Stationen

Freitag, 5. Februar 2016

Le Bohemien

Le Bohémien ist ein linksgerichtetes Netzmagazin, dessen Autoren sich zum Teil überraschend quer zum landläufigen „linksgrünen Generalkonsens“ positionieren. Ein Beispiel wäre etwa dieser Beitrag des Herausgebers Sebastian Müller, der apropos Köln „die Auswüchse ideologisierten und realitätsfernen Denkens“ in Deutschland scharf kritisiert, freilich nicht ohne gleichzeitig vor „Rechtspopulisten“ zu warnen.
Ein paar Kostproben:
Die Dimensionen der Vorfälle in Köln und anderen deutschen und europäischen Großstädten erwiesen sich in den vergangenen Tagen als immer größer. (…) Das Versagen des Rechtsstaates, der Integrations- und der Flüchtlingspolitik lässt sich nicht länger vertuschen. Die Beispiellosigkeit der sexuellen Übergriffe machen eine Auseinandersetzung nunmehr unvermeidlich. (…)
Lange, erst recht nach der Zunahme der Fremdenfeindlichkeit in den letzten Jahren, wollte kaum einer über die Integrationsprobleme sprechen. Probleme, von denen eigentlich jeder weiß, das es sie schon lange gibt. Wie etwa das in allen Städten zu beobachtende, aggressive Gruppenauftreten halbstarker Jungs mit nordafrikanischen, arabischen oder türkischen Migrationshintergrund – wenn auch bisher in kleineren Maßstäben. (…)
Mit den Stigmatisierungen und dem in “die rechte Ecke stellen”, trägt der linksgrüne Generalkonsens maßgeblich zum Erfolg des Rechtspopulismus bei. Denn wer in “die rechte Ecke gestellt” wird, kann mitunter auch von rechts abgeholt werden. Dass man sich zwar die Bekämpfung von Faschismus und Patriarchalismus auf die Fahnen schreibt, diesen aber nicht im Islamismus zu erkennen imstande oder willens ist, zeugt im Übrigen von einem blinden Fleck im linken Denken.
Am 3. 2. erschien dort auch ein Beitrag von Paul Simon mit dem Titel „Laßt uns über die Neue Rechte reden“, ein „Nachtrag zu dem kontroversen Briefwechsel zwischen Armin Nassehi und Götz Kubitschek“ (nachzulesen hier; mehr dazu hier; und etwas zum Schmunzeln gibt es hier).

Auch dieser Artikel ist einem unaufgeregten Ton gehalten, der für eine linke Seite ungewohnt ist. Hinzu kommt, daß der Autor zumindest ein bißchen Ahnung über die Hintergründe des rechten Denkens hat. Nicht nur hat er Fortgeschrittenenliteratur wie den Gesprächsband Tristesse Droite gelesen, er weist auch apropos Kubitschek & Nassehi darauf hin, daß es einmal Zeiten gab, in denen politische Antipoden wie Gehlen und Adorno imstande waren, miteinander respektvolle Gespräche zu führen.

Nun, diese Zeiten sind lange vorbei, und heute finden sich – zumindest in Deutschland – weder auf der Linken noch auf der Rechten Köpfe auf der Höhe dieser beiden Meisterdenker. Und die Tatsache, daß man es heute vorzieht, unliebsame Konsensabweichler routinemäßig und reflexartig mundtot zu machen, hat die hiesige „Debattenkultur“ nicht gerade spannender gemacht. Insofern muß ich Simon hier aus tiefster Seele beipflichten, und dies nicht nur in eigener Sache:
Aber ebenso falsch ist es nun einmal, extreme Ansichten automatisch aus der Öffentlichkeit zu verbannen. Linksextreme liest man ja auch (und gerne), denn selbst wenn man deren Positionen nicht teilt, haben sie oft etwas interessantes zu sagen. Und überhaupt, wenn dieses sterbenslangweilige Land namens Bundesrepublik eines nicht braucht, dann ist es mehr Harmlosigkeit in der öffentlichen Debatte.
Ich möchte im folgenden ein paar Punkte aus diesem Artikel kommentieren. Dabei beanspruche ich nicht, im Namen der Rechten oder der Sezession überhaupt zu sprechen: auch unser Autorenstamm ist durchaus „pluralistisch“ und nicht auf einen Nenner zu bringen.


Simon schreibt also:
Die Sezession ist radikal und kompromisslos rechts, also rechtsradikal. Diese Bezeichnung scheint mir durchaus angemessen, angemessener zumindest als das vage Label “konservativ”. Wie der Name Sezession schon besagt, liegt der Standpunkt, den die Zeitschrift einnimmt, außerhalb aller etablierten politischen und gesellschaftlichen Lager, stellt also unsere Gesellschaft sehr grundlegend in Frage.
Auch wenn ich aufgrund seiner einschlägigen Konnotationen keine große Freude an dem Wörtchen „rechtsradikal“ habe, so stimme ich im Großen und Ganzen zu: Während sich gewisse Konservative, oder solche, die sich aus irgendeinem Grund dafür halten, immer wieder von uns „distanzieren“, um ihre „saubere“ Weste zu demonstrieren, so legen wir unsererseits Wert darauf, nicht mit diversen CDU-Schnarchnasen verwechselt zu werden.
Der Begriff „konservativ“ bezeichnet im heutigen Spät-BRD-Diskurs vor allem eine Schwundstufe oder eine „Kantenschere“ (dixit Kubitschek). Er dient in der Regel lediglich dazu, die eigene Harmlosigkeit oder den Grad der Anpassung an den etablierten Sandkasten zu markieren. „Konservative“ dürfen ab und zu rein und im rechten Eck ein paar hübsche Sandburgen bauen, „Rechte“ müssen generell draußen bleiben. Was aber „konservativ“ oder „rechts“ ist, wird in der Regel von links her definiert und gefiltert. Dabei wird der Begriff des Konservativen zunehmend verdünnt – siehe Gehlen, der in den sechziger Jahren noch als respektabler Konservativer galt, und heute wohl als unerträglich harter Knochen ausgesondert würde.

