Stationen

Dienstag, 11. August 2015

Wo er recht hat, hat er recht

"Ich klage an: Die Kultusminister der deutschen Bundesländer. Sie tragen die Verantwortung für die größte, systematischste, vermeidbarste und gravierendste Bildungsbenachteiligung an deutschen Schulen. Denn vergleichende Bildungstests von Neuntklässlern fördern seit den ersten Pisa-Studien vor 15 Jahren immer wieder in aller Deutlichkeit zutage: Die Qualität der Schulausbildung weist massive Unterschiede zwischen den deutschen Bundesländern auf.
Im letzten Leistungsvergleich 2012 betrug der Rückstand von Fünfzehnjährigen in Bremen gegenüber vergleichbaren Fünfzehnjährigen in Sachsen rund zwei Schuljahre. Die gerade abgeschlossene Datenerhebung 2015 wird vermutlich zu ähnlichen Ergebnissen kommen.

Dieser Sachverhalt ist ein Skandal – eine grobe Benachteiligung von Schülern, die das Pech haben, im falschen Bundesland zur Schule zu gehen. Schuld tragen die Kultusminister der entsprechenden Länder. Denn trotz mancherlei Bemühungen, trotz bundeseinheitlicher Bildungsstandards sind die Unterschiede zwischen den Ländern nicht kleiner geworden.
Wohlgemerkt: Die Leistungsstände klaffen auch dann um bis zu zwei Schuljahre auseinander, wenn sie um unterschiedliche Sozialstrukturen bereinigt werden. Es liegt nicht daran, dass es in manchen Ländern mehr Kinder aus Arbeitnehmerhaushalten oder mehr Schüler mit Migrationshintergrund gibt. Nein, es sind die Schulen, die um bis zu zwei Schuljahre besser oder schlechter sind. Es liegt an den Schulsystemen und den Lehrplänen. Für sie tragen die Kultusminister die Verantwortung.

Kultusminister schalten und walten wie Monopolisten

Ein Kind, das in einem Bundesland schlechter beschult wird als Altersgenossen andernorts in Deutschland, ist ein benachteiligtes Kind. Punkt. Seit 15 Jahren wissen wir, dass es in Ländern wie Hessen, Berlin, Hamburg, Nordrhein-Westfalen und Bremen Hunderttausende solcher benachteiligter Kinder gibt. Seit 15 Jahren wissen wir, dass die Kultusminister die Verantwortung dafür tragen. Und seit 15 Jahren verhindern diese Kultusminister, dass irgendjemand anders als sie selbst tätig wird, um die Benachteiligungen abzubauen.
Darüber wachen die Kultusminister mit Argusaugen. Sie verteidigen ihre Gestaltungshoheit mit dem Argument des Bildungswettbewerbs. Das klingt gut, aber worin, muss man fragen, besteht der Wettbewerb? Kinder gehen üblicherweise da zur Schule, wo die Eltern ihre Arbeitsplätze haben. Kaum jemand zieht nur deshalb in ein anderes Bundesland, weil dort die Schulen besser sind. Das Problem ist, dass man den kultusministeriellen Entscheidungen kaum ausweichen kann. Der Wettbewerb kann nicht wirken, solange die Kultusminister in ihren Ländern wie Monopolisten schalten und walten können.

Meine Forderung: Lehrplan-Zwang aufheben!
In allen Bundesländern erlassen die Kultusministerien die Lehrpläne und bestimmen so die Lehrinhalte. Die Schulen sind gezwungen, den Lehrplänen ihres Kultusministeriums zu folgen. Mein Vorschlag ist: Diesen Zwang heben wir künftig auf. Jede Schule soll sich künftig frei für den Lehrplan eines beliebigen Bundeslandes entscheiden dürfen.
Das kostet erst einmal gar nichts. Es kostet nur die Kultusminister einen Teil ihrer Macht. Ein hessisches Gymnasium könnte nach bayrischen Lehrplänen unterrichten und das bayrische Zentralabitur abnehmen. Eine Realschule in Flensburg könnte entscheiden, nach sächsischen Lehrplänen zu unterrichten, weil Schüler an sächsischen Realschulen augenscheinlich besonders gut ausgebildet werden. Warum nicht? Warum sollten Schüler in Schleswig-Holstein nicht dieselben Chancen haben dürfen wie Schüler in Sachsen? Warum sollte ein hessischer Abiturient nicht stolz darauf verweisen können, dass er das bayrische Abitur bestanden hat?

Was wären die Folgen einer solchen Liberalisierung und Stärkung des Wettbewerbs? Zunächst einmal würde sich wohl kaum eine Schule für Lehrpläne eines Bundeslandes entscheiden, das schlechtere schulische Resultate liefert. Kein Lehrerkollegium könnte dies vernünftig begründen und die Elternschaft würde sicherlich Sturm dagegen laufen. Also bleibt man bei den Lehrplänen des eigenen Landes oder man entscheidet sich für die eines Bundeslandes, dessen Schulen besser sind.
Es kann freilich für manchen Kultusminister peinlich werden, wenn die eigenen Schulen fremde Unterrichtsmodelle für besser halten. Damit das Kultusministerium derart unbotmäßige Schulen nicht mit unterdurchschnittlicher Lehrerausstattung bestraft, muss die Wahlfreiheit der Schulen noch mit einem zweiten Element abgesichert werden: Eine Schule, die nach den Lehrplänen eines anderen Bundeslandes unterrichten will, muss auch die Lehrerausstattung erhalten, die dort für Schulen dieses Typs üblich ist. Die Schule muss also einen Anspruch gegen das eigene Kultusministerium erhalten. Sie darf mit Lehrern nicht schlechter gestellt werden als in dem Bundesland, nach dessen Lehrplänen sie unterrichtet.

Sich für andere Unterrichtsmodelle zu entscheiden ist richtig

Das kann natürlich zu Mehrkosten führen. Manche Schulen werden sich vielleicht auch deshalb für das Unterrichtsmodell eines anderen Bundeslandes entscheiden, weil damit ein Anspruch auf bessere Lehrerversorgung einhergeht. Ist das schlimm? Nein, es ist richtig! Wenn wir Chancengerechtigkeit für unsere Kinder wollen, dann müssen wir auch die Benachteiligung abbauen, dass in manchen Bundesländern weniger Lehrer pro Kind eingesetzt werden. Soviel muss uns Bildungsgerechtigkeit wert sein.
Wenn die Schulen frei entscheiden könnten, gäbe es innerhalb eines Bundeslandes Schulen, die damit werben würden, dass sie besser ausbilden als benachbarte Schulen. Manche Eltern werden bewusst diese Schulen für ihre Kinder wählen. Andere werden an den Schulen ihrer Kinder auf Reformen drängen. Und manche Kultusministerien werden ihre Lehrpläne an denen erfolgreicherer Länder ausrichten, um nicht von ihren eigenen Schulen desavouiert zu werden.
Insgesamt ist das eine win-win-Situation. Erfolgreiche Bundesländer können ihre Stärken weiter ausbauen – sie müssen keine Nivellierung durch Zentralisierung fürchten. In den Bundesländern mit den schlechteren Schulen aber werden Strukturen aufgebrochen und Fortschritte erzielt. Gewinner sind die Schüler. Verlierer gibt es keine. Es ist ganz einfach. Wir müssen nur die Macht der Kultusministerien beschneiden. Wir müssen nur den Schulen die Wahlfreiheit zwischen unterschiedlichen Lehrplänen gewähren. Dann wird es bald keine Bundesländer mehr geben, in denen Schüler systematisch um gleichwertige Bildungschancen gebracht werden." Bernd Lucke

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