Stationen

Samstag, 21. Februar 2015

Wir und Russland (und Amerika)

14. Februar 2015

Der kluge Roger Köppel macht sich im Weltwoche-Editorial Gedanken über die Haltung deutscher Offizieller gegenüber Russland. Er habe vor einiger Zeit Gelegenheit erhalten, so Köppel, bei einem Abendessen in Berlin mit hochrangigen Regierungsvertretern der Bundesrepublik über Putin zu sprechen. Er sei entsetzt gewesen „über den kompromisslos kriegerischen Ton und die betonharte Abneigung gegenüber dem Kreml“, schreibt Köppel, der die „überspannt wirkende Gereiztheit“ bei diesem Gespräch „knapp unter dem Siedepunkt der Hysterie“ verortet. Also im Grunde nichts Besonderes: der typisch (neu)deutsche Tonfall, die typisch (neu)deutsche Temperiertheit. Nach Eleganz, Geist, Zweideutigkeiten oder Grundkenntnissen der Regeln der Diplomatie suchte man in solcher Gesellschaft vergeblich. Deutsch sein heißt, eine Sache um ihrer selbst willen tun. Doch hören wir weiter.

 Um die Situation zu entspannen, fährt Köppel fort, habe er eingeworfen, dass Deutschland doch eigentlich kein Interesse an einer Entfremdung mit Russland haben könnte. Nun sei die Stimmung erst richtig eisig geworden. „Ein Minister zischte mir zu, dass die Deutschen gegenwärtig niemals mit Putin eine Übereinkunft finden könnten. Das sei ausgeschlossen, unmöglich, absolut undenkbar. Das wäre ja eine Wiederauflage jenes teuflischen Vertrags, den vor Beginn des Zweiten Weltkriegs Hitler und Stalin abgeschlossen hätten“... –

 Hier wäre nun wohl doch Hysterie oberhalb des Siedepunktes zu konstatieren gewesen. Nach einer solchen Bemerkung aus dem Mund eines Ministers, also eines Gesetzgebers – eine Bemerkung, die, ganz nebenbei, jeden Jakob-Augstein-Kommentar auf Spiegel online zu einer moderaten und intellektuell redlichen Ansicht erhöbe –, könnten schlichte Gemüter wähnen, dass diese Republik von Geistesgestörten regiert wird. Aber das griffe wohl zu kurz. Zu kurz greift meiner bescheidenen Ansicht nach auch der ehrenwerte Weltwoche-Chefredaktor, indem er aus solchem Kolonisiertengeschwafel schließt, dass der Zweite Weltkrieg in den Köpfen dieser Politiker noch immer nicht vorbei sei: „Das Trauma wirkt nach. Deutschland bleibt gefangen in seinen historischen Erfahrungen, die es geistig immer wieder durchlebt, um sie auf keinen Fall zu wiederholen.“

 Also: Nie wieder Hitler? Ach was! Das ist nicht mal ein Tertiärmotiv. Allein schon aus dem griffigen Grunde, dass diesem Ländle für kriegerische Kraftentfaltung ja nun wirklich alles fehlt: Waffen, junge Männer, Anführer, Ziele, Ideale, Eier – alles. Nicht dass unsereins das schlimm fände, im Gegenteil – nur die feudale Rhetorik hiesiger Offizieller widert einen denn doch an; Eunuchen sollten nicht von sich selbst als potentielle Vergewaltiger reden, das ist lächerlich, sie sollten vielmehr jene Gefahren benennen und abzuwenden suchen, die Eunuchen ins Haus stehen (und wozu fraglos auch gehört, dass man sie nötigt, jemanden mit Penetration zu drohen).

