Stationen

Sonntag, 6. Dezember 2015

Wortwahl unter Jacques Lacans Lupe

Zunächst hatte Spiegel online (hier nur als exponiertes Organ pars pro toto angeführt) gemeldet, es habe im kalifornischen San Bernardino eine "Schießerei" gegeben, eine Redensart, die in solchen Fällen merkwürdigerweise üblich ist – nur beim NSU war nicht von "Schießereien" die Rede –, denn bei dem Begriff denkt man ja eher an mehrere Parteien, die aufeinander feuern, und nicht an zwei Killer mit Sturmgewehren und Sprengsätzen, die reihenweise Unbewaffnete niedermähen.

Es dauerte erstaunlich, jedoch keineswegs untypisch lange, bis Spiegel online den islamisch-extremistischen Hintergrund des Massenmords – sprich: das Tatmotiv – zu akzeptieren und zu vermelden bereit war. Die 14 Toten, in deren Gesichter sie hier schauen können, waren den hanseatischen Empathiemonstern keine besondere Erwähnung wert; stattdessen entrüstete sich ein Kommentator über den "Überfall von Kamerateams auf die Wohnung des Täterpaars" und beplärrte ihn als "mediale(n) Sündenfall", ohne dass ihm der eigene in den Sinn gekommen sein mag. Und eine Kolumnistin dortselbst sekundierte in gebotener thematischer Ausgewogenheit bei immerhin nahezu vergleichbaren Opferbilanzen: "Terror gibt es nur mit Bart und Koran, und dann ist er ein Angriff auf unsere Werte. Wenn aber Menschen in einer Abtreibungsklinik erschossen werden, dann war es immer ein Einzeltäter."

Ich erwähnte es bisweilen und wiederhole mich so ungern wie unnachgiebig: Vermuten Sie besser keine politischen oder ideologischen oder gar ethischen Motive hinter einem journalistischen Kommentar, wenn Sie Feigheit auch nur in Spuren wittern können. Diese trostlosen Figuren biedern sich stets bei denjenigen an, die am glaubwürdigsten zu drohen wissen. Klonovsky am 5. 12. 2015

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.