Stationen

Mittwoch, 24. Juni 2015

Danke, Klonovsky!

21. Juni 2015

Leser M. fragt: „Was, Herr Klonovsky, haben Sie eigentlich gegen Gottfried Benn?“ Die Frage trifft den Gegenstand nur zur Hälfte. Ich schätze den Essayisten Benn, habe aber Einwände gegen den Lyriker. Viele seiner Gedichte halte ich für Blindflüge durchs Dickicht der Assoziationen, oft mit einer genialen Idee, deren Formulierung nie zwei Zeilen überschreitet, als Kern, um den der Dichter dann stimmungsverstärkende Begriffskatarakte und Metapherngeschmeide rankt, die zuweilen schierer Zufall oder gar Nonsens sind, auf dass zuletzt irgendwie ein Gedicht dastehe, bei dem man wiederum nicht selten den Eindruck hat, es könne auch zwei Strophen eher enden. Leser, die vom „Sound“ der Bennschen Lyrik schwärmen, gehen freilich weit toleranter mit dergleichen Unausgefeiltheiten um. Sie fühlen sich „angesprochen“, wie man so sagt und wogegen sich nie etwas einwenden lässt. Man darf nur dieses sich-Angesprochen-Fühlen nicht mit einem Kriterium verwechseln; Kriterien sind verallgemeinerbar.

 In seinem berühmten Vortrag über Probleme der Lyrik hat Benn statuiert, dass auch die großen Lyriker selten mehr als fünf, sechs wirklich gelungenen Gedichte zustande gebracht haben. Welches mögen seine sechs sein? „Nur zwei Dinge“ wird man wohl dazurechnen – man, ich nicht –, und wahrscheinlich auch jenes, das ich vorige Woche während einer Zugfahrt auswendig lernte, weil es mich „anspricht“. Es gilt als eines seiner stärksten Gedichte, und gleichwohl steckt in jeder Strophe eine kleine Pfuscherei. Ich spreche von „Dennoch die Schwerter halten“:

 Der soziologische Nenner,
 der hinter Jahrtausenden schlief,
 heißt: ein paar große Männer
 und die litten tief.

 Heißt: ein paar schweigende Stunden
 in Sils-Maria Wind,
 Erfüllung ist schwer von Wunden,
 wenn es Erfüllungen sind.

 Heißt: ein paar sterbende Krieger
 gequält und schattenblaß,
 sie heute und morgen der Sieger –:
 warum erschufst du das?

 Heißt: Schlangen schlagen die Hauer,
 das Gift, den Biß, den Zahn,
 die Ecce-homo-Schauer
 dem Mann in Blut und Bahn –

 heißt: so viel Trümmer winken:
 die Rassen wollen Ruh,
 lasse dich doch versinken
 dem nie Endenden  zu –

 und heißt dann: schweigen und walten,
 wissend, daß sie zerfällt,
 dennoch die Schwerter halten
 vor die Stunde der Welt.

 Überwältigende nihilistische Düsternis. Eine heroische Maxime in Versform. Doch gehen wir ins Detail.

„Der soziologische Nenner,
 der hinter Jahrtausenden schlief,
 heißt: ein paar große Männer
 und die litten tief.“

 Auf die Gefahr, der holden Lyrik wie ein Popper-Schüler zu nahen, möchte ich doch fragen, ob denn der Nenner tatsächlich geschlafen hat hinter den Jahrtausenden.

„Heißt: ein paar schweigende Stunden
in Sils-Maria Wind,
 Erfüllung ist schwer von Wunden,
 wenn es Erfüllungen sind.“

 In dieser Strophe stört durchaus der Wechsel vom Singular in den Plural bei den „Erfüllungen“.

 „Heißt: ein paar sterbende Krieger
 gequält und schattenblaß,
 sie heute und morgen der Sieger –:
 warum erschufst du das?“

 Hier verstehe ich das Komma so, dass der Sieger eines Tages auch gequält und schattenblaß enden wird, bin mir aber nicht sicher, ob das so intendiert ist (oder ob wir uns einen unwürdigen Sieger vorzustellen haben).

