Stationen

Freitag, 25. März 2016

Nikodemus



 Für den Karfreitag und die Johannespassion ist Karl Richter gar nicht so verkehrt. Außerdem war er ja mit Chiaras Mutter befreundet.




Das Johannesevangelium ist das einzige, in dem von dem "abtrünnigen" Nikodemus die Rede - dem Synhedrionsmitglied, das auf Seiten Jesu stand und dann dem Josef von Arimatäa bei der Beerdigung Jesu half. 

Michelangelo, der einerseits im Auftrag des Papstes in jahrelanger, eigenhändiger, feinster Kleinarbeit die Sixtinische Kapelle mit Fresken ausstattete, war andererseits im Geheimen einer der ersten Lutheraner. Auch aus diesem Grund stellte er sich selbst in einer seiner letzten Skulpturen, die er für sein eigenes Grab vorgesehen hatte, als Nikodemus dar.




Seit ich diese Skulptur zum ersten Mal im Dom von Florenz sah, fand ich sie abstoßend. Aber erst Jahrzehnte später erfuhr ich, wie berechtigt meine Abscheu vor diesen in Marmor gehauenen Verrenkungen damals war. Aus mehr als einem Grund kann diese Pietà als Sinnbild von Michelangelos Depressionen angesehen werden. Es handelte sich um einen, von Julius II. Gabmal übrig gebliebenen Felsbrocken voller problematischer Mängelstellen, die selbst dem sonst über alle Widrigkeiten erhabenen Michelangelo Schwierigkeiten bereitete. Michelangelo war ein sehr reicher Mann, der es eigentlich nicht nötig hatte, für sein eigenes Grab einen solch minderwertigen, widrigen Stein zu verwenden. Er tat es dennoch, wie aus Verbitterung und verbissenem Groll. Die widrige Materie dieses ungeschlachten Marmors schien ihm wohl auf existentielle Weise besonders geeignet für die Kreuzabnahme dessen zu sein, der sich so göttlich und sinngebend dem sinnwidrigsten Kern des Daseins entgegengestemmt hatte.
Als beim Herausmeiseln all der Mängelstellen einmal ein ungewollter Riss in die Skulptur drang, hieb Michelangelo voller Wut mit dem Hammer auf sie ein. Und es sollte nicht das letzte Mal sein, dass er in Versuchung geriet, die Skulptur zu zerstören. Als Vasari ihn eines Abends besuchte und die Pietà sehen wollte, ließ Michelangelo auf dem Weg zu ihr die Laterne fallen, sodass sie in Stücke schlug, um ihm die Pietà nicht zeigen zu müssen, und er bemerkte verbittert dazu, so wie diese Laterne, so werde auch sein Leben eines Tages enden.

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