Nichtsdestotrotz lehne ich eine strikte Trennung zwischen den Begriffen „rechts“ und „konservativ“ ab. Der Konservatismus ist ideengeschichtlich selbstverständlich eine Bewegung der Rechten. Ich werde also im folgenden die Begriffe „rechts“ und „konservativ“ weitgehend synonym benutzen. Wo es um ein „bigger picture“ geht, muß man verallgemeinern.
Wenn sie ihre geistige und politische Souveränität nicht verlieren wollen, ist es entscheidend, daß sich die Rechten oder Konservativen die Definitionshoheit über sich selbst nicht aus der Hand nehmen lassen. Der grandiose „konservative Katechismus“ von Karlheinz Weißmann ist in dieser Hinsicht nach wie vor eine maßgebliche und nützliche Leitlinie.
Gerade Weißmann hat immer wieder betont, daß der Konservatismus Zähne haben muß, schon allein aus dem Grund, um nicht eine Veranstaltung für Langweiler zu werden. Im Gespräch mit Dieter Stein über Nutzen und Nachteil des Begriffs der „Neuen Rechten“ betonte er:
Es ist eben nicht so, daß es keine Bemühungen gibt, den Begriff zu besetzen. (…) Die Attraktivität erklärt sich aus zwei Motiven: erstens der Unverbindlichkeit dieser Art Konservatismus, dem ganzen Gerede über „Werte“, das noch nie zu irgend etwas geführt hat, und dann aus der Möglichkeit für diese „neuen Bürgerlichen“, sich ganz konservativ auf Besitzstandswahrung zu konzentrieren. Da erkläre ich allerdings entschieden meinen Dissens und möchte nicht verwechselt werden, was auch immer freudig akzeptiert wird, wenn ich erkläre, daß ich nicht nur konservativ bin, sondern rechts. (…) Wir stehen also vor dem Problem, daß es entweder gar keine Möglichkeit der Selbstbezeichnung gibt, eine unscharfe – konservativ – oder eine trennscharfe – rechts. Und wenn wir schon martialisch werden: es geht um die Alternativen Kapitulation, Kollaboration oder Guerilla. Da bin ich dann zugegebenermaßen für Guerilla – also den kleinen Krieg; dazu gehört Beweglichkeit, Deckung nutzen, Angriffslust und selbstverständlich Provokation des Gegners.
Hier noch ein paar Zitate aus dem „Konservativen Katechismus“:
Prüfe kritisch, ob es sich nicht nur um typbedingtes Phlegma oder altersbedingte Resignation handelt. Es gibt auch eine verbreitete Neigung, Faulheit und Konservatismus zu verwechseln, oder fehlende Anstrengungsbereitschaft weltanschaulich aufzuhübschen. (…) Insofern es dem Konservativen darum geht, etwas Lebendiges – seine Kultur, seine Nation, seine Religion, seine Familie – zu erhalten, kann er sich das Nachlassen nicht erlauben.
(…)
Die authentisch Konservativen sind ein buntes Völkchen: katholische Integristen und Junghegelianer, Dandys und Neo-Folk-Jünger, Computerfachleute in Jeans und eine Müslifraktion, Eurasier und Atlantiker und Nationale.
(…)
Die Stärke des Konservativen ist sein Realitätssinn, die Ablehnung von ideologischen Wunschbildern und Träumereien, für den Konservativen ist die Wirklichkeit der Maßstab, und wenn sich die Gegenwart so weit von der Wirklichkeit entfernt hat, muß man darauf reagieren. Also wende man sich dem »Essentialismus « zu, der nicht nur Konstruktion und Erfindung sieht, sondern die Substanz der Dinge; vollziehe den Schluß vom Sein auf das Sollen, weil das Natürliche und die Normalität tatsächlich Hinweise für das Richtige geben und plädiere für den gesunden Menschenverstand, der nicht nur die eigene Erfahrung auf seiner Seite hat, sondern auch die Tradition.
(…)
Halt Dich nicht damit auf, alles Alte zu bewahren! Der Konservative ist kein Trödler und kein Nostalgiker. Er will keine Konserven, in denen nur noch ein Schein des Lebens vorgewiesen werden kann. (…) Es geht auch nicht um das Alte, sondern um das Erbe, nicht ums Archivieren, sondern ums Tradieren. Es geht um den lebendigen Zusammenhang. Wenn der zerstört ist, bleibt Pietät vielleicht oder Trauer, aber nicht das, was die Anstrengungsbereitschaft des Konservativen wert ist.
Die mir persönlich wichtigste Stelle ist diese:
Kultiviere Deine Leidenschaft für die Vielfalt! Vielfalt ist das Gegenteil von Einfalt. Schütze das Konkrete, das immer ein Besonderes ist, gegen Simplifizierung und Gleichmacherei, die Unfähigkeit, im Mannigfaltigen das Schöne zu erkennen. Vive la différence! Was heißt das? Konrad Lorenz hat einmal gesagt, daß heute dem Gleichheitswahn entgegenzutreten so gefährlich sei, wie im Mittelalter zu bestreiten, daß die Erde fest stehe und sich im Mittelpunkt des Universums befinde. Der Egalitarismus ist der zäheste Teil unter den konventionellen Lügen, die alle wiederholen und die niemand glaubt. Deshalb muß der Konservative die elementaren wie die kulturellen Unterschiede verteidigen: zwischen Mann und Frau, zwischen Deutschen und Franzosen, zwischen Christen und Juden, zwischen Gott und Mensch, zwischen Kolbe und Hrdlicka, schön und häßlich, gut und böse, dumm und klug, rechts und links. Das Konkrete ist das Wirkliche.
Ich zitiere aus diesem exemplarischen Programm deshalb so ausführlich, weil ich mich immer wieder darüber wundere, wie beharrlich interessierte Linke Entwürfe wie diese ignorieren, und sich stattdessen auf ein paar magere Begriffe fokussieren, anhand derer sie dann das Phänomen der Rechten durchklinieren und auf einen Nenner bringen wollen. Das betrifft Nassehi ebenso wie den le Bohémien-Autor Simon; ich werde gleich darauf zurückkommen.

 
Zunächst aber zu dieser Stelle:
Dass die Sezession und ihr Umkreis (auch die Junge Freiheit, etc.) in den letzten Monaten aus dem Nischendasein ausbrechen und immer mehr in die Öffentlichkeit vordringen konnte, war eigentlich seit Jahren überfällig. Hatte man doch lange versucht, mit metapolitischer Arbeit den Boden für einen gesellschaftlichen Rechtsruck zu bereiten. Nach Jahren der relativen Isolation und Erfolglosigkeit trägt dieses Projekt jetzt Früchte. Mit der Flüchtlingskrise hat sich quasi ein Einfalltor in immer größere Kreise des konservativen Bürgertums geöffnet, welches zuvor von Sarrazin, Sloterdijk und eurokritischen Ökonomen mühsam Stück für Stück aufgestemmt worden war. Alles, was sich in der AfD um “Erfurter Resolution” und “Patriotische Plattform” gruppiert (und das eigentliche Machtzentrum in der Partei bildet), ist ideologisch eindeutig von Kubitschek&Co. geprägt. Einer Auseinandersetzung kann man also nicht länger aus dem Weg gehen.
Diese Konjunktur steht und fällt nach Simon allerdings mit der laufenden Krise:
Ohne Euro- oder Flüchtlingskrise würden wir diese Diskussion gar nicht führen.
Wenn (oder falls) das durch diese Krisen geschaffene Protestwählerpotential verschwindet, wird die AfD auf die 3 Prozent, die sie im Sommer hatte, zurückfallen, und auch die Sezession wird wieder in der Isolation verschwinden. Diese Isolation hat nämlich nicht nur mit der aggressiven Marginalisierungstaktik des politischen Gegners zu tun, sondern ist objektiv darin begründet, dass hier genuin extreme Ansichten vertreten werden, im Sinne von: Ansichten, die nur von einem Bruchteil der Gesellschaft geteilt, geschweige denn überhaupt verstanden werden (nicht weil die Menschen dumm sind, sondern weil ihnen derartige Gedanken so unvertraut sind, so fremd).
Nun: es ist äußerst unwahrscheinlich, daß diese Krise so rasch wieder abschwellen wird; vielmehr stehen alle Anzeichen dafür, daß wir uns erst in ihrem Anfangsstadium befinden. Selbst wenn die deutsche Regierung plötzlich ihrem bisherigen Kurs radikal abschwören sollte, so ist der bereits angerichtete Schaden riesig. Und diese Krise ist  nicht etwa erst im Sommer 2015 aus dem Nichts entstanden, sondern ist der Kulminationspunkt von Entwicklungen, die bereits seit Jahrzehnten andauern und ebenso lange von Konservativen kritisiert werden.
Wie so oft, handelt es sich um Dinge, vor denen die konservativen Kassandren schon lange gewarnt haben und die in einem weitreichenden historischen Kontext stehen, dessen sich die wenigsten bewußt sind. Wenn nun eine breitere Öffentlichkeit für konservative und rechte Positionen offen ist, dann schlicht deswegen, weil die Analysen der wie alle Kassandren geächteten und ignorierten Konservativen faustschlagartig von der Realität bestätigt werden, während das Boot deutlich nach links und durch links am Kentern ist.