 „Heißt: Schlangen schlagen die Hauer,
das Gift, den Biß, den Zahn,
 die Ecce-homo-Schauer
 dem Mann in Blut und Bahn –“

 Solche Aufzählungen sind ein bevorzugtes Stilmittel bei Benn, doch Hauer, Gift, Biss, Zahn, das ist und bleibt eine schiefe Verbindung, das klingt ungefähr wie Evasfrucht, Vitamine, Biss und Apfel. Gelegentlich enden die Bennschen Wort-Kaskaden in Flach- und Mindersinn, salviert natürlich durch Verszwang und dichterische Freiheit. Im Gedicht „Du übersiehst dich nicht mehr“ etwa geht es ähnlich verrumpelt zu, dort heißt es:

 „Doch du siehst im Ton nur die losen,
 die Scherben, den Aschenflug –
 ob Wein, ob Öl, ob Rosen,
 ob Vase, Urne und Krug.“

 Die Weinasche, die Rosenscherbe? Ts ts ts...
 Benns womöglich bekanntestes Gedicht, stets als erstes oder zweites der vollendeten Sechs gehandelt, endet wiederum mit:

 „Ob Rosen, ob Schnee, ob Meere,
 was alles erblühte, verblich,
 es gibt nur zwei Dinge: die Leere
 und das gezeichnete Ich.“

 Auch hier: Schnee erblühte? Meere verblichen? Das alles ist nicht nur keineswegs zwingend wie beispielsweise die Bilder bei George, sondern vielmahr wahllos und beliebig, die Meere reimen sich halt auf die erwünschte Leere, weshalb meine Nonsens-Version der letzten Strophe von „Nur zwei Dinge“ lautet:

 „Ob Rosen, ob Schnee, Récamière,
 was alles erblühte, verblich,
 es gibt nur zwei Dinge: die Leere
 und das gezeichnete Ich.“ – –

 Doch zurück zu unserem Gedicht:

 „heißt: so viel Trümmer winken:
 die Rassen wollen Ruh,
 lasse dich doch versinken
 dem nie Endenden  zu –“

 Dass die Trümmer ausgerechnet „winken“ sollen, wirkt für meine Begriffe etwas frivol.

 „und heißt dann: schweigen und walten,
 wissend, daß sie zerfällt,
 dennoch die Schwerter halten
 vor die Stunde der Welt.“

 Offen bleibt die Frage, wer zerfällt: die Welt – oder die Stunde? Wohl die Welt, aber dann stimmt der Bezug nicht.

 Geschmäcklerische Pingeleien meinerseits? Schon möglich. Der düstere Fatalismus, die heroisch-nihilistische Stimmung, der „Sound“ des Gedichtes, all das wird durch die von mir monierten Petitessen jedenfalls nicht berührt. Aber das ist nach meinen Kriterien keineswegs ein Argument dafür, dass sie ignorabel sind, sondern im Gegenteil: Da diese Schlampereien den Ausdruck nicht beeinflussen, sind sie unnötig und eben nicht tolerierbar. Sela, Psalmenende.

P.S.: Klonovsky, dass du dich jetzt den Erbsenzählern und Silbenstechern beigesellt hast, der du doch sonst alle rationalistischen Seichtheiten verachtest! Wie amusisch, an einem Gedicht herumzukritteln wie ein Deutschlehrer an einem Schüleraufsatz! Dabei i s t ein Gedicht doch die Stimmung, die es hervorruft, das mystische Reich, in welches es dich trägt, vollkommen einerlei, auf welche Weise es dies bewerkstelligt... – Nichts da! Pfusch muss man Pfusch nennen dürfen, gerade in diesem heikelsten aller literarischen Genres. (Aus einem Selbstgespräch des Verfassers.)  Klonovsky am Johannistag 2015

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