Stationen

Montag, 22. Dezember 2014

21.12. 2014



Jetzt ist Udo Jürgens also gestorben. Schon vor ein paar Jahren versuchte ich mir manchmal vorzustellen, wie es wohl sein würde, ohne ihn weiterleben zu müssen. Und doch trifft mich sein Tod mit der befürchteten Heftigkeit.

Lieber Udo Jürgens, schön, dass du von uns gehen konntest, ohne leiden zu müssen. Lieber Udo Jürgens, ich danke dir für alles, was du für uns getan hast. Du warst einer der wenigen Menschen, deren Kunst mir half, meine Geschwister zu ertragen und ihnen zu verzeihen, mein Land und die Gegenwart aus vollem Herzen zu lieben und generell, die Wirklichkeit so zu akzeptieren, wie sie ist, und nicht nur so, wie wir sie gerne hätten. Lieber Udo Jürgens, ich danke dir dafür, dass du einer der wenigen deutschsprachigen Künstler warst, die sich nicht vom Augenblick fressen ließen und genug Tuchfühlung mit dem Zeitlosen bewahrten, um bis zum Schluss nie aufzuhören weiterzureifen. Ich danke dir, dass du fast der einzige deutsche Künstler deiner Zeit warst, der den Mut hatte, Gefühle zu zeigen, ohne dadurch zur Verblödung (der Eliten wie der Massen) beizutragen. Und ich danke dir dafür, dass du Würde bewahrt hast und dich nicht von der sektiererischen Industrie der Kunstkritiker, -historiker, -theoretiker, -händler und -schaffenden hast vereinnahmen lassen.



P.S.: Übrigens war Udo Jürgens der einzige im deutschsprachigen Raum, der ein bisschen Berlusconi ähnelte, was wohl daran liegen muss, dass Bayern einst bis zur Adria reichte und zusammen mit Österreich, im Gegensatz zu den von Zwingli, Calvin und Luther regierten Ländern, etwas Italienisches hat. 1. Wie Berlusconi war auch er weder schwul noch pervers. 2. Wie dieser liebte auch er seine Kinder über alles, und beide werden von ihren Kindern ebenso innig geliebt (wobei Berlusconi ganz sicher der bessere Familienvater war und ist, insofern er immer bei ihnen war und ihre Existenz nie verschwieg, und sie jetzt seine Unternehmen leiten). 3. Wie Berlusconi war auch Udo Jürgens sehr charmant (wenn auch nicht so unbefangen und aufrichtig, sondern auf die weinerlich, sentimentale Art der Mitteleuropäer). 4. Auch zu Berlusconi passt das Motto "Unterhaltung mit Haltung", denn er ist nicht nur sehr unterhaltsam und schlagfertig, sondern wie Udo Jürgens hat er auch eine gewisse Klasse, was dazu führte, dass ein Hans-Wurst wie Achille Occhetto und all die anderen Post-, Ex- und Nochkommunisten mit der Zeit alle Berlusconis Eleganz und Nonchalance imitierten und jetzt alle maßgeschneiderte Anzüge oder Pullover von Ermenegildo Zegna oder Missoni tragen. 5. Auch Berlusconi hat einige sehr schöne Lieder geschrieben. 6. Auch Berlusconi verdiente sich sein Studium durch Klavierspiel und Gesang in Tanzlokalen. Aber Berlusconi schlug keine Karriere als Schlagersänger ein, sondern wurde Bauunternehmer, Freimaurer, Medienunternehmer und Ministerpräsident, obwohl sein bester Freund seit der Studienzeit und später engster Mitarbeiter in Mediaset, der Manager Fedele Confalonieri, eigentlich ein Konzertpianist mit abgeschlossenem Studium am Konservatorium von Mailand ist.



Dass er uns seine schauderhaften symphonischen Stümpereien nicht ersparen konnte, ist sehr schade. Auch sein Musical damals Anfang der 70-er Jahre ("Helden") war eine herbe Enttäuschung für mich. Unter anderem, weil ich sicher bin, dass jemand, der so viele schöne Melodien schreiben konnte, mit mehr Willen zu Qualität auch mehrere anständige musikalische Dramen hätte zu Wege bringen können. Aber das Korsett der Produktionsbedingungen im deutschsprachigen Raum ist selbst für einen Udo Jürgens nerv- und inspirationstötend. Wer sich nördlich der Alpen zu mehr als Songs ausspucken berufen fühlt, endet leicht als Drogensüchtiger.

Dass Udo Jürgens für Klavierimprovisation ebenfalls völlig unbegabt war, ist noch bedauerlicher. Hinzu kommt die Kälte im deutschsprachigen Raum, die wie ein Stickstoffneben zwischen den Sparten liegt und verhindert, dass - mal abgesehen von Wolfgang Dauner und Konstantin Wecker - ein Schlagersänger zusammen mit Alexander von Schlippenbach (dessen Vorfahr Albert von Schlippenbach immerhin die Lieder Lebwohl du kleine Gasse und Ein Heller und ein Batzen schrieb; dass Nachfahre Alex dies nur privat an die Glocke hängt, ist auch wieder typisch für den familienfeindlichen Norden) und mit Moritz Eggert zusammentrifft und bei einem Glas Wein mal ein bisschen musikalisch kommuniziert. Nicht mal privat. Nicht mal privat. Nicht mal mit Klaus Doldinger. Armes Deutschland.

Udo Jürgens ist der einzige deutsche Schlagersänger, der auch beim Schlagerwettbewerb von San Remo ein paar mal mitgemacht hat, aber er war nicht nur Österreicher, sondern eine wahrhaft gesamtdeutsche Persönlichkeit mit schleswig-holsteiner Mutter, der allem Deutschen eine aufrichtige Sympathie entgegenbrachte, wie sonst nur Martin Lichtmesz. Man möchte fast sagen, halb Botschafter des guten Geschmacks, halb Burschenschaftler mit menschlichem Antlitz. Ein Sachertortentausendsassa mit Sahne.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.