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Freitag, 29. April 2016

“Arabische Großclans“ sind sunnitische Mhallamiye-Kurden-Clans (aus dem Libanon)

Unlängst wurden in Berlin bei einer Razzia acht Männer festgenommen, die dem kurdischen Al-Zein Clan zugerechnet wurden. Es ging um einen Raubüberfall im KaDeWe, Schusswaffen und einen gescheiterten Auftragsmord. Ein bezahlter Killer des Clans hat offenbar ausgepackt, nachdem er einen Mann im letzten Herbst lediglich in den Hintern geschossen, nicht aber, wie bestellt, ermordet hat, weshalb er vom Clan bedroht wurde.
Die Clans haben in Deutschland längst alle Linien überschritten, ihre Verachtung für den Rechtsstaat und unsere Gesellschaft ist grenzenlos. Sie fühlen sich allmächtig und werden darin vom deutschen Staat auch kaum gebremst, weder in Berlin, noch anderswo.

Interview mit Ralph Ghadban:

CICERO: Heinz Buschkowsky, der ehemalige Bürgermeister von Neukölln, hat erklärt, „an der Spitze der Berliner Unterwelt stehen unangefochten die arabischen Großclans. Die jüngste Razzia,  genau wie der Überfall auf ein internationales Pokerturnier am Potsdamer Platz, oder die Schießerei am Olivaer Platz, gehen scheinbar alle auf das Konto eines Mhallamiye-Kurden Clans. Sind es also vor allem Mhallamiye, von denen Buschkowsky spricht?

Ghadban: Ja, um die geht es in erster Linie.

Und Clans dieser kleinen Volksgruppe führen die Berliner Unterwelt an? Was sagen denn andere Organisationen wie die ’Ndrangheta, die Camorra, Hells Angels, Triaden oder die Russen-Mafia dazu?

Die kann man eigentlich alle vergessen. Die Mhallamiye haben sich mit Gewalt die dominierende Position in fast allen Bereichen der organisierten Kriminalität erobert, ob es um Drogen, Schutzgeld oder Prostitution geht. Andere Organisationen wie die Mafia nennen sich zwar oft Familie, in Wirklichkeit sind sie aber offen für alle. Das ist eine Schwäche und ein großer Nachteil gegenüber den Mhallamiye. Denn deren Clans – es gibt allein in Berlin etwa 12 – basieren tatsächlich ausschließlich auf Verwandtschaft, sie sind sozusagen als Stamm organisiert. Da gibt es keine Mitglieder von außen. Das macht es den Behörden praktisch unmöglich, sie zu unterwandern. Wie soll man einen V-Mann in so eine Familie schleusen?

Eine Studie zum Thema „Paralleljustiz in Berlin“ berichtet davon, dass in der Hauptstadt inzwischen „ein Milieu der Angst“ herrsche, es brauche zwei Clanmitglieder, um ein ganzes Viertel zu terrorisieren. Wie muss man sich das vorstellen? Davon bekommen die meisten Bürger der Stadt kaum etwas mit. 

Es reichen zwei jugendliche Intensivtäter, die die Kinder auf dem Schulweg überfallen, um ein ganzes Viertel in Panik zu versetzen. Wenn man sich mit so jemanden anlegt, hat man sofort die ganze Sippe am Hals, und zwar innerhalb von Minuten. Zusammenhalt und Rudelauftritt sind die Prinzipien, auch gegen die Polizei. Wenn eine Streife jemanden für eine Kontrolle anhält, hat sie plötzlich 50 Leute um sich. In bestimmte Straßen trauen Beamte sich kaum mehr rein.

Sie kennen viele der Clanmitglieder persönlich. Gibt es so etwas wie eine typische Entwicklungsgeschichte? Hoffnung, Integrationsversuche, Scheitern, Enttäuschung, Frust, Abrutschen in die kriminellen Clans?

Man wollte sie in den 80er Jahren nicht integrieren. Sie wurden an den Rand der Gesellschaft verdrängt, wo sie ihre mitgebrachten Clan-Strukturen verfestigten. Nach der Öffnung der Gesellschaft infolge der Altfallregelung lehnten sie die Integration ab. Sie nutzten die Vorteile ihrer Clan-Solidarität für ihre Raubzüge. Die Kriminalität erwies sich als lohnendes Geschäft, mehr als ehrliche Arbeit. 

Was macht denn eigentlich von den vielen friedlich in Deutschland lebenden Volksgruppen ausgerechnet die Mhallamiye so verhaltensauffällig und offenbar kriminalitätsaffin?

