Stationen

Sonntag, 20. März 2016

Pfui Deibel

Nicolaus Fest, der Sohn von Joachim Fest, ist einer der wenigen klugen Köpfe, die sich noch unter den deutschen Journalisten finden lassen. Er war in der Chefredaktion der Bild-Zeitung jahrelang für Verfahren beim Presserat zuständig, erhielt 2014 selbst eine Rüge für ein islamkritisches Meinungsstück. Die Verteidigung seiner Sache vor dem Rat, eine Selbstverständlichkeit jedes fairen Verfahrens, wurde ihm trotz mehrfacher Bitte ausdrücklich verweigert. Und dieses Land - bzw. seine Publizistenkaste - wagt es, über Italien herzuziehen, wo die Beeinträchtigung der Meinungsvielfalt nie auch nur einen Bruchteil dessen erreichte, was in Deutschland seit Jahrzehnten habituell ist (und nur alle 50 Jahre von einem Pol zum anderen schwappt).


Im Rückblick hatten die Verharmloser recht: Diebstähle und Sexualstraftaten kennen keine Hautfarbe oder Religion, und die Silvester-Ereignisse von Köln sind nicht anders zu bewerten als vergleichbare Delikte beim Karneval oder Oktoberfest. Das zumindest ist die Quintessenz der jüngsten Entscheidung des Deutschen Presserats. Auch künftig darf die Täterherkunft nur genannt werden, wenn zum Verständnis der Tat erforderlich. Bei „Ehrenmorden“ ist das der Fall, bei sonstigen Delikten fast nie.
Mag die Polizei auch Sonderkommissionen zu Libanesen- oder Kurdenclans führen, mag sie Nafri-Einheiten (Nordafrikanische Intensivtäter) und solche zu rumänischen Einbruchsbanden bilden – für den Deutschen Presserat sind das unzulässige Konkretisierungen. Für ihn muß der Täter so gesichtslos sein wie ein Mann mit Maske. Daß damit die Glaubwürdigkeit der Presse vor die Hunde geht, interessiert den Presserat nicht.


Insofern hat die jüngste Entscheidung des Rats nur ein Gutes: Sie richtet die Aufmerksamkeit auf ein Gremium, das üblicherweise über jeder Debatte steht. Denn es gehört zu den Sonderlichkeiten des deutschen Journalismus, daß ausgerechnet die Institution, die wie kaum eine andere das negative Bild der Presse prägt, selbst nie Gegenstand der Erörterung ist.
Das hat Gründe. Die Sitzungen des Presserats sind sowenig öffentlich wie die Stellungnahmen der betroffenen Blätter. So ist Kontrolle unmöglich. Zudem sind viele Publikationen nur selten Ziel von Beschwerden, haben daher keinen Überblick über das Gesamtgebaren des Rats. Im Kern hat den nur eine einzige Zeitung – die Bild. Mit keiner Zeitung befaßt sich der Rat häufiger, keine zieht mehr Beschwerden auf sich.

Wenn behauptet wird, niemand kenne Bild so gut wie der Presserat, gilt auch umgekehrt: Niemand kennt ihn und seine Arbeit so gut wie Bild. Und genau diese Arbeit gibt seit Jahren Anlaß zur Kritik. Wer die Verfahren gegen Bild durchgeht, trifft auf eklatante Begründungsmängel, freies Jonglieren mit der Beschwerdeordnung und schwerste Verfahrensfehler.
Denn die „Diskriminierungsrichtlinie“, die bei Straftaten die umfassende Aufklärung über den Täter verhindert, ist nur eine Facette der Bevormundungsexzesse. Noch schwerer wiegt die Auslegung zum Persönlichkeitsschutz von Ziffer 8 Pressekodex. Zwei Beispiele:
Als Bild über den Selbstmord eines Mädchens berichtete, das von einer Hamburger Einrichtung zum Schutz suizidgefährdeter Jugendlicher trotz akuter Selbsttötungsabsicht entlassen wurde, kam eine Rüge vom Presserat. Grund: Über Selbstmorde Jugendlicher dürfe nicht berichtet werden.

Daß die empörten Eltern selbst um den Bericht gebeten hatten, daß der Suizid in der Öffentlichkeit erfolgte und die Hamburger S-Bahn über Stunden blockierte, daß das Versagen solcher Institutionen immer nur an Suiziden festgemacht werden kann, wischte der Presserat beiseite. Führt man die Ansicht des Presserats konsequent weiter, ist auch die Berichterstattung über junge muslimische Selbstmordattentäter unzulässig – ein aberwitziges Ergebnis.

Ebenso mißbilligte der Rat im März 2008 einen Bild-Artikel über eine Mutter, deren Baby bei einer Gruppensex-Party gezeugt wurde. Daß die Zwanzigjährige den Bericht selbst initiiert hatte, weil sie damit den Vater ihres Kindes zu ermitteln hoffte, spielte für den Presserat keine Rolle. Bild hätte, so der Kern der Begründung, die Frau „auch vor sich selbst schützen müssen“. Nimmt man diesen Selbstschutz-Gedanken ernst, wären Reportagen über Mitglieder neonazistischer Gruppierungen so unzulässig wie über die immer neuen Torheiten Claudia Roths.

Und so immer weiter. Keine der drei Rügen, die Bild für die Berichterstattung zum Amoklauf in Winnenden kassierte, hält der näheren Betrachtung stand.