Insofern ist es nicht richtig, daß in der Sezession lediglich „genuin extreme Ansichten vertreten werden“, oder solche, die nur „von einem Bruchteil der Gesellschaft“ verstanden werden. Gewiß sind für den Durchschnittsleser Diskussionen über, sagen wir, Martin Heidegger oder Oswald Spengler oder, noch weiter draußen, Julius Evola und René Guénon kaum verständlich. Aber niemand kann mir sagen, daß etwa die Momentaufnahmen von Ellen Kositza  unzugänglich oder esoterisch oder gar „genuin extrem“ seien, auch wenn nicht jeder die listige Ironie oder die hintergründigen Pointen ihrer Anspielungen wahrnehmen mag. Und das gilt erst recht für den Stoff, den etwa die Junge Freiheit oder auch pi-news behandeln – vielmehr handelt es sich hier um Themen, die ohne Zweifel das Potenzial haben, breite, sagen wir: „bürgerliche“ Schichten anzusprechen, auch solche, die Martin Sellners oder Lutz Meyers komplizierteren Höheflügen nicht folgen können.

Umgekehrt hat auch die Linke ihre Esoterik – die Kritik Paul Simons am „Neoliberalismus“ und „Sozialdarwinismus“ von Thilo Sarrazin basiert ihrerseits auf Begrifflichkeiten und Ansichten, „die nur von einem Bruchteil der Gesellschaft geteilt, geschweige denn überhaupt verstanden werden“ – im Gegensatz zu Sarrazins eigenen Ansichten. Daß sich der Autor hier nichts vormacht!





 

Nun aber zum eigentlich interessanten Teil. Was Simon an Nassehis Herangehensweise mißfällt, ist, daß er mit Kubitschek zu sehr spricht
 als sei dieser selbst vor allem ein Intellektueller oder gar Soziologe, dem es an einer Analyse und Beschreibung der Gesellschaft gelegen ist. Die eigentliche Dynamik, aber auch die eigentlichen Antriebe von Kubitscheks Denken, und dem rechten Denken allgemein, entgehen ihm auf diese Weise.
Und diesen Kern glaubt er mithilfe des Buches The Reactionary Mind von Corey Allen gefunden zu haben, der als Grundgedanken des Konservatismus die Annahme nennt, „that some are fit, and thus ought, to rule others.“
Rechte glauben an Hierarchien und an die Ungleichheit der Menschen. Wenn sie von der Stabilität und der Notwendigkeit fester sozialer Normen und Institutionen sprechen, dann ist damit immer erstens eine hierarchischere Ordnung gemeint, und zweitens eine, die sich dadurch auszeichnet, dass konkrete, feste, und freie Kontrolle und Macht von einigen Menschen über andere Menschen ausgeübt wird. Ob der Staat gegenüber Arbeitslosen, die Justiz gegenüber Kriminellen, der Unternehmer gegenüber Angestellten, der Lehrer gegenüber Schülern, oder der Vater gegenüber Frau und Kind: Immer geht es darum, die Freiheit und Macht “natürlicher” Autoritäten über die zu stärken, die auf Kontrolle und Leitung angewiesen sind.
Im Briefwechsel Nassehi-Kubitschek würden dagegen Begriffe wie „Hierarchie, Macht, Herrschaft, Unterordnung, Kontrolle oder Klassenbewusstsein“ keine Rolle spielen; und damit wäre auch der Kern verfehlt. Man ahnt in Zeilen wie diesen die Foucault-Lektüre: demnach werden Konservative also vor allem von dem Drang bewegt, zu herrschen, zu kontrollieren, zu überwachen und strafen, oder andere zu diskriminieren, zur eigenen Selbstüberhöhung oder zur Wahrung von Klassenprivilegien:
Es geht Rechten vor allem darum, klarere und strengere Herrschaftsverhältnisse herzustellen, das ist es, woran sie glauben. Wie ich schon einmal am Beispiel Sarrazin versucht habe zu belegen, missfällt ihnen an der ausländischen Bevölkerung oft ja nicht einfach nur ihre Anwesenheit. Es ist mehr die Tatsache, dass die ausländische Bevölkerung (die zumindest bei Sarrazin mit der deutschen Unterschicht verschwimmt) nicht der unmittelbaren Kontrolle der deutschen bürgerlichen Gesellschaft untersteht.
Und nun kommt eine Stelle, die mich schlichtweg frappiert hat:
Überspitzt gesagt: Eine migrantische Bevölkerung, die nicht durch staatsbürgerliche Rechte, ein Klima der Toleranz und Gleichberechtigung, sowie den Sozialstaat geschützt und zu gleichberechtigten, autonomen Subjekten gemacht werden würde, wäre auch für die Rechte akzeptabel. Und wer weiß, vielleicht würde das vorgeschobene Argument der “Fremdheit” schnell an Bedeutung verlieren, wenn man Immigranten so wie in vielen anderen Ländern (Singapur, Saudi-Arabien, etc.) zu einer fast rechtlosen, niedrigen Kaste degradieren würde…
Dies gehört zu den orginellsten und bizarrsten Dingen, die ich jemals über die Rechte gelesen habe. Demnach wäre sie in ihrem Durst nach absoluter, radikaler Ungleichheit erst dann zufrieden, wenn man Millionen von Migrantionshintergründlern und Immigranten völlig entrechten und zu vogelfreien Pariahs erklären würde!  Inwiefern soll dann die „Kontrolle“ der „bürgerlichen Gesellschaft“ über diese Massen besser gewährleistet sein? Weil „man“ dann mit ihnen quasi machen kann, was „man“ will (was für eine Logik!)?

Und das „Argument der Fremdheit“ ist also nur vorgeschoben, weil „die Rechte“ in Wirklichkeit nach einer abstrakten „Ungleichheit“ giert?

Wenn die Immigranten und die „migrantische Bevölkerung“ (zwei in vieler Hinsicht verschiedene Gruppen, ist das dem Autor eigentlich bewußt?) völlig rechtlos sind, dann muß man sie nicht mehr als „Fremde“ betrachten? Und dies alles soll nun welchen Sinn haben?

