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Sonntag, 21. Februar 2016

2016 - Geschichte zum Anfassen

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Mit Das Wetter in geschlossenen Räumen läuft derzeit ein nachgerade genialer Film in deutschen Kinos. Wundert es mich, daß er nicht breit diskutiert wird?

Schaue ich mir den Frühlingsbuchmarkt an (Flüchtlingskrise? Wo?), dann kaum, und dennoch: Daß dieser Streifen ein wenig untergegangen ist, verwundert:

Er nimmt die Flüchtlingskrise, besser: die große Inszenierung derselben sowie westliche Dekadenz und das große Geschäft mit den Refugees mit höchstem Aktualitätsbezug auf’s Korn. Und wie! Dieser Film mit Maria Furtwängler in der Hauptrolle ist messerscharf.

Dorothea Nagel (eben: Furtwängler; ich mochte sie vorher nie besonders und fand sie überschätzt: eine Fehlmeinung!) arbeitet als PR-Frau und Fundraiserin für die UNHCR, also das große Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen. Sie befindet sich in einem arabischen Land im Kriegszustand, bewohnt eine großzügige Hotelsuite. Sie ist eine knallharte, toughe Karrierefrau allererster Güte.

Frau Nagel weiß, wie man machtvoll kommuniziert, wie man wann wie lächelt, wie Kontakte geknüpft werden. Spricht fließend englisch, französisch, italienisch. Sie ist wahnsinnig cool. Wie geschmackvoll sie sich kleidet! Und allein der Aufwand für die Frisur! Ihr besonderes Augenmerk gilt dem Engagement für unterdrückte Mädchen, und als erfahrene Kommunikatorin weiß sie all jenen den Wind aus den Segeln zu nehmen, die „Mädchenbildung“ im Angesicht des Kriegs als Luxusproblem bewerten. Die Klaviatur des feministischen Marketingsprechs beherrscht sie aus dem effeff. Frau Nagel kennt die neuralgischen Tränendrüsenpunkte.

Nun gibt es ein Problem: Für den von der UNHCR ausgelobten Wettbewerb (Preis: ein Stipendium an einer britischen Eliteuniversität) gibt es in den gigantischen Flüchtlingslagern jenes Landes keine Kandidatin. Männer, Kinder, ja, aber keine einzige junge Frau, die sich für eine akademische Karriere empfehlen würde. Für einen gewieften Vollprofi wie Frau Nagel kein Problem: Sie schickt die einzig auffindbare 17jährige nach London und weiß das vor den Fernsehkameras telegen als prestige- und geldbringende Erfolgsmaßnahme zu verkaufen.
Das Mädchen wird verschwinden, aber dies erscheint handhabbar; gelernt ist gelernt!

Privat allerdings beginnt der 46jährigen Dorothea Nagel ihr Luxusleben in der Suite zu entgleiten. Sie säuft maßlos und hält sich neuerdings einen jungen, verspielten Halbaraber (Mehmet Sözer) als Liebhaber. Der kostet. Aber an Geld mangelt es weder der Organisation noch Frau Nagel.

Irgendwann jedoch kommt ihr eine jüngere, fast ebenso supercoole Kollegin aus dem UNHCR-„Headquater“ auf die Schliche. Die, Aurelie, nimmt sich Dorothea samt ihrer großspurigen Tricksereien tüchtig zur Brust. Allerdings kommen just auf dem Höhepunkt dieser knallharten Auseinandersetzung unter auf der Gutmenschenwelle reitenden Geschäftsfrauen die Einschläge näher. Die Hotelsuite dröhnt von den Detonationen der Kriegsgeschehnisse, und Powerfrau Aurelie findet sich hilflos wimmernd in den Armen der Powerfrau Dorothea.

Der Film (als Drehbuchberater fungierte der Ende 2015 verstorbene Harun Farocki, Regisseurin ist Isabell Stever) hat deutliche Anklänge an Jonas Lüschers großartige Novelle Frühling der Barbaren (2013; Sezession 59) und überdeutliche an den Kinofilm Zeit der Kannibalen (2014). Der ältere Film Schlafkrankheit (2011, das ambivalente Thema Entwicklungsarbeit mit schneidender Schärfe thematisierend) wäre am Rande als Vorbild zu erwähnen.

Hier nun, im Wetter in geschlossenen Räumen, bleibt wahrlich kein Auge trocken, das hier ist Zivilisationskritik reinsten Wassers. Überambitionierte Karrierefrauen und ihre Krisen, Flüchtlingsbusiness, Lückenpresse, das Wirken transnationaler Großnetzwerke: Hier wird nicht geschont.

„Sie müssen wissen: Mit dem Flüchtlingsgeschäft läuft es wie an der Börse: Es wird gepokert!“ Daß ein solch knallharter Film die üblichen Fördertöpfe passiert hat: Das verwundert dann schon. Die letzte Szene des Films zeigt eine derangierte Dorothea Nagel, eingewickelt in eine Wolldecke mit der Logo & Aufschrift des Flüchtlingshilfswerks. Ellen Kositza

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