Doch zeigte das Verfahren immerhin, wie schwankend die presseethischen Standards sind: Während das Foto des getöteten Autoverkäufers auf dem Titel der Bild am Sonntag für zulässig erachtet wurde, war die Veröffentlichung des identischen Fotos im Innenteil von Bild, also weniger prominent, Anlaß für eine Rüge. Den einen Fall entschied die erste, den anderen die zweite Spruchkammer. Statt klare Vorgaben für die Pressearbeit zu liefern, verwirrte der Rat mit einander widersprechenden Entscheidungen.

Winnenden war auch in anderer Hinsicht lehrreich. Ein danach vom Rat veröffentlichter „Leitfaden zur Berichterstattung über Amokläufe“ entpuppte sich als Frontalangriff auf die Berichterstattungsfreiheit. So sollten künftig „Opferfotos nicht als reine Symbolfotos verwendet“ und „einzelne Opfer nicht ohne Zustimmung der Angehörigen herausgehoben“ werden.
Das klingt harmlos, ist aber das Gegenteil. Denn die Presse lebt von „Symbolfotos“. Sie bestimmen das öffentliche Bewußtsein, sie prägen die gesellschaftliche Debatte: Das fliehende, von Napalm verbrannte Mädchen in Vietnam; die abgemagerten Gefangenen hinter Stacheldraht im Bosnienkrieg; der ertrunkene Aylan am Strand von Bodrum im letzten September. Lauter Symbolfotos.

Und auch lauter Personen, die zufällig aus der Masse der Opfer herausgehoben wurden. Würde man den Vorgaben des Presserats folgen und – unabhängig von der zeitgeschichtlichen Bedeutung eines Fotos – ausnahmslos die Genehmigung der Angehörigen einholen müssen, wäre dies das Ende jeder Bildberichterstattung. Bis die Angehörigen ermittelt sind, können Tage vergehen, von den Problemen in Kriegsgebieten ganz zu schweigen. Während das Fernsehen und ausländische Titel, auf die sich die Zuständigkeit des Presserats nicht erstreckt, ohne Einschränkungen berichten können, wäre die deutsche Presse grundlegend behindert.

Doch nicht nur der Schutz der Opfer liegt dem Rat am Herzen – auch der der Täter. „Wenn die Redaktion Foto oder Namen eines Amokläufers veröffentlichen will“, so der Leitfaden, „muß sie sorgfältig zwischen öffentlichem Interesse und den Persönlichkeitsrechten des Täters abwägen.“ Offensichtlich sieht der Presserat selbst bei Amokläufen das Berichterstattungsinteresse nicht in jedem Fall gegeben. Vielmehr müsse das „Ausmaß der Tat eine nicht anonymisierte Darstellung rechtfertigen“.
Was das heißen sollte, bleibt ein Rätsel: Sollen fünf Tote die Nennung des Täters erlauben, nur zwei aber nicht? Erst nach massiven Protesten wurde der Leitfaden zurückgezogen. Doch machte er die Ahnungslosigkeit des Rates so deutlich wie seine immer neue Lust zur Einschränkung von Berichterstattung.

Was hier als Besorgnis um Persönlichkeitsschutz daherkommt, ist zudem reine Anmaßung. Seit Jahren trägt der Verweis auf verletzte Persönlichkeitsrechte die Entscheidungen des Presserats – erstaunlich für ein Gremium, dessen Mitglieder zumeist keine juristische Ausbildung haben. Im Ergebnis rühmt sich der Presserat eines rechtlichen Beurteilungsvermögens, das er gar nicht hat – und fabuliert öffentlich von „Persönlichkeitsrechtsverletzungen“, die weder vorliegen noch von ihm beurteilt werden können. Auch so bringt man die Presse in Verruf.

Daß ausgerechnet eine Ausbildungsbroschüre derart presseschädigenden Unsinn enthielt, daß sie eingestampft werden mußte, paßt ins Bild.
Diese Fehler und Dummheiten sind nur eine kleine Auswahl – es gab Dutzende, darunter schwerste Verstöße gegen die Verfahrensordnung. Sie alle sind nicht nur Ausdruck fehlender Verfahrenstransparenz und von Defiziten der Geschäftsführung, sondern auch struktureller Probleme.
So führt die paritätische Besetzung der Spruchkammern mit Gewerkschaftern und Verlagsvertretern in der Praxis zu klaren Mehrheiten der linksdrehenden Gewerkschaftsseite, da manche Verlagsvertreter allenfalls dann erscheinen, wenn Publikationen des eigenen Hauses betroffen sind. Entsprechend fallen die Ergebnisse der Spruchkammern aus.

Richtig wäre es daher, einen neuen Presserat zu gründen. Denkbar wäre die Besetzung mit früheren Chefredakteuren und Richtern von Pressekammern, also verlagsseitig wie gewerkschaftlich ungebundenen Fachleuten. Das würde auch die oft extrem unterschiedliche Spruchpraxis gegenüber einzelnen Verlagen beenden.

Vor wenigen Jahren war Springer fest entschlossen, den Deutschen Presserat zu verlassen; finanziell wäre das sein Ende gewesen. Nur die drohende Kontrolle des Internets durch öffentliche Behörden hielt den Verlag im letzten Moment zurück. Lieber wollte man die ethische Netzaufsicht vom Presserat wahrgenommen wissen. Wer die zwischenzeitlich durch Bundesjustizminister Heiko Maas installierte Gängelung der Sozialen Medien betrachtet, kann kaum behaupten, daß diese Strategie erfolgreich war. Nicht nur das gibt guten Grund, den ursprünglichen Plan wieder aufzugreifen. Nicolaus Fest

Aktualität

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.