Einmal abgesehen davon, daß eine solche Situation eine soziale Atombombe für die innere Sicherheit und die relative Balance der Gesellschaft wäre, die dem Konservatismus doch so wichtig ist, so ist es in der realen Welt eher so, daß die Rechte eine „migrantische Bevölkerung“ vor allem dann für „akzeptabel“ hält, wenn zwei Dinge gegeben sind: wenn sie 1) ausreichend assimiliert/integriert ist, und 2) wenn ihre Zahl proportional zur Gesamtbevölkerung relativ gering ist, wobei Punkt 2 das Gelingen von Punkt 1 wesentlich begünstigt; und ab einer bestimmten Zahl wird die Integration/Assimilation verunmöglicht.

Simons verabsolutierende Interpretation des rechten Schlüsselbegriffs der „Ungleichheit“ kulminiert schließlich im Bild einer wahren Orgie der antiegalitären Freiheitsberaubung aus bloßem Machtwillen heraus:
Um es klar zu stellen: Ich glaube nicht, dass jeder einzelne Rechte von dem persönlichen Drang nach Macht und Herrschaft getrieben ist, obwohl das sicher oft die Motivation ist. Aber jeder Rechte glaubt, dass eine Gesellschaft nur funktioniert, wenn es in ihr Hierarchien und Herrschaft gibt, wenn also vielen Menschen ganz konkret Freiheiten und Autonomie genommen werden: den Armen, den Arbeitslosen, den Arbeitern, den Muslimen, den Fremden, den Studenten, den Faulen, den weniger Klugen, den Kindern, den Frauen, den Schülern, den Kulturschaffenden, den Medien, etc. Auch marktradikale Libertäre, die ja eigentlich die “individuelle Freiheit” hoch halten, sind in diesem Sinne “Rechts”: Sie glauben bloß, dass die Disziplinierung, Herrschaft und Hierarchisierung, um die es ihnen eigentlich geht, am wirksamsten und gerechtesten von einer freien Marktwirtschaft vollzogen werden kann.
Ein weiteres seltsames Zerrbild, dessen schiefe Perspektiven sich offenbar aus im Wortsinne „radikal“ egalitären, „genuin extremen“ Prämissen ergeben. Wie löst man dieses Knäuel auf? Erstens würde ich gern ein Beispiel für irgendeine funktionierende Gesellschaft hören, in der es weder Hierarchien noch Herrschaft gibt, und in denen „vielen Menschen“ NICHT „ganz konkret Freiheiten und Autonomie genommen werden“. Eine solche Gesellschaft hat niemals existiert, und sie ist auch nicht vorstellbar, gerade bei fortschreitender Komplexität.

Auch eine Gesellschaft, die egalitäre Werte hochhält und in der etwa Klassenschranken gelockert oder stark aufgelöst sind oder sich die Bildungsunterschiede einander annähern (meist eher im Niveau nach unten nivelliert statt nach oben gehoben), kann nur durch ein gewisses Maß an Herrschaft, Hierarchie und durch Beschränkung von Freiheiten existieren. Wenn alle uneingeschränkt „autonom“ sind, kann es keiner sein. Und wer sagt, daß jedermann die Befähigung, die Reife oder auch nur den Willen zur Autonomie hat? Wer etwa Kindern oder Schülern volle „Freiheiten“ und volle „Autonomie“ zugesteht, darf sich nicht wundern, wenn das Ergebnis regressive und haltlose Individuen sind, die etwa so frei und autonom sind, wie es ihnen ihre herumschwirrenden Teilaffekte erlauben.





 

Ich breche an dieser Stelle ab, denn langsam wird es langweilig. Die Tatsache, daß Menschen der Erziehung und der Anleitung bedürfen, daß der Aufbau und Erhalt von Kultur und Zivilisation einer stetigen Anstrengung bedarf, sollte, wie man im angloamerikanischen Raum so schön salopp sagt, ein „no-brainer“ sein. Wir haben es hier mit einer klassischen linken Fehlkonzeption zu tun: Freiheit und Autonomie sind nicht etwas, das man in einem repressionslosen Urzustand einfach „hat“. Der Mensch ist nicht notwendigerweise „frei“ oder „autonom“, weil er ohne „Hierarchien“ oder „Herrschaft“ lebt, was ihm ohnedies kaum möglich ist, schon allein deshalb, weil er auch immer ein soziales, von anderen abhängiges Wesen ist und sich mit anderen im Wettstreit befindet.
Und „Hierarchien“ oder „Herrschaft“ oder „Ungleichheit“ sind keine starren Dinge oder bloße Ansprüche, die irgendwelche selbstherrlichen Individuen willkürlich erheben, um an anderen, Schwächeren, ihre Macht- und Kontrollgelüste zu befriedigen. Das gibt es auch, aber das ist natürlich nicht Sinn der Sache der Rede von der „Ungleichheit“, die ein relativer Begriff, also stets kontextabhängig ist, und stets in Relation zu anderen Begriffen und Seinsebenen steht. Wenn Linke mit Begriffen wie „Homogenität“ oder „Ungleichheit“ operieren, um die Rechte zu erfassen, dann gehen sie oft irrigerweise davon aus, als hätten sie es mit absoluten, abstrakten Prinzipien zu tun.
Dagegen ist die Ansicht der Konservativen - oder sagen wir einfach: aller Realisten – schlicht: Hierarchie, Ungleichheit, Herrschaft, Machtverhältnisse usw. sind nicht Dinge, die man „wollen“ muß, aus was für sinistren Motiven auch immer. Sie sind Tatsachen, die stets zur Hintertür hineinschleichen, wenn man sie zur Vordertür hinausschmeißt. Sie hören nicht auf, bestimmende Faktoren der menschliche Gesellschaft zu sein, nur weil man das gern so hätte, oder weil man sie höflich kaschiert. Sie können natürlich zu Tyrannei und Ungerechtigkeit führen; aber ohne sie gibt es auch keine Freiheit und keine Gerechtigkeit, keinen Fortschritt, keine Tugend, keine Form, keine Exzellenz, keine Qualität, keine Größe (um ein pathetisches Wort zu benutzen). Die Möglichkeiten, die hier zum Guten wie zum Schlechten führen, sind zahllos. Wenn man dagegen von (radikal) egalitären Prinzipien ausgeht, landet man zwangsläufig immer im Schlechten; ein auf der schiefen Ebene gebautes Haus stürzt irgendwann ein.
Demnächst mehr dazu, auch Simons Interpretation von diversen Kubitschek-Zitaten bedarf eines Kommentars.

Zum Abschluß noch ein weiteres Zitat von Karlheinz Weißmann, aus dem alten Sezession-Themenheft „Rechts“ (2003/3):
Nolte hat es vermieden, der „ewigen Linken“ eine „ewige Rechte“ gegenüber zu stellen, etwa als Repräsentanten der herrschenden Klassen. Die Zusammensetzung der Rechten habe sich im Lauf der Zeit sehr stark verändert, und mit ihr die der rechten Weltanschauungen und Programme. Diese Heterogenität hat der Rechten den Ruf eingetragen, die Partei der Ungleichheit und des wahllosen Konservatismus zu sein. Aber schon oberflächliche Betrachtung zeigt, daß die Rechte nicht die Ungleichheit als solche verteidigt und daß sie nicht jede Ordnung bejaht.

