Stationen

Sonntag, 28. Februar 2016

Renaissancemenschen

Durch einen Zufall las ich, dass der US-amerikanische Völkerrechtler und Historiker Alfred-Maurice de Zayas, hierzulande vor allem bekannt wegen seiner Studien zur Vertreibung der Deutschen aus den Ostgebieten, die erste Übertragung von Rilkes Gedichtband "Larenopfer" ins Englische veröffentlicht hat, außerdem Gedichte von Rilke, Hesse und Eichendorff ins Englische, Französische und Spanische übersetzt habe und selber Gedichte schreibe. Wie schön! Der Ägyptologe Jan Assmann erzählte mir einmal, dass er sich am Cembalo versuche, der Politikwissenschaftler Herfried Münkler hat (zusammen mit seiner Frau) ein Lexikon der Renaissance veröffentlich; die Beispiele ließen sich fortsetzen. Das erinnert an die kulturfomme Ära des Bildungsbürgertums, als noch nahezu jeder Arzt oder Professor für Naturwissenschaften Noten lesen konnte, daheim ein Instrument spielte, private Forschungen trieb, womöglich Kurzgeschichten verfasste und die Klassiker täglich in Griffweite hatte (vom Physiker Helmholtz wird berichtet, er sei verspätet zu seiner eigenen Hochzeit erschienen, weil er "im Goethe gelesen" habe). Man nahm damals Schillers Wort vom "Bruchstückmenschen" – neudeutsch Fachidiot – kollektiv ernst und versuchte, sich durch das Streben in andere Sphären zu vervollkommnen und sein Dasein so zu veredeln. Tempi passati? Nun, das muss jeder jeden Tag und für sich ganz allein entscheiden. MK am 28. 2. 2016


Die Beispiele ließen sich fortsetzen?? In Deutschland??? Michael Kunze, Eckhart von Hirschhauseb und Leute wie Fred Breinersdorfer (von Michael Kunze als "Starautor" bezeichnet) sind in Deutschland doch schon das höchste der Gefühle.

Deutschland ist das Land, wo geniale Talente wie David Garrett dazu gezwungen sind, unsäglichen Quatsch zu machen, um Bodenhaftung genießen zu können. Deutschland ist ein krankes, wahrscheinlich nicht mehr heilbares Land. Land der Leistungssportler und Fachidioten.



Paolo Conte ist eigentlich Rechtsanwalt, aber ein großer Chansonnier, der Rockmusiker Edoardo Bennato ist eigentlich Architekt, der Chansonnier Enzo Jannacci war nebenbei Herzchirurg (nein, nicht irgendein Herzchirurg, dem man sich ungern anvertrauen würde, sondern einer aus Christiaan Barnards Equipe), der Chansonnier Enrico Giaretta ist Pilot der Luftwaffe, Renato Dulbecco moderierte einmal das Festival von Sanremo, ist aber eigentlich Physiologe (und Nobelpreisträger), der Schauspieler Giuseppe Zeno hat eigentlich ein Kapitänspatent der Handelsmarine, Manfredo Fanfani ist eigentlich Leiter eines Instituts für medizinische Untersuchungen, betreibt aber nebenbei auch kulturhistorische Studien über den Gebrauch der Gabel und andere Ernährungsgewohnheiten und deren Spuren in der Malerei im Verlauf der Jahrhunderte. Im Gegensatz zu Wagner war Verdi nebenbei auch Bauer (Pferdezucht, Pappelholzproduktion, Weinanbau...) und gründete ein Altersheim für arme Musiker. Auch der Fußballer Andrea Pirlo produziert jetzt Wein. Ein bekannter von mir ist eigentlich Urologe, arbeitet aber mittlerweile als Hausarzt. Bevor er um 9:00 seine Praxis betritt, arbeitet er jeden Tag mehrere Stunden im eigenen Weinberg. Mein eigener Schwiegervater hatte ein Lebensmittelgeschäft und verbrachte ebenfalls jede freie Minute mit den eigenen Reben.

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