Stationen

Dienstag, 16. Februar 2016

Feuilleton

7. Februar 2016 – Die römisch-katholische Kirche ist universell. Das heißt, ihre Liturgie ist weltumspannend. Apropos spannend: Das ist es, sie in in ihrer je eigenen Ausprägung zu sehen! Dabei – ein Land: hundert Sitten, klar. Eine westdeutsche (urbane) Hl. Messe kann sich sehr von einer mitteldeutschen (ländlich) unterscheiden, wir kennen das. Daß in einer Kirche mehrere Flachbildschirme aufgehängt sind, kennen wir aus Polen.

Daß man Teile der Messe kollektiv kniend auf Steinboden verbringt, aus Rumänien. Daß höchst individuelle (durchaus sehr berührende) Fürbitten mit zitternden Stimmen aus den Besucherreihen vorgebracht werden, ist uns aus amerikanischen katholischen Messen bekannt. Daß gern und eigentlich bei jeder Gelegenheit rhythmisch geklatscht wird, aus Andalusien.
Nun (wir flohen gerade vor den unsäglichen „Winterferien“, die uns in Sachsen-Anhalt regelmäßig aufgebrummt werden): abermals Andalusien. Sonntags die volle Packung: Morning has broken und ähnliche Allerweltshits flimmern über die im Gotteshaus aufgehängten Mattscheiben, geklatscht wird sowohl nach der Predigt als auch während (!) der Wandlung (was die Frage aufwirft, warum nicht wenigstens auch das Evangelium applauswürdig wäre). Usus ist zudem, die traditionell gemeinsam gesprochenen Gebete und Bekenntnisse „im je eigenen Rhythmus zu sprechen“ . Babylon!
Kubitschek flieht: „Was hab ich mit diesen Leuten zu tun?“ Den Sonntag drauf besuchen wir eine ländlichere Gemeinde. Keine Flachbildschirme, lateinamerikanischer Pfarrer mit herrlich autoritativem Gestus. Geklatscht wird auch hier: bis zum- geht- nicht- mehr. Das heißt, daß das wild beklatschte no pasarán! (santo, santo, santo) zum Dauerhit der Kinder über ganze acht Tage wird. Gefällt uns. Man kann sich den kommunistischen/antifaschistischen/katholischen Schlachtruf ja passabel anverwandeln.
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9. Februar 2016 – Coole Koalition: Bachmanns Lutz, Junge Freiheit und PI regen sich im Chor drüber auf, daß „Asylanten, Flüchtlinge“ (und deren „Betreuer“) den „Hessenpark“ kostenlos besuchen dürfen – wohingegen deutsche Kinder und selbst behinderte Deutsche das in den Ausläufern des Rhein-Main-Gebiets gelegene Freilichtmuseum nur gegen einen Obulus betreten dürfen.
Obwohl und zumal ich selbst ein regelmäßiger Zahler bin, plädiere ich hingegen hier ganz nachdrücklich für die Einzelfallklausel. Ach was, mehr noch! Nichts hätte ich dagegen einzuwenden, wenn ein ordentlicher Hessenparkbesuch eine Art Verpflichtung für vorübergehende Deutschlandbewohner wäre!
In unserer Familie ist es nämlich so: Einmal im Jahr steht der „Hessenpark“ bei uns auf dem Pflichtprogramm. Ich führe meine Kinder stets mit Begeisterung durch den Hessenpark. Wohl ein Dutzend Mal in den vergangenen fünfzehn Jahren habe ich mir dort den Kurzfilm über die letzte Hochzeit in katholischer Marburger Tracht (1965) vorführen lassen. Die größeren Kinder kenne ihn schier auswendig: Wie die Braut angekleidet und (vor allem! aufwendig!) frisiert wird, wie sie zur Kirche geführt wird, wie die alten Frauen des Orts zur Kirche strömen – es ist ein Bad in Nostalgie! So war es! So wird es nie wieder sein!
Ich habe mir mit meinen Kindern im Hessenpark die Geschichte der Köhler, der Flachsweber, der Hanfstricker, der alten hessischen Schmiedemeister erklären lassen; in unserem Haus finden sich überall Spuren davon: selbstgedrehte Springseile aus Hanf, graue Zöpfe aus selbstgeschlagenem Lein, Blaudruck nach traditioneller Art. Ja, das ist stets ein etwas anstrengender Parcours durch einen Teil der deutschen Geschichte. Was passiert noch mal in einer Mühle? Was ist Fachwerk? Was Lehm? Was ein Webstuhl? Warum sind die hier gehaltenen Schweine so fett wie in keinem deutschen Schlachthof?
Es gibt wenig Deutscheres (interessanter Komparativ!) als den „Hessenpark“. Ich habe noch nie auch nur einen einzigen Asylanten dort gesehen. Allerdings war ich im September 2015 zum letzten Mal dort. Kann ja sein, sie fluten dort jetzt nur so durch, weil sie es kostenlos dürfen. Komisch wär’s, schlimm nicht. Schätze insgeheim, daß nur die berühmten syrischen Astrophysiker, Zahnärzte und Informationstechnikerinnen hier sich einfinden. Dies freilich massenhaft.
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12. Februar 2016 – Martin Walsers jüngste Äußerungen zu Merkels „großartiger“, weil „weltbewegend menschlicher“ Reaktion auf die Flüchltingskrise passen ins Bild. In welches? In das der Generation Nichtsnutz, den Doppelversagern. Sie haben uns die Suppe vor Jahrzehnten eingebrockt, und nun schütten sie ihr Maggi in diesen eh ungenießbaren Eintopf. Mein bejahrter Sezessions-Artikel zu unseren nichtsnutzigen, das Silberbesteck vehökernden BestAgern & SilverSurfern hatte damals zu zahlreichen verärgerten Abo-Kündigungen geführt und gar zu Verwerfungen im Bekanntenkreis: Ballast!, sag ich! Der nicht fehlt!

