Stationen

Samstag, 28. November 2015

Vor einem Jahr...



Eine Doppelprognose von Necla Kelek:
Ich fürchte chaotische Verhältnisse durch immer mehr desintegrierte Zuwanderer. Ich hoffe auf eine muslimische Aufklärung.
Wenn ich mir die Zukunft der muslimischen Community in Europa ausmale, gibt es eine pessimistische und eine optimistische Version. Meine Befürchtung ist, dass es einen Religionskrieg geben wird, der bereits innerhalb des Islam zwischen den Sunniten und den anderen islamischen Glaubensrichtungen tobt. 

Es ist die gesuchte Konfrontation des sunnitischen Islam, getragen von den Petrodollars Saudi-Arabiens und der Golfstaaten, mit dem Westen als gemeinsamem Feind. Die westliche Allianz mit all ihren Waffen und ihrem Geld wird diesen innerislamischen Konflikt so wenig lösen, wie sie ihn in Afghanistan lösen konnte. Die Nato kann nur dessen Grenzen markieren.

Wir werden eine islamische Bewegung erleben, die den Orient von Pakistan bis Marokko, von der Türkei bis Südafrika und den größten Teils Asiens erfassen wird. Es wird nach dem „arabischen Frühling“ keinen „islamischen Sommer“ geben, aber auch keinen Reichtum und Wohlstand. Die islamischen Führer - seien es Scheichs aus Katar oder selbst ernannte Terrorkalife - werden nicht in der Lage sein, eine gute Regierung zu führen. Es werden chaotische Verhältnisse wie zurzeit in Libyen oder Nigeria herrschen. Ein verlorenes islamisches Jahrhundert für Afrika und den Orient steht bevor. Und von dem, was in Indien geschehen wird, haben wir überhaupt keine Vorstellung.

Für Europa bedeutet dies: große Flüchtlingsströme, soziale Verelendung, geringere Wirtschaftskraft durch Wegfall von Ressourcen und Märkten. In Europa wird eine Auseinandersetzung innerhalb der islamischen Gemeinden und mit den autochtonen Kulturen um die Deutungshoheit stattfinden. In den Ländern mit hohem und wachsendem Anteil von muslimischer Bevölkerung wird es innerhalb der Gemeinden und der Gesellschaft einen stillen oder offenen Kampf zwischen „Bewahrern“, den Islamisten, und „Modernisierern“ geben. Es wird kein Diskurs stattfinden - wer sollte dazu zukünftig in der Lage sein, wenn bereits heute sogar von intellektuellen Muslimen jede Kritik am Islam als Verrat abgetan wird? -, sondern eine Trennung. 

Parallelgesellschaften werden sich weiter entwickeln. Diejenige Gruppe, die die Identifizierung mit der Religion über die Identität als Bürger stellt, wird in den Städten ihre Gebiete erobern, was zum Teil, etwa im britischen Bradford, schon geschehen ist.

Die Politik wird auf die demografische Entwicklung reagieren, indem sie Schritt für Schritt Gesetze und Sitten den neuen Mehrheitsverhältnissen anpasst. Man wird es Vielfalt nennen, tatsächlich wird es die Relativierung der Prinzipien der universellen Menschenrechte sein. 

In vielen Städten Europas wird der Alltag nach den Scharia-Gesetzen geregelt werden, Frauen werden aus der Öffentlichkeit verdrängt oder nur noch „freiwillig“ mit schwarzem Schleier auf die Straße gehen. In den Banlieus von Paris und Suburbs von London wird der Muezzin rufen, und „Ungläubige“ werden diese Kieze meiden.
Teile Europas werden noch eine Art Rettungsschirm für demokratische Ideen darstellen, aber die Idee, ein Kontinent ohne Grenzen und mit gleichen Gesetzen und Wohlstand für alle, wird Geschichte sein.

Meine Hoffnung sieht so aus: Vor über 200 Jahren ging von Berlin eine Bewegung aus, die das Judentum reformierte. Kopf der „Maskilim“, der Anhänger der Aufklärung unter den Juden, war Moses Mendelssohn. Er forderte seine Glaubensbrüder auf, Deutsch zu lernen, und den Kindern nicht nur die Thora, sondern auch weltliche Bildung zukommen zu lassen. Er las die Werke des liberalen Philosophen John Locke und diskutierte mit den orthodoxen Rabbinern über Toleranz und Gleichberechtigung. Die jüdischen Gemeinden gingen von da ab unterschiedliche Wege. Die Säkularen öffneten sich der Wissenschaft, der Kunst der Welt, die Orthodoxen verharren bis heute starr in der Tradition.
Ich stelle mir vor, dass es in Europa einen solchen islamischen Denker oder eine Denkerin geben wird, der die Muslime aufklärt. Er oder sie wird mit anderen den Koran historisch lesen und kritisch untersuchen, prüfen, was die Menschen aus den Schriften lernen können. Die Scharia wird man ad acta gelegt haben, und man wird die Frauen nicht mehr unter dem Schleier verbergen. Aber wie Luther die Christen in Katholiken und Protestanten, Mendelssohn die Juden in Säkulare und Orthodoxe geteilt hat, wird die Umma sich wie schon heute in unterschiedliche Gemeinden spalten. Es werden viele sein, die sich von den assimilierten Muslimen und dem Rest der Gesellschaft distanzieren und weiter darüber streiten wollen, was der richtige Islam ist. Aber die Europäer werden bis dahin klarstellen, dass Religionsfreiheit dort endet, wo die Menschenrechte in Gefahr sind. Zumindest dort, wo es Europa noch gibt.
2014 erlebten wir im Nahen Osten den verzweifelten Endkampf einer Kultur, die sich nicht zu helfen wusste, weil sie mit der Welt nicht zurechtkam. Das war gefährlich, am liebsten hätten die, die sich Islamischer Staat nannten, das Jüngste Gericht veranstaltet. Mit der klammheimlichen Unterstützung der Türkei und der Ölstaaten versuchte man, das Rad der Geschichte bis zu Mohammed zurückzudrehen. Auch wenn sie kurzfristig die Oberhand zu behalten schienen, bereiteten sie ihrer Religion die nächste Niederlage. In 100 Jahren wird man zurückschauen und feststellen, dass der Versuch der Islamisten, die Welt zu beherrschen, kläglich scheiterte.

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