 Vielleicht hätte Köppel bei der von ihm sicherlich zutreffend diagnostizierten überspannten Gereiztheit seiner Gastgeber besser an ein Wesen denken sollen, das sich allweil damit hervortut, auf überspannte und lächerliche Weise gereizt zu sein: an den Zwergpinscher. Der ist bekanntlich ohne sein Herrchen nichts, mit diesem im Rücken aber stets bereit, einen Feind zu verbellen. Das Gekläff der meisten deutschen Politiker gegen Putin ertönt hinter den Hosenbeinen ihres transantlantischen Apportiermeisters (und zwar desto beflissener, je näher sie der CDU stehen). Die Lehre, die von deutschen Politikern aus dem Zweiten Weltkrieg gezogen wurde, ist nämlich sehr simpel: Man wollte nach der Prügel zweier verlorener Weltkriege fortan nurmehr noch auf der Siegerseite stehen, koste es, was es wolle, die Tradition, den Nationalstolz, die Ostgebiete, die Währung, die Sprache, die ethnische Substanz – egal. Nur nie wieder solche Prügel! Niemals wieder auf eigene Rechnung Politik machen! Lieber allmählich von der Landkarte verschwinden, als je wieder allein gegen alle stehen. Aber die Untertanen-Mentalität der deutschen Politiker hat sich bei diesem Wechsel auf die Seite der Weltkriegssieger und schließlich auf jene des Triumphators im Kalten Krieg nicht geändert, sie ist so sturheil wie sturdeutsch geblieben, und heute heißt es eben: Amerika befiehl, wir folgen! Sogar Linke, wenn sie mal in Regierungsverantwortung geraten, fressen diese Lektion meist sofort, mögen sie vorher dutzende Male gegen die Amis demonstriert haben; fragen Sie den Fischerjockel oder Trittin. Und was ist aus amerikanischer Sicht seit 100 Jahren das schlimmste politische Szenarium für Europa? Genau: dass Russland und Deutschland sich – nein, nicht einmal verbünden, nur politisch annähern könnten. Allein der Gedanke macht die Amerikaner unruhig, und ein guter Pinscher fühlt Herrchens Erregung und teilt sie stracks, indem er erregt zu tänzeln und zu kläffen beginnt, wie man es ihm auf den Dressurwettbewerben der Bilderberger beigebracht hat. Das ist und bleibt der Modus der deutschen Außenpolitik, der Außenpolitik eines widerlegten, durch Prügel "klug" gewordenen (Rest-)Volkes.

Für die nüchterne Erwägung dessen, was man gemeinhin nationale Interessen nennt, lässt eine solche Konditioniertheit wenig Raum, Herrchens Wille ist längst der eigene (umso rühmlicher im Nachhinein Gerhard Schröders Weigerung, beim Überfall auf den Irak mitzutun), wer etwas anderes sagt, wird sogar bei einem informellen Abendessen angebellt. Herrchen sieht und hört nämlich alles. Da diese hysterisch verteidigte Unselbständigkeit durchaus etwas Ehrenrühriges hat, schmückt sie sich mit allerlei Gesinnungsputz, mit dem langen Wegs nach Westen etwa oder der Verteidigung von Weltfrieden, Grundgesetz, Menschenrechten umd Mülltrennung am Hindukusch. Oder eben einer Verhinderung des Teufelspaktes von anno 1939. Ohne solche Kosmetik – und das bisschen Kontra seitens der Kanzlerin gegen ein direktes Auf-den-Gegner-gehetzt-werden – stiege die Selbstverachtung ins Uferlose.

(Aber vielleicht liege ich ja völlig daneben, und hinter den Kulissen waltet unbeirrt die gute doppelzüngige Normalität...)


