Stationen

Mittwoch, 20. April 2016

Ewig eingeschnappte Empörungsfachkräfte

I. Der Politikwissenschaftler Hamed Abdel-Samad, der, nebenbei angemerkt, in Deutschland nur unter Polizeischutz leben kann – hat sich die politische Linke eigentlich dazu geäußert? – vergleicht in seinem Buch Der islamische Faschismus strukturähnliche Prinzipien zwischen dem politischen Islam und den rechtsnationalen Ausprägungen des europäischen Totalitarismus. Charismatische Führer, die unbedingten Gehorsam fordern, die Idee der Auserwähltheit, die Dichotomie von Gut und Böse, der Kult der Militanz als Lebensform, die Verachtung von Individualismus, der exterministische Umgang mit den ideologischen Todfeinden. Die von Abdel-Samad angeführten Fakten und Übereinstimmungen sind von zwingender Stringenz und machen sein 2014 erschienenes Buch zu einer Pflichtlektüre für kritische Leser.
Interessanterweise hat der, inzwischen als „rechter Denker“ denunzierte Sozialphilosoph Peter Sloterdijk, in Zorn und Zeit einen ähnlichen, mehr geschichtsphilosophischen Versuch unternommen, dafür aber den linksfaschistischen Teil der totalitären Bewegungen, den Kommunismus, als Vergleich mit dem politischen Islam herangezogen. Für Sloterdijk gibt es in der abendländischen Geschichte nur zwei mächtige „Zornkollektive“ die thymotische Energien freisetzen konnten: die katholische Zorn-Gottes-Lehre und die kommunistische Organisation, als Sammlung der Zornmasse der Unterdrückten definiert. Die faschistischen Bewegungen sind für Sloterdijk, politisch nicht ganz korrekt, nur Klone der leninistischen Direktiven vom Spätherbst 1917, eine These, die etwa auch der sowjetische Nobelpreisträger der Physik, Lew Davidowitsch Landau, in den 50er Jahren vertrat.


Beide großen „Zornkollektive“ sind historisch gescheitert: der Katholizismus hat sich um den Preis seines Überlebens gewandelt und theologisch sozusagen abgerüstet. Der Zorn Gottes, die Bilder des rächenden Weltgerichtes, sind heute nur noch symbolische Kuriositäten. Aufklärung und Säkularisierung haben den christlichen Glauben pazifiziert. Was den Kommunismus angeht, so hat der real existierende Sozialismus, in seinen furchtbarsten Varianten des Stalinismus und Maoismus, jeden Anreiz, außer für „Sonderschüler der Geschichte“ (Sloterdijk), verloren.

[Von diesen Sonderschülern gibt es in Italien immer noch sehr, sehr viele]

Man kann sich nur noch, außer man ist zu stolz für die Wahrheit, für eigene Verirrungen entschuldigen und sie bedauern.

[In Italien wurden in der Überzeugung, dass der sowjetische Terror nicht böse gemeint war, sondern nur in guter Absicht aus Übereifer aus dem Ruder lief, immerhin zwei Parteien gegründet, die es Prodi unmöglich machten, effizient zu regieren und immer noch Wählerpotentiale binden können, sobald Europa, Renzi und Berlusconis Nachfolger scheitern sollten. Wie soll es gelingen, zu Osteuropa einen Verständigungsweg zu finden, wenn unsere Diplomaten, Politiker und Journalisten nicht einmal in der Lage sind, Italien zu verstehen?]

II. Der Islamismus ist nun für Sloterdijk insofern mit dem Kommunismus vergleichbar, da er die (linke) Fortschreibung der großen Erzählung von der Erhebung der Erniedrigten und Beleidigten ermöglicht. Man kann ihn als ein Empörungsparadigma bezeichnen, "was den politischen Islam als möglichen Kommunismusnachfolger qualifiziert.“ Im Wesentlichen sind es für Sloterdijk drei Gründe, die den Islamismus mehr als alle anderen Bewegungen im 21. Jahrhundert für eine Fortsetzung der beiden großen Zornkollektive prädestiniert:
Erstens eine Missionsdynamik, das heißt, die Fähigkeit, eine Bewegung zu bilden die sich prinzipiell an alle wendet (man denke an die Leichtigkeit, zum Islam zu konvertieren und vergleiche diese Anspruchslosigkeit etwa mit den strengen Prüfungen der Aufnahme in das Judentum). Der Islamismus tritt, analog zum Kommunismus, als Repräsentant aller Unterdrückten, Benachteiligten, Verlierer und Beleidigten auf, in dem er ein Kollektiv (die Umma) als von verschwörerischen Mächten bedroht sieht, seit Jahrhunderten das Opfer übermächtiger Feinde (Judentum, Westen, säkulare Moslems).
Zum zweiten liefert der Islamismus ein theatralisches Weltbild, in der der Ungläubige als absoluter Feind (analog zum Klassenfeind) vernichtet werden muss, um das glorreiche Kalifat zu errichten, sozusagen die klassenlose Gesellschaft, die nur über die „Geburtswehen der Revolution“ (Marx) und des Kampfes Wirklichkeit werden kann. Die Militanz der Anhänger ist dabei die essentielle psychologische Grundbedingung für den imaginierten Erfolg. Am Ende, nach einer langen Phase des Leidens, wird das Gute (die Arbeiterklasse im Kommunismus) siegen und der Himmel auf Erden errichtet.
Der dritte Grund für die herausragende Stellung und die Gefahr des politischen Islam ist wahrscheinlich der Wichtigste. Die von Autoren wie Samuel Huntington oder Gunnar Heinsohn beschriebene Dynamik der demografischen Entwicklung, in der Forschung Youth Bulge genannt, also der exorbitante Überschuss an jungen Männern in den muslimischen Ländern. Insofern könnte man den Islamismus, auch das eine Analogie zu den links- und rechtsfaschistischen Bewegungen Europas der 30er Jahre, als eine „Jungmännerbewegung“ begreifen. Seine Energie erhält er aus der Existenz großer Gruppen von jungen Männern, zweite, dritte, vierte Söhne, für die keine gesellschaftliche Position zu Verfügung steht und deren Energien sozusagen frei flottieren. Aktuell strömt der Youth Bulge zahlreicher failed states arabischer und afrikanischer Staaten in das alternde Europa und wird die uns vertraute Welt verändern bzw. tut das bereits. Sloterdijks abschließende Bemerkungen machen denn auch wenig Hoffnung auf eine Kontrolle der Situation:
„Selbst Kenner der Lage besitzen heute nicht die geringste Vorstellung davon, wie der machtvoll anrollende Youth Bulge, die umfangreichste Welle an genozidschwangeren Jungmännerüberschüssen in der Geschichte der Menschheit, mit friedlichen Mitteln einzudämmen wäre.“

