Stationen

Freitag, 9. Januar 2015

Klonovsky am 27. dezember 2014

Was ich aber weiß, ist eine Antwort auf die vielbeschwätzte, wenngleich verlässlich mit Herablassung traktierte Frage, warum Pegida vor allem in den sogenannten neuen Bundesländern so viele Menschen mobilisiert. Diese Frage habe ich schon lange vor dem Auftauchen der "Patrioten" in diversen privaten Gesprächen beantwortet, und ich will es gern wiederholen: weil die Gehirnwäsche im Westen viel smarter und solider war als in der untalentierten und erfolglosen DDR, wo sowieso kein Mensch die Parolen glaubte, die ihm täglich verabfolgt wurden. Der Durchschnitts-Westdeutsche indessen glaubt mit einer Inbrunst an den Endsieg des westlichen Systems, wie sie nicht einmal unter SED-Funktionären sonderlich oft anzutreffen war. Ob mit Recht, wird sich zeigen; mein altersmildes Haupt würde ich nicht darauf verwetten.

Viele Menschen im ehemals Mitteldeutschland geheißenen Osten, namentlich in Dresden, haben wahrscheinlich deshalb – also wegen der missratenen Gehirnwäsche – so etwas wie Gemeinschafts- und Bürgersinn bewahrt, gerade nach den Elendsjahren unter dem SED-Joch. Viele Menschen im Osten sind, zumindest potentiell, gegen die geistige Kolonisation immunisiert, sie sind bereits geimpft worden, weshalb der Versuch, heute mit der sogenannten Politischen Korrektheit das zu vollziehen, was der Realsozialismus nicht schaffte, nämlich ihnen ihren gesunden Menschenverstand, ihre Alltagserfahrungen und ihren Sinn für das Angemessene auszureden, besonders im Osten an seine Grenzen stößt, einstweilen zumindest. Viele Menschen dort betrachten ihr Gemeinwesen als ihre Angelegenheit, anders als im Westen, wo man, zumindest in der "besseren" Gesellschaft und vor allem in jenem Milieu, das es sich leisten kann, die Grünen zu wählen, sturfrömmst an das Wunder des anything goes glaubt, sich überdies als Weltbürger fühlt und im Zweifelsfalle wegschaut oder, wer kann, wegzieht, weil für die Tonangeber dieses Landes längst nur das Ich zählt und nichts außerdem (ich spreche hier naturgemäß al fresco über meine lieben westelbischen Landsleute). Der sächsische Ausländerbeauftragte Martin Gillo, ein CDUler, hat eine dortzulande vielzitierte Unterscheidung zwischen "Herkunftsdeutschen" und "Zukunftsdeutschen" getroffen. Wie die meisten westdeutschen Herkunftsdeutschen, denen der Zustand ihrer Kommune egal ist und die das für fortschrittlich halten (wenn sie Glück haben, mit Recht, wenn sie Pech haben, bis man ihnen oder ihren Kindern, sofern vorhanden, die Kehle durchschneidet oder den Schädel eintritt), haben die meisten Ostdeutschen nichts gegen Herrn Gillos einwandernde Zukunftsdeutsche – sie wollen lediglich ein Wörtchen dabei mitreden, mit wem sie künftig zusammenleben.

Schon der Wiederaufbau der Frauenkirche war ein deutliches Signal der Dresdner an den Rest der Republik. Ich wage die Behauptung, dass keine Stadt in den westlichen Bundesländern eine vergleichbare Leistung hätte vollbringen können, weil es dort eben keine größeren Bürgerkollektive mehr gibt, sondern nur "die Menschen draußen im Land" (A. Merkel), über deren Steuergelder auf bewährte Weise zentralistisch verfügt wird; überdies handelte es sich um eine christliche Kirche, nicht um eine Shopping Mall, ein antifaschistisches Mahnmal oder ein multikulturelles Begegnungszentrum. Und ob sich in München oder Hamburg ein vergleichbar kultiviertes Publikum finden würde, das nach einer Aufführung von Beethovens "Missa solemnis" zum Gedenken an die Opfer des Luftkriegs geschlossen auf den Applaus verzichtet, sei dahingestellt. Unter anderem deswegen ist Dresden ja auch in jedem Februar von Neuem ein Betreuungsobjekt vor allem westlicher Volkspädagogen.

Wiederholt ist gegen Pegida vorgebracht worden, in Dresden und überhaupt im Osten lebten doch kaum Ausländer bzw. Muslime, jedenfalls weit weniger als im Westen, weshalb den Aufmärschen etwas Surreales und Spiegelfechterisches eigne. Wieso demonstriere man gegen Probleme, die, wenn überhaupt, anderswo dräuten? Die Publizistin Cora Stephan hat in diesem Zusammenhang daran erinnert, in welcher Entfernung von deutschen Landen und Gauen jenes Reaktorkataströphchen vorstellig wurde, um dessentwillen unser Stimmungskanzlerin aus der Atomenergie retirierte. Ich würde allenfalls noch ergänzen, dass man dann auch unmöglich zu Berlin gegen den Vietnam- und später den Golfkrieg hätte demonstrieren dürfen; vom "Kampf gegen rechts", der ja meist ohne anwesenden Gegner stattfindet (was seine vergleichsweise Popularität erklärt), ganz zu schweigen. Die Herbeischaffung weiterer Beispiele sei jedem selbst anheimgestellt.  Michael Klonovsky

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