Der greise Dichter Walser schwärmte nun, „dass eines Tages die Flüchtlinge von heute die Dichter von morgen sein werden: „Das wird ein Reichtum sein! Es ist ein Reichtum, der uns bevorsteht, und keine Beraubung.“ In seinem jüngsten Roman mit dem beredten Titel Ein sterbender Mann läßt er seinen Helden fabulieren, daß die „Tragödie“ der Flüchtlinge ein Ende haben könnte,
„wenn jeder, der in Deutschland ein Haus sein eigen nennt, einen Flüchtling aufnehmen würde. (…) Jeder, der ein Haus besitzt, kann dann ein Jahr lang für diesen Flüchtling sorgen. (…) In diesem Jahr hat der Hausbesitzer alles getan, den Flüchtling in unserem Gemeinwesen aufzunehmen. Sprache, Ausbildung und was sonst noch nötig sein kann. Hilfswerk der Hausbesitzer soll es heißen.“
Ja, die eigentlichen Herren der Willkommensdiktatur sind nach Anzahl nicht die vielbeachteten lachenden Mädchen in ihren hübschen Röcken, sondern jene Rentner, die ihre eigenen Enkel entweder als mißraten oder allzu anstrengend empfinden oder solche überhaupt entbehren. Die, die sich endlich nützlich fühlen, indem sie Decken sortieren, ein Lächeln schenken, heißen Tee ausgeben, Harun und Saila GuttenTak beibringen.

Ein Freund schickte mir heute vier entsprechende scans aus seiner lokalen Tageszeitung, vier Artikel zum Thema „Senioren engagieren sich“ aus einer einzigen Ausgabe. Er kommentierte dazu:
Diese Helfer in der „Flüchtlingskrise“ müssen für das System von ungeheuerer Wichtigkeit sein. Vermutlich wäre ohne die freiwilligen Rentner mit viel Tagesfreizeit das System schon weit stärker im infrastrukturellen Wanken. Jedenfalls werde ich jeden Tag in der lokalenTageszeitung mit diesen Sachen vollgeballert…
Neulich haben wir uns mit einem deutschen Journalisten und seiner Frau getroffen, beide knapp im Pensionsalter. Die haben uns sehr bildreich (und mit gehöriger Distanz) erzählt, wie derzeit in ihrem Bekanntenkreis apropos „Flüchtlingskrise“ aufgeblüht wird: „Es ist, als hätten diese Leute endlich eine Aufgabe gefunden. Endlich werden sie gebraucht. Endlich können sie was tun, wofür es richtig social credits gibt, haufenweise Anerkennung; für die Leute ist das ein echter Spätfrühling!“

Jene Generation: in Teilen eine doppelte Pest. Sie haben uns die eigentlich geschmacklose Suppe vor Jahren eingegossen, jetzt schöpfen sie den Rahm ab. Was übrigbleibt, in zehn, fünfzehn Jahren? Nicht ihr Bier. Ellen Kositza

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