III. Wie zumeist werden die Kassandras der Geschichte, die Warner und Mahner, recht behalten, wir wollen abschließend aber doch überlegen, was die Schwäche des Islamismus, zugegeben auf einer abstrakten gedanklichen Ebene, sein könnte. Halten wir uns zunächst an ein paar harte Fakten, die den ab 2002 erstellten Arab Human Development Reports im Auftrag der Vereinen Nationen entnommen sind. Im Zentrum der Untersuchungen stehen Parameter wie Bildung, Frauenrechte oder der Alphabetisierungsgrad in den Staaten der arabischen Liga. Ein Zusammenschluss mit im Jahr 2015 annähernd 370 Millionen Einwohnern, davon ein großer Teil unter 25 Jahren, also die oben erwähnte klassische Youth Bulge Situation mit ihren massiven Herausforderungen.
In allen wesentlichen Kennzahlen der untersuchten Parameter konstatieren die Autoren der Arab Human Development Reports düstere Verhältnisse: die geringsten politischen Rechte für Bürger, die inferiore Stellung der Frau, die meisten Analphabeten, die geringste Innovationskraft, die wenigsten wissenschaftlichen Patente, selbst die Anzahl der übersetzten Bücher ist verschwindend gering. Alle Voraussetzungen für eine längerfristig prosperierende Wirtschaft fehlen: persönliche Disziplin, korruptionsfreie Räume, Leistungsgratifikationen, Innovationsdynamiken, kurz, ein Bildungs- und Arbeitsethos, die entscheidende Grundlage für die westliche (und ostasiatische) Dominanz in Wissenschaft und Forschung.
Wir können also konstatieren: Die Schwäche des Islam, und der aus ihm hervorgehenden islamistischen Bewegung, ist seine gegen die Moderne gerichtete Ideologie, die eine Wissenschaftskultur, die Fähigkeit zu Innovation, Selbstreflexion und Kritik verhindert. Man gebraucht zwar moderne Technologien, aber der „immanente Geist“ der etwa in einem Smartphone steckt, wird nicht internalisiert, es bleibt ein rein parasitäres Verhältnis, ohne eine psychische Entsprechung. So ist der politische Islam eine reine Racheideologie, die nichts hervorbringt noch schafft, sondern nur eine schwarze Utopie der Vernichtung, für Sloterdijk der Hauptgrund dafür, warum der Islamismus als potenzieller Nachfolger des Kommunismus keine „Weltoppositionsbewegung“ sein kann. Es fehlt eine positive Utopie, zudem setzt die globalisierte Welt „der moralischen Produktivität von Vorwurfsbewegungen enge Grenzen.“
1996 hatte der amerikanische Politikwissenschaftler Benjamin Barber in seinem Buch: Jihad vs. McWorld, noch die Auffassung vertreten, dass auf lange Sicht der Siegeszug von McWorld, also des westlichen Konsumismus, unaufhaltsam sein wird. Zwar mögen spektakuläre Selbstmordattentate und Bombenanschläge den Dschihad medial wirksamer erscheinen lassen als die Gesetze des Marktes, am Ende aber, so die tröstende Prognose, wird McWorld gewinnen:
„Die Mikrokriege des Dschihad werden die Schlagzeilen noch bis weit in das nächste Jahrhundert füllen und die Prognosen von einem Ende der Geschichte als töricht erscheinen lassen. Aber McWorlds Homogenisierung wird mit aller Wahrscheinlichkeit einen Makrofrieden zur Folge haben, der den Triumph des Handels und seiner Märkte begünstigt.“

Diese Zeilen sind vor dem 11. September 2001 geschrieben worden. Es fällt heute schwer an diese langfristig positive Entwicklung zu glauben, aber niemand von uns kann für sich in Anspruch nehmen die Zukunft vorherzusagen. Die trinitarische Formel: Leben, Freiheit, Eigentum (John Locke: 1689) ist überall da, so lässt sich sagen, wo sie permanente Gültigkeit besitzt, der Garant für ein zivilisiertes Leben. Sind wir aber heute mental bereit dazu, diese Normen unter Einsatz aller uns zur Verfügung stehenden Kräfte zu verteidigen? Davon wird der Ausgang des aktuellen historischen Einschnitts abhängen.
Dr. Alexander Meschnig ist Psychologe, Politikwissenschafter und Publizist. Er lebt seit Anfang der 90er Jahre in Berlin.   Alexander Meschnig am 20. 4. 2016

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