschland" verschwinden. Dieses erbärmliche Spektakel ist zu peinlich, um von irgendjemandem ertragen oder gar gebilligt werden zu können.


In den 60ern, als Uwe Seeler spielte, waren wir noch so nahe dran an der innereuropäischen Aera des Kriegs, dass die hohe Identifikation mit der Stadt, aus der man stammte und für die man spielte (es war für Uwe Seeler noch undenkbar, für eine andere Stadt als Hamburg zu spielen oder gar in einem anderen Land) einen zum Botschafter seiner Stadt machte, für deren Ruf man sich verantwortlich fühlte. Deshalb war es Ehrensache, nicht faul zu spielen.

Aber dann breitete sich immer mehr der Frieden aus: das Spiel wurde immer mehr zum Krieg. Die Italiener erfanden das strategische Faul. "Fallo strategico" heißt das Faul, durch das die Gewinnchancen erhöht werden und daher seine festen Platz im spielstrategischen Kalkül hat. Fachsimpelnd wird außerdem auch von "cercare il fallo" gesprochen, also von einer Spielweise, bei der das Faul "gesucht" wird, bei der der Gegner in einer Zwangslage landen soll, in der es für ihn sehr schwierig wird, eine Regelverletzung zu vermeiden. Kurz gesagt, der Gegner soll beim "cercare il fallo" ständig riskieren, den anderen zu treten oder sonst eine unfaire Regelverletzung zu begehen, die dem italienischen Angreifer zum Vorteil wird, weil der Schiedsrichter einen Freistoß oder Elfmeter pfeifen muss. Sind die Italiener aufrichtiger, weil sie die Dinge unverblümt beim Namen nennen? In Italien besteht kein Zweifel darüber, dass genau dies der Fall ist. So zerstritten man in Italien auch sonst sein mag, hierüber herrscht Einigkeit.

Umberto Eco sagte einmal über 1968, dass dieses Jahr in Frankreich 1 Jahr dauerte, in Deutschland 2 und in Italien 10. Sehr treffend gesagt. Und dann brauchten die Italiener nochmal zehn Jahre, von 1978 bis 1988, um mit der Tatsache fertig zu werden, dass 1968 endgültig finito sei. Das war der sogenannte "riflusso", der damals in aller Munde war. Aber das nur nebenbei, weil in diesen 20 Jahren, und danach erst recht, in Italien der Fußball immer das Einzige gewesen ist, was wirklich ernst genommen wurde. Und so richtig brach der Friede ja tatsächlich erst mit 1968 aus. Nirgendwo in Europa kam es in den 10 Jahren von 68 bis 78 zu einem vergleichbaren Verfall der Sitten wie in Italien. Nirgendwo anders in Europa. Nirgendwo. Den Anstand der Spanier und Portugiesen sucht man in Italien vergeblich. Der Kommunismus hat in Italien nicht nur die Manieren ruiniert, exakt wie der Autoritarismus Francos und vor allem des klugen Gentlemans Salazar nicht nur die guten Manieren bewahrt hat.


Jedenfalls hat der Frieden den Fußball ruiniert und aus einem Spiel ein Kriegsritual werden lassen. Damals, als Morris seine These formulierte, war sie plump, stumpfsinnig und abwegig, wie so vieles, was aus angelsächsischen Psychoküchen kommt, und es handelte sich auch nicht um eine sich selbst erfüllende Prophezeihung.

Aber mit der Zeit kam das blinde Huhn dann doch zu seinem Korn. Und das hat Morris vor allem den friedliebenden Italienern zu verdanken, die sich in Kriegszeiten mit Mussolinis Ausflüchten im Zustand der Non-belligeranza (eine geniale NichtFisch und NichtFleisch Position zwischen Neutralität und Bündnispartnerschaft im Kriegszustand) hervortaten und in Friedenszeiten mit Bandenkriegen, diplomatischen Zusammenstössen und Fußballstrategien die vorherige Zurückhaltung wieder ausgleichen.

"Was du machst pfeifen??? Nicht das warr Faul!!"

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