 Was nun aber die unbeirrbare und irgendwie endsieggläubige Dauerselbstkasteiung Deutschlands mit u.a. Hakenkreuzen und Hitlervergleichen angeht, hält der philosophische Schriftsteller Frank Lisson, dessen Bücher ich hier grosso modo empfehle, dazu fest:
 „Der vom kulturellen Selbsthaß durchdrungene Mensch haßt ja nicht sich selbst als Person, sondern nur seine kulturelle Herkunft, die ihn mit dem Makel einer ‚ererbten’ Schuld behaftet. Und gerade weil er diese Schuld auf sich nimmt, das Tätererbe einer überkommenen Identität in sich bekämpft oder wieder gut zu machen versucht, betreibt er durch Einhaltung selbst des abstraktesten Tabus zugleich eine Art Erhöhung und Heiligung seiner selbst.
Weil in modernen, ‚offenenen’ Gesellschaften das Spiel mit dem Tabubruch inzwischen selbst zu den Prinzipien der Herrschaftssicherung zählt, werden Scheintabus und Persiflagen von Tabus nötig. Die Persiflage eines Tabus, also die gezielte Hysterisierung einer Sache, die vor den eigentlichen Kern dieser Sache geschoben wird und ihn damit verdeckt, dient als Ersatzhandlung für den echten Tabubruch. Das Scheintabu und die Persiflage erlauben dem vulgären Tabubrecher, sich daran auszutoben, damit die echten, staatstragenden Tabus unberührt bleiben. Denn die Macht der bestehenden Funktionseliten basiert ganz entscheidend auf der Bewahrung und Sicherung jener echten und staatstragenden Tabus, die vor allem in Deutschland das Ereignis des Nationalsozialismus betreffen und dazu dienen, alle Brücken in die Geschichte abzubrechen und alle Zugänge zur eigenen Herkunft und Kultur zu versperren. Indem das abstrakte Tabu Nationalsozialismus wie eine unberührbare Barriere oder streng bewachte Demarkationslinie zwischen dem weiten Gestern und dem engen Heute liegt, wird auch das bestehende System unberührbar und ‚alternativlos’; wer also nach Bewegung in alle Richtungen verlangt, gerät automatisch in den Nähe des Tabus und fällt damit sofort unter Generalverdacht. Verlöre das täglich gepflegte Tabu also an Wirkung, wäre der Status quo gefährdert, denn die bestehenden Funktionseliten könnten die Notwendigkeit ihres Machtanspruchs dann nicht mehr allein aus ihrer ‚Verantwortung vor der Geschichte’ rechtfertigen und es würde womöglich erneut zum freien Spiel der gesellschaftlichen Kräfte kommen, woran jedoch kein etabliertes System je ein Interesse gehabt hat.“
(Aus: „Die Verachtung des Eigenen. Ursachen und Verlauf des kulturellen Selbsthasses in Europa“, Schnellroda 2012).

17. Februar 2015

Leser W. schreibt zum Eintrag vom 14. Feburar:

"Auch ich habe Köppels Text gelesen und möchte ihm und Ihnen insofern zustimmen, als dieses Streberhafte, dieses unbedingt Klassenprimus sein wollende der deutschen politischen Elite in der Tat ziemlich abstoßend ist. Aber ansonsten?
Daß nun ausgerechnet die Obama-Administration eine Neuauflage des Kalten Krieges wünscht, kann ich nicht im Entferntesten erkennen. Und was Amerika-Hörigkeit betrifft: Gerade eine nüchterne Abwägung der deutschen Interessen legt immerhin den Gedanken nahe, daß es besser ist, mit der (immer noch) stärksten Macht der Welt befreundet als verfeindet zu sein. Eher habe ich umgekehrt den Eindruck, daß das Verhältnis von Frau Merkel zu Obama verdächtig dem von Herrn Honecker zu Gorbatschov zu ähneln beginnt. Und wieso ist es „aus amerikanischer Sicht seit 100 Jahren das schlimmste politische Szenarium für Europa“ wenn sich „Russland und Deutschland sich – nein, nicht einmal verbünden, nur politisch annähern“? Ich will nicht auf den 100 Jahren herumreiten, aber Brandt hat seine Ostpolitik auch gegen amerikanische Bedenken durchgeführt. Schröder haben Sie selbst erwähnt.
Deutschlands und Europas Problem mit den USA ist nicht ein übergroßer amerikanischer Einfluß, sondern ein zunehmendes amerikanisches Desinteresse an Europa. Eines so wehleidigen, anspruchsvollen und verwöhnten Vasallen, wie die Deutschen es sind, wird man irgendwann einmal müde.
Generell scheint mir, daß Ihnen nicht nüchterner Verstand, sondern Ressentiment die Feder geführt hat. Ich habe durchaus ein gewisses Verständnis dafür, aber ich halte daran fest, daß man dieses aus politischen Analysen raushalten sollte."

Nein, kein Ressentiment, geehrter Herr W. – nur ein schwer zu bezähmender Ekel. Aber Sie haben recht, eine politische Analyse war dieser Text nicht. 

Klonovsky am 14. und 17. 2. 2015

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