Die Ablehnung des zentralen Inhalts linker Ideologie ist für die Rechte vielleicht zuerst eine Stilfrage. Man empfindet Gleichheit als Gleichförmigkeit, als Uniformität und die als ästhetisch störend.

Die Wertschätzung der Höflichkeit, der nuancierten Signale von Über- und Unterordnung ist insofern typisch rechts. Die Bevorzugung des Geschlossenen gegenüber dem Diffusen steht dazu nur scheinbar im Widerspruch, weil Geschlossenheit eine Gestalt verbürgt, die das Einzelne eingliedert und zum Teil eines Ganzen macht, das mehr ist als die Summe seiner Teile.
Für die Rechte ist die Hierarchie schön und mit ihr der liturgische Ausdruck. Es rührt aus dieser Wahrnehmung auch die Sympathie für authentische Volkskulturen einerseits und die Ablehnung des Multikulturalismus an dererseits. Die Rechte sieht in der Kultur immer ein Gesamt von Herkunft, Heimat und spezifischen Ausdrucksweisen, für die Linke ist die Kultur patchwork , dessen Elemente man um der Buntheit willen beliebig vertauschen kann.

 Soweit Martin Lichtmesz.



Einwenden muss ich, dass Nolte sehr wohl der "ewigen Linken" eine "ewige Rechte" gegenübergestellt hat! Und zwar Anfang der 90-er Jahre in einem Interview des italienischen Fernsehens. Zur Zukunft Europas befragt und zur Frage, ob die Unterscheidung zwischen "rechts" und "links" noch Sinn habe, antwortete Nolte, Europa müsse vor allem zu etwas zurückfinden, das immer seine Stärke gewesen sei, zum scharfsinnigen Nachdenken. Und die Unterscheidung zwischen "rechts" und "links" sei zeitlos gültig, insofern Gleichheit, Freiheit, Brüderlichkeit ewig linke Werte seien, während die Werte der Rechten auf ewig das genaue Gegenteil seien: Unterschied, Ordnung, Distanz.

Und dies impliziert einen zweiten Einwand gegenüber Weißmann: offenbar ist das "Gerede über Werte" eben doch nicht nur Gerede. Wir alle sind mehr oder weniger links und gleichzeitig mehr oder weniger rechts. Wer sich ausschließlich als das eine oder das andere definiert ist ein halber Mensch


Aber Lichtmesz führt seine Analyse der linken Hälfte in einem zweiten Essay fort:


Zu Beginn möchte ich ein paar Bemerkungen über Armin Nassehi  loswerden. Der inzwischen an mehreren Orten publizierte Briefwechsel zwischen ihm und Götz Kubitschek war Anlaß des Artikels auf le Bohémien, auf den ich hier antworte.
Nassehi hat inzwischen ein wenig den seligen Mathias Brodkorb (falls sich noch jemand an diese Golden Days erinnert) in der Rolle des „Neue-Rechte-Verstehers“ abgelöst und gilt manchen als der große argumentative Nußknacker, etwa diesem Autor der FAZ, der den Briefwechsel als „Sternstunde der Aufklärung“ bezeichnete und jubelnd den Endsieg verkündete:
Nach Lektüre dieses ebenso intelligent wie respektvoll geführten Schlagabtauschs lässt sich ziemlich genau nachvollziehen, wo der denkerische Weg Kubitscheks zum Holzweg wird.
In Wahrheit ist es natürlich so: Diejenigen, die so denken wie Kubitschek, glauben, er habe die Partie gewonnen, und diejenigen, die so denken wie Nassehi, glauben, er habe gewonnen. Am Ende sind sie beide nur an dem üblichen Sackgassenpunkt des „Ich-seh-etwas-was-du-nicht-siehst“-Spiels zwischen Linken und Rechten angelangt. Die Wirklichkeit steht auf unserer Seite! Steht die Wirklichkeit auf unserer Seite?
(Indes hat sich Nassehi – wie weiland Brodkorb – auch bei einigen Linken schwer unbeliebt gemacht, dieser Netzfund etwa hat mir ein wenig den Abend versüßt.)
Um nun aber beim Thema zu bleiben, in seinem ironisch betitelten Buch „Die letzte Stunde der Wahrheit“ bietet Nassehi eine simple Formel an, um das rechte Prinzip auf einen Nenner zu bringen:
Wenn man das Rechte auf einen Begriff bringen will, dann ist es eine merkwürdige Konstellation von Gleichheit und Ungleichheit, nämlich Gleichheit nach innen und Ungleichheit nach außen.
Da frage ich mich gleich als erstes, wieso Nassehi eine solche Konstellation für „merkwürdig“, und zweitens, wieso er sie für spezifisch „rechts“ hält. Diese Formel scheint mir vielmehr konstitutiv für jegliche Art von Gruppenidentität zu sein. Das hat sogar der Verfasser dieses Neue-Rechte-für-Dummies-Guides auf Krautreporter en passant kapiert:
Das klingt sehr abstrakt, er meint damit aber eigentlich etwas sehr Einfaches: dass wir Menschen uns mit anderen Menschen zusammentun, die uns ähneln und die wir deswegen als ebenbürtig oder eben als uns gleich empfinden. Menschen, die uns nicht ähneln, können nicht Mitglied dieser Gruppe werden.
Na eben. Das versteht jede Schulhofbande. Man mache einmal das umgekehrte Gedankenexperiment und frage sich, wie denn eine Gruppe beschaffen sein muß, die auf „Ungleichheit nach innen und Gleichheit nach außen“ basiert. Ich für meinen Teil kann mir derartiges jedenfalls nicht vorstellen. Und eine Gruppe, die einzig und allein auf Gleichheit oder Ungleichheit nach innen wie außen aufbaut, würde logischerweise aufhören, eine zu sein. Sie würde sich entweder in einen Haufen Individualisten auflösen, oder nach außen zerstreuen, und ihr weiteres Schicksal entscheidet sich je nachdem, ob sie da draußen auf andere Gruppen stößt, die sie als Ungleiche ablehnen oder als Gleiche akzeptieren.