Die Mhallamiye sind ursprünglich aus der Türkei in den Libanon geflohen, wurden aber auch dort ausgegrenzt und kamen dann ab Ende der 70er Jahre nach Deutschland. Sie bekamen kein Asyl, blieben aber wegen fehlender Papiere und der Genfer Flüchtlingskonvention im Land. Ohne Arbeitserlaubnis sind sie von Anfang an in die Illegalität abgeglitten. Das trifft auf andere Flüchtlingsgruppen auch zu. Aber keine von ihnen verfügt über solche verfestigten Clanstrukturen wie diese Gruppe, sie sind diesbezüglich nur mit den Albanern vergleichbar.

Was waren Ihrer Erfahrung nach die größten Fehler der damaligen Integrationspolitik?

Die Bürgerkriegsflüchtlinge waren damals Ende der 70er Jahre ein neues Phänomen. Man hat sie als Armutsflüchtlinge betrachtet und als Schmarotzer beschimpft, konnte sie aber gesetzlich nicht abschieben. Stattdessen hat man das Asylgesetz verschärft und nannte das Abschreckungsmaßnahmen: Arbeitsverbote für ein, dann zwei, schließlich fünf Jahre. Ab 1982 wurde für den Asylantrag ein Pass verlangt, um später die Abschiebung zu erleichtern. In der Folge haben sie alle – nicht nur die Mhallamiye – ihre Pässe verschwinden lassen. Was wir heute mit den fehlenden Reisedokumenten erleben ist also überhaupt nicht neu, und das wirkt sich bis heute aus, ein falsches Verständnis für den Respekt anderer Kulturen. Man befürchtete, Ausländer zu stigmatisieren, und hatte die Idee einer moralischen Verpflichtung gegenüber Einwanderern. Darum hat man alles akzeptiert und toleriert, es gab eine Multikulti-Stimmung, die auch auf die Justiz abgefärbt hat.

Deutschlandweit gibt es nur etwa 15.000 Mhallamiye. Wenn deren Clans, als Preis versäumter Integration, jetzt die komplette Unterwelt aufmischen, sollte einen die Lage hunderttausender unregistrierter, illegaler Flüchtlinge bei uns beunruhigen.

Eben. Diese kleine Gruppe, die man damals nicht integriert hat, ist heute ein riesiges Problem für Deutschland. Stellen Sie sich vor, was auf uns zukommt, wenn man die anderthalb Millionen, die jetzt zu uns gekommen sind, nicht vernünftig integriert. Wir haben bereits eine Parallelgesellschaft, aber die wird jetzt bei fehlender Integration mit anderthalb Millionen Flüchtlingen seit 2014 aufgeblasen, davon mindestens eine Million Muslime aus arabischen Ländern.

Ist das gerade beschlossene Integrationsgesetz ein Schritt in die richtige Richtung?

Das neue Asylgesetz zielt an erster Stelle auf die Werte der Einwanderer ab. Das ist ein Novum, und gut. Jeder, der in Deutschland leben will, muss unser Wertesystem kennen und akzeptieren. Ansonsten fürchte ich aber, es werden die Fehler der 80er Jahre wiederholt. Das Integrationsgesetz stellt eine Verschärfung der Lebensbedingungen der Menschen bei uns dar.
Ich glaube, man hat eigentlich nur zwei Möglichkeiten. Man kann die Einreise verhindern. Aber wer einmal drin ist, muss sofort integriert werden, zu jedem Preis. Wenn wir stattdessen die Leute, die bei uns sind, misshandeln, mit Restriktionen, wie sie gerade beschlossen wurden, dann schaffen wir uns die Feinde im eigenen Haus. Restriktionen sind notwendig, wenn vorhandene Integrationsangebote verweigert werden. Aber die gibt es noch nicht ausreichend.

Welche Rolle spielt die Existenz der Clans bei den Flüchtlingen? Welche Rolle spielen die Flüchtlinge für die Clans? 

Was die Gruppe der Mhallamiye betrifft: Es gibt keine Berührungspunkte. Sie sind zwar Sunniten, werden aber von einem religiösen Verein betreut, dem „Verein für wohltätige Zwecke“, der von allen übrigen Muslimen gemieden wird, und von keinem anderen muslimischen Verein akzeptiert wird. Das verstärkt ihre Abschottung. Die Flüchtlinge werden von anderen muslimischen Gemeinden angesprochen. Die Clans aber rekrutieren unter den unbegleiteten Jugendlichen Personal für ihre kriminelle Geschäfte wie Drogenkurierdienst und ähnliches.

Zumindest muss man sich umgekehrt keine Sorgen um die islamistische