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Freitag, 29. April 2016

Konservativ



28. April 2016 Konservativ sein heißt, sich die permanenten Kulissenwechsel nicht als das eigentliche Stück aufschwatzen zu lassen. Der Konservative hält die Gesellschaft nicht per se für schlecht und dringend veränderungsbedürftig, sondern für ihn ist es zunächst einmal erstaunlich, dass überhaupt etwas funktioniert. Nach seiner Ansicht muss sich also keineswegs das Bestehende legimieren, sondern das sollen diejenigen tun, die es verändern wollen. Konservativ ist die Skepsis gegenüber gesellschaftlichen Zukunftsentwürfen – das besorgte Kopfschütteln über Menschen inclusive, die zu wissen behaupten, was für Millionen andere gut und richtig ist, aber oft mit ihrem eigenen Leben nicht klarkommen. Der Konservative beruft sich lieber auf die Tatsache, dass der Kaiser nackt ist, als auf den Diskurs darüber, dass Bekleidetsein ein soziales Konstrukt sei.

Zu den geistigen Beständen des Konservativen gehört ganz elementar die Anthropologie. Im Gegensatz zum Linken, der den Menschen als soziales und unendlich formbares Wesen betrachtet, hält der Konservative Homo sapiens zuallererst für ein existentielles Geschöpf mit einer nicht beliebig veränderbaren Conditio. Er glaubt nicht an die Gleichheit der Menschen (außer vor Gott und vor dem Gesetz), deshalb ist er Antisozialist. Eine Regierung, die ihm sein Verhalten über das geltende Strafrecht hinaus vorschreiben will, ist sein natürlicher Feind. Der Konservative geht davon aus, dass viele Probleme der Gesellschaft aus der Förderung des Zusammenspiels von Beschränktheit und Wohlmeinen rühren, sprich: aus einem zu optimistischen Menschenbild. Er präferiert zwar die Selbstverantwortung und Selbsthilfe, aber auch die Entlastung des Menschen durch Institutionen.

Der Konservative hängt keineswegs bedingungslos am Althergebrachten, denn auch ihm ist es lieber, dass der Ultraschallbohrer beim Zahnarzt den mechanischen ersetzt, aber er weiß um das organische Gewachsensein allen Menschenwerks und hütet sich, die Vergangenheit im Namen irgendeiner Zukunft zu denunzieren. Vom Begriff „gesellschaftlicher Fortschritt“ macht er nur sparsamen Gebrauch, weil dieser Fortschritt entweder eine Ermessensfrage darstellt oder aber jede Art Verwesung einschließt, jedenfalls immer mit Verlusten verbunden ist.

PS: Der Konservative weiß übrigens, dass der Genus "der Konservative" auch den Sexus "die Konservative" liebevoll mit einschließt.  MK am 29. 4. 2016

Kostbare Skepsis

"Der Progressive denkt immer an morgen, der Konservative immer an übermorgen." Giuseppe Prezzolini



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