Der Einwand wird auch in dem „Neue-Rechte“-Guide aufgeworfen:
Moment mal! Borussia-Dortmund-Fans, Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr und des Lesezirkels, die ähneln sich ja auch – sind die etwa alle rechts?
Natürlich nicht. Der Bezug ist entscheidend. Fan von einem bestimmten Fußball-Verein zu sein, wirkt sich nicht darauf aus, wie ich die Welt politisch sehe. Aber wenn ich mich stark mit meinem Deutsch-Sein identifiziere schon. Kultur und Ethnie, kurzum die Herkunft, sind Dinge, die das Denken von Rechten sehr stark beeinflussen.
Damit wären wir einen, wenn auch nicht sehr befriedigenden, Schritt weiter gekommen. Es ist klar, daß eine Gruppe, die sich in einem Wettbewerb oder frei nach Armin Mohler in einem „Agon“ mit anderen Gruppen befindet, als Brennstoff ihrer Raison d‘être einen gewissen „Patriotismus“ braucht, um zu bestehen, sich durchzusetzen und in Form zu halten. Fußballvereine sind dafür klassische, harmlose Beispiele: sie sind für ihre Anhänger oft so etwas wie Surrogat-Nationen und vorpolitische Simulakren, und die Fußballspiele symbolisch ausgetragene, unblutige Kriege, ritterlich geregelt wie die Kabinettskriege des Absolutismus, dabei enorme Emotionen (und Agressionen) auslösend und befriedigend.
Das Beispiel zeigt uns jedoch, daß auch die Formel „Gleichheit nach innen“ zu einfach ist. Auch innerhalb der Schulhofbande sind nicht alle gleich, gibt es Anführer und Sidekicks, Hierarchien und Rollenverteilungen. Wie ich bereits im ersten Teil dieses Beitrags angedeutet habe, sind Gleichheit und Ungleichheit Relationsbegriffe und nicht etwa starre Kategorien. Sie modellieren unser Dasein in komplexen Schichten, wie einander ergänzende und wechselseitig stützende konkave und konvexe Wölbungen.
So auch im Fußballverein und den mit ihm verbundenen Fanclubs: hier gibt es augenfällig Tiere, die „ungleicher“ sind als die anderen, und von denen man geradezu erwartet Ungleiche, „Stars“, zu sein, also die aktiven Sportler, die Mannschaft, die alle Schlachten schlägt, und um deren Kampf und Agon sich die ganze Veranstaltung überhaupt dreht. Und auch hier gibt es wiederum Hierarchien: einen Trainer als General etwa und die Spitzenstürmer als die Alphatiere und Aushängeschilder des Vereins, dessen Ruhm sie mehren.
Ähnliche Hierarchien gibt es auch in den Fanclubs, allerdings steht hier vor allem, insbesondere während der Spiele, das rauschhafte Massenerlebnis, Gleicher unter Gleichen zu sein im Mittelpunkt (ein Hochgefühl, das nicht zuletzt dadurch befördert wird, daß auf der anderen Seite der Zuschauerreihen die Ungleichen, die gegnerischen Fans sitzen), und gleichzeitig am Ruhm ihrer Stars, ihre Hektore und Achilles, teilhaben zu können und sich ihnen damit auch wieder ein bißchen gleichzustellen.
Das sollte einstweilen genügen, um zu verdeutlichen, daß niemals von Gleichheit oder Ungleichheit, sondern immer von Sowohl-als-auch die Rede sein kann. Es ist also gar nichts „Merkwürdiges“ an dieser Konstellation. Mit Norberto Bobbio könnte man nun sagen, daß die Linke das Schwergewicht auf die Gleichheit, die Rechte auf die Ungleichheit legt.
Beide kennen und fürchten Formen der Tyrannis der radikalisierten Ungleichheit oder Gleichheit: ein klassischer, bis ins alte Rom und Athen zurückreichender konservativer Impuls ist die Abscheu vor der Masse, der Herde, dem Kollektiv, dem Pöbel und anderer demokratischer Mobilisierungseinheiten, die von Neid, Ressentiment, Rachsucht getrieben werden, und auf ihrem Weg alles plattzumachen und auf ihr Niveau herunter zu zerren versuchen.

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Besonders schön hat das Stefan George dargestellt (Martin Sellner und ich können das Gedicht auswendig):
Larven aus faulenden hirnen gekrochen
Sind nun ins leben hereingebrochen
Breiten sich dreist über alle gassen:
›Das reich ist unser: wir kommen in massen.
Der geht noch aufrecht – reisset ihn um
Der hat noch ein antlitz – zerret es krumm!
Der schreitet noch – er schleiche und hinke
Der schaut noch – macht dass er schiele und zwinke!
Kein arm: wir brauchen nur taster und greifer
Kein blut: wir brauchen nur gallert und geifer.
Hinweg mit seelen mit höhen und himmeln
Wir brauchen nur staub: wir die kriechen und wimmeln.‹
Etwa solche Bilder tauchen auf, wenn man als Rechter das Wörtchen „Gleichheit“ hört. Das mag einem übertrieben erscheinen, jedenfalls sollte sich spätestens seit Nietzsche herumgesprochen haben, daß sich auch hinter der Forderung nach Gleichheit ein Macht-, Kontroll-, Ausbeutungs-, Herrschaftswille größeren Stils verbergen kann – und seit Orwell, daß zu böser Letzt doch immer manche Tiere gleicher sind als andere.

Gewiß gibt es auch, apropos Nietzsche, innerhalb der rechten Denkfamilie Strömungen, wie sie etwa in den Faschismus gemündet sind, die die Macht als Macht verherrlichen, wobei wohl einiges davon auch eine Reaktion auf die Heucheleien der Linken gewesen sein mag, die ihren Willen zur Macht besser zu tarnen versteht.

Und dann gibt es noch Dostojewskijs Großinquisitor, Joseph de Maistre oder Dr. Zaius aus dem alten „Planet der Affen“-Film, die sich alle darin einig sind, daß es dem Glück der Menschen dient, wenn sie in Unfreiheit und Unwissenheit und unter einer elastischen autoritären Kontrolle gehalten werden, wofür sie äußerst gewichtige und beunruhigende Argumente ins Feld zu führen wissen.

Ähnlich gelagert wie die Diskussion um die Freiheit ist jene um die „Homogenität“, die nicht minder mißverstanden wird wie die „Ungleichheit“. Hier zeigt sich die kuriose Tatsache, daß Linke die „Gleichheit“ preisen, die „Homogenität“ allerdings abhorreszieren, obwohl beide Begriffe eng miteinander verwandt sind, wenn nicht gar im Kern synonym. Bei Rechten ist es genau umgekehrt: „Gleichheit“ ist schlecht, „Homogenität“ gut, meistens als ethnisch-kulturelle Homogenität verstanden (dies widerspricht nicht dem bisher Gesagten, sondern bestätigt es vielmehr).

Auch die „Homogenität“ ist – als Form der „Gleichheit“ – ein relativer, in Relation stehender, in Schichtungen und Gradabstufungen wirksamer Begriff. Wenn wir Rechte etwa von „ethno-kultureller Homogenität“ sprechen, dann meinen wir nicht ein „rassereines“ Volk oder einen Staat, in dem alle gleich denken und gleich aussehen und auf die gleiche Weise „deutsch“ sind wie jeder andere. Das wäre natürlich absurd.

Das „Homogene“ ist wie im Fußballverein oder sonst einer Gruppierung all dies, was durchaus heterogene Gruppen zu einer Einheit, zu einer Interessens- und „Schicksalsgemeinschaft“ zusammenfaßt, und dies können Momente geographischer, kultureller, religiöser, sprachlicher, rassischer/ethnischer Natur sein.
Vorausgesetzt, daß für diese Gemeinsamkeiten auch ein starkes und emotional tiefreichendes Bewußtsein vorhanden ist, das eine gemeinsame Identität und eine übergreifende Solidarität erzeugt, die den Wettbewerb und die Ungleichheiten im Inneren abfedert und ausgleicht.

Auch das kann immer nur ein relativer, sich in stetiger dynamischer Bewegung befindlicher Zustand sein. Die heterogenen Momente unter dem homogenen Dach haben immer wieder die Tendenz, die erlangte relative Homogenität zu sprengen, und wieder neue, eigene Einheiten zu bilden. Darum bezeichnete der französische Philosoph Raymond Aron – auch er ein bedeutender Kopf des rechten Spektrums – den kulturell homogenen Nationalstaat als das „politische Meisterwerk“ par excellence, mitunter als ein Gebilde, das sich keineswegs von selbst versteht, das einer Anstrengung und einer Willensleistung bedarf, das aber, wenn es gelingt, eine überaus stabilisierende Wirkung entfalten kann. In der Tat ist der im 19. Jahrhundert begründete Nationalstaat in Europa immer noch die gängige politische Einheit; die Nationen (also die Völker und ihre historischen Narrative) die ihm zugrunde liegen, sind freilich viel älter.

DamnYou


Die Einheit in der Vielheit (benutzen wir nicht das orwellianisch kontaminierte Wort „Vielfalt“), die Balance von Gleichheit und Ungleichheit – das ist in der Tat eine Frage der politischen Meisterschaft, und gelingt selten genug. Blaise Pascal bemerkte in den Pensées:
Die Vielheit, die sich nicht zur Einheit zusammenschließt, ist Verwirrung, die Einheit, die nicht von der Vielheit abhängig ist, ist Tyrannis.
Inwiefern ein solcher von Aron gepriesener Nationalstaat auch „ethnisch homogen“ sein muß, um zu funktionieren und stabil zu bleiben, ist auch im rechten bzw. konservativen Spektrum ein Streitpunkt. (Übrigens, freundlichen Gruß an Herrn Lichtschlag, ein ethno-kulturell weitgehend homogener Staat ist immer auch ein Staat mit weniger Staat und weniger Polizei, wogegen „diversity“ und Multikulturalismus aufgrund der darin enttstehenden Konflikte den Staat, insbesondere den Überwachungs- und Gesinnnungsstaat, erheblich anwachsen lassen, wie wir ja momentan deutlich beobachten können. Darum fände ich es logisch und in ihrem eigenen Interesse, wenn auch Libertäre die ethnisch homogene Nation unterstützen würden. Millionen von eingewanderten Hispanics in den USA stimmen nicht für Trump oder Ron Paul selig, sondern für Obama und Sozialstaatalimentierung.)
Auch bezüglich der „ethnischen Homogenität“ gibt es, wie gesagt, eine Menge Mißverständnisse. Ich kann das Thema an dieser Stelle wieder nur skizzieren, und zitiere darum mich selber aus meinem Büchlein „Die Verteidigung des Eigenen“:
Der Konservative weiß um die historischen, biologischen und räumlichen Faktoren, die das Entstehen und den Erhalt von »Mannigfaltigkeit« überhaupt erst bedingen. Und er weiß auch, daß es keineswegs der Zufuhr fremder Ethnien oder Religionen bedarf, um eine Nation oder ein Volk »vielfältig« zu machen. Die Behauptung, ethnische Homogenität und »Vielfalt« würden einander ausschließen, ist blanker Unsinn, es sei denn man reduziert den Begriff unzulässig aufs Ethnisch-Rassische, wie es gerade die Antirassisten ständig tun. In einer einzigen größeren Familie kann eine erhebliche »Vielfalt« an Charakteren, physischen Konstitutionen, sozialen Konstellationen und Herkunftsunterschieden aufeinanderprallen. Nicht anders ist es mit einer ganzen Nation, die unter ihrem Dach eine große Zahl komplexer Strukturen versammeln kann. Dies haben nun ausgerechnet die Deutschen vergessen, deren komplizierte Nation, »von der Maas bis an die Memel, von der Etsch bis an den Belt«, immer schon ausreichend »multikulturell« war und einen ungeheuren und nicht immer unproblematischen Reichtum an physiognomischen Typen, Temperamenten, Mundarten, Mentalitäten, Landschaften und historischen Kontinuitäten umfaßte.
Armin Mohler schilderte in seinem Buch Der „Nasenring“ wie überrascht er während seines Aufenthalts in Deutschland im Jahre 1942 über dessen »eigenartige und wohl auch einzigartige Vielfalt« war: »Das Volk, das sich in den Augen des Auslandes, von Freund und Feind, als Phalanx von Gleichgerichteten mit einheitlichem Willen ausnahm, erwies sich bei näherem Zusehen als ein verwirrendes Geflecht von Eigenheiten, Besonderheiten und Verschiedenheiten.« Diese Beobachtung verband er mit einer seiner typischen Provokationen: »Und doch hielt es zusammen und war imstande, einen Krieg – und was für einen! – zu führen!«, und dies in einem einzigen Jahrhundert gar zweimal. Er kommt zu einem Schluß, der ironischerweise an den »diversity is strength«-Slogan der amerikanischen Multikulturalisten erinnert: »Vielleicht war es gerade die labyrinthische Vielfalt Deutschlands, die den Deutschen eine solche Leistung ermöglichte; durch ein so gewachsenes Gehäuse fegt ein Sturm nie ganz durch; die Abschottungen schaffen Freiräume (›Nischen‹ im Sinne Gehlens), aus denen immer neue Kraft gewonnen werden kann.«
Die Linken und Linksliberalen können die »Vielfalt« dagegen nur ortlos und schematisch denken. Sie ist für sie nur insofern interessant, als sie als »Ferment der Zersetzung« gegen die »Mehrheitsgesellschaft« einsetzbar ist. Das führt dazu, daß am Ende doch wieder der typisch linke Haß auf jedes Anderswo und Anderswie zum Vorschein kommt. Alles muß »bunt« gemischt sein, und wehe jedem gleich dem Gallierdorf des Asterix verteidigten Flecken, der es noch wagt, sich den Zwangssegnungen der »Diversity« zu verweigern. Die »Diversen«, die die »Buntheit« bringen sollen, die uns nie gefehlt hat, werden dabei stets aus denselben außereuropäischen Reservoirs geschöpft, die überbersten von
»ethnisch homogenen« Menschenmassen. In Europa angekommen, verharren sie in der Segregation, bilden raumgreifende Kontingente, die die Städte afrikanisieren, orientalisieren, asiatisieren und einander angleichen. Damit wird uns auch die Freude am Exotischen und Fremden zerstört, wenn dieses unseren Alltag besetzt und vor unserer Haustür regiert.


Zuletzt, mit all dem Vorangehenden im Hinterkopf: Paul Simon zitiert in seinem Artikel Kubitschek aus „Tristesse Droite“:
Wir leben indes in einer Zeit, in der jedes Schicksal abgefedert, jeder Lebensirrtum ausgebügelt, der Schrott jedes Experiments weggeräumt wird – wo sollte da eine konservative Handlungslehre herkommen, die tiefer reichte und tiefer wirkte als irgendein Lack?
Der Kern dieser Aussage ist doch folgender. Eine „konservative Handlungslehre“ sagt: bedenke die Voraussetzungen der Grundlagen deines Seins und die Folgen deines Tuns, verschleudere sie nicht in Experimenten und voreiligen utopischen Räuschen, zumal, wenn dies auch andere, gar eine ganze Gesellschaft affiziert. Derlei muß man sich leisten können, und wir leben in einer Gesellschaft, die nicht nur in diesem Punkt über ihre Verhältnisse lebt.
Simon kommentiert bzw. interpretiert dies so:
Kubitschek macht sehr deutlich, warum er gerade für schwächere Menschen härtere Lebensumstände für begrüßenswert hält: Nur eine unabgefederte, unsichere, härtere Existenz könne sie zu einer würdigen Lebensführung verleiten – die Abfederung von Druck führt zu Dekadenz. (…)
Die praktische politische Dimension dieses Gedankens, nämlich seine Anschlussfähigkeit für ein Bürgertum, das sich größere Kontrolle und weniger (staatlich erzwungene) Solidarität mit den Schwächeren und Anderen wünscht, wird von Nassehi übersehen, der Kubitschek vor allem mit den Begriffen Homogenität und Komplexität zu greifen versucht. Aber um gesellschaftliche Homogenität allein geht es den Rechten nicht. Die Vorstellung unauflöslich fremder, ja prinzipiell feindlicher kultureller Identitäten ist vielmehr Bedingung des Gedankens der Ungleichheit, und dieser wiederum ist der notwendige, grundlegende Schritt zur Schärfung von Hierarchien.
Rechten geht es um den Angriff auf die Freiheit der Vielen, zugunsten der Freiheit und der Macht der Wenigen.
Ich protestiere und bleibe dabei, daß dies eine ungedeckte Unterstellung ist, der ein falscher Freiheits-, ein falscher Gleichheits-, und ein falscher Machtbegriff zugrunde liegen. Hierarchie, Autorität und Ungleichheit sind keine Selbstzwecke, die dazu dienen sollen, Macht- und Kontrollgelüste zu befriedigen oder selbstherrliche Klassenprivilegien zu installieren und zu rechtfertigen. Das wäre in der Tat ein Mißbrauch, und so ist es nicht gemeint.
Es ist auch nirgendwo die Rede davon, daß Kubitschek „gerade für schwächere Menschen“ härtere Lebensumstände für „begrüßenswert“ hält. Wo steht das? Nirgends. Der Akzent ist ganz woanders, und er hat in der Tat mit der Dekadenz zu tun, mit all jenen Dingen, die man sich auf Kosten von Beständen leistet, die eben dadurch aufgebraucht werden, weil sich mit zunehmender Gewöhnung niemand mehr Gedanken über ihre Voraussetzungen macht.
Die Frage nach ist nicht, wie man Mittel finden kann, „Schwächere“ zu beherrschen oder gar auf der Strecke bleiben zu lassen oder Hierarchien um ihrer selbst willen zu verschärfen. Nein, es handelt sich vielmehr um das eigentliche und tiefste Anliegen der „Ungleichheit“: die Frage nach der Qualität vor der Quantität. Die egalitäre, (wie Gehlen sagen würde)“eudämonistische“, die Menschen in einen therapeutischen Wohlfahrtsstaat einbettende Gesellschaft ist ein Feind der Qualitäten, denn diese erzeugen Agon, Wettbewerb,Ungleichheit, Dinge, die sie, müde geworden, befrieden und pensionieren will.
Aber eine Gesellschaft, die aufhört, den Menschen zu fordern und ein bißchen mehr aus ihm herauszuholen, als er braucht, um zum wahlzettelausfüllenden Konsumenten zu werden, beraubt sich ihrer eigenen Vitalität und Schaffenskraft, „schafft sich ab“, um Simons bête noire Sarrazin zu zitieren. Diese Tendenzen sind unverkennbar, und besonders fatal wirkt sich aus, daß die Erziehungs- und Bildungsstandards an den Schulen immer weiter gesenkt werden. Pointiert gesagt: was die Rechten und Konservativen hier befürchten und kritisieren, ist der Abstieg in eine – frei nach der gleichnamigen Filmsatire – „Idiocracy“ amerikanischen Zuschnitts.
Oder, um ein ernsthafteres Beispiel zu nennen: in die von „letzten Menschen“ bevölkerte „Brave New World“ Huxleys, der bereits 1932 alles gesagt und gesehen hat. Das ist eine Aussicht, die freilich neben der anderen, inzwischen viel wahrscheinlicher gewordenen Möglichkeit, wie die Geschichte endet, verblasst: ich meine den Abstieg von der Dekadenz in die Barbarei, in die „kommende Revolte“, den „kommenden Aufstand“, den „Selbstmord des Abendlandes“, den „Selbstmord des Systems“, den „Großen Austausch“ und so weiter und so fort.
Simon zitiert ein weiteres, längeres Stück von Kubitschek aus „Tristesse Droite“:
Heute kann alles abgefedert werden. Jeder Schicksalsschlag, jede falsche Entscheidung im Leben kann abgefedert werden dadurch, daß man unendliche Mengen Kompensationsmaterie nachkippen kann – zum Beispiel, um eine völlig verranzte Erziehung zu kompensieren. Das sieht man hier an den Schulen überall. Man erzieht die Leute nicht mehr, sondern man kompensiert, wenn sie verzogen rumstehen und noch nicht mal eine simple Lehre absolvieren können. Die werden mitgeschleppt auf Teufel komm raus, die hungern und frieren nicht, die spüren von klein auf: Es geht immer ziemlich komfortabel weiter. Es wird immer alles kompensiert. Da hat dann der konservative Begriff vom Leben, unser Begriff vom Leben, überhaupt keine Chance mehr. Überhaupt in die Tiefe vorstoßen zu können ist ja nurmehr ein frommer Wunsch. Die Aushebelung des Schicksals, die Aushebelung der falschen Entscheidung hat das Konservative an sich zerstört. Also die Hierarchie, die Würdigung der besseren Leistung, die Würdigung der besseren Erziehung, die Würdigung der Anstrengungsbereitschaft, die Würdigung dessen, der Schmerz aushalten, der sich zusammenreißen kann, das ist ja alles passé. Sich nicht zu verkrümeln, wenn’s drauf ankommt – das spielt keine Rolle mehr. All das, was ein Konservativer unterschreiben kann als notwendiges Sortierungskriterium innerhalb einer Gesellschaft – wenn das alles ausgehebelt ist, dann haben wir, mit unserer Weltanschauung, überhaupt keine Chance mehr. Das Schlimmste, was uns geschehen kann, ist das energetische perpetuum mobile, also daß es mit den materiellen Kompensationsmöglichkeiten immer weiter geht.
Simon zoomt nun in diesen Text hinein, pickt sich ein Wörtchen heraus, isoliert es, friert es ein, beraubt es seines Sinns im Ganzen und sieht ein weiteres Mal einen sinistren Selbstzweck am Werk:
“Sortierungskriterium” – darum geht es.
Ich passe! Für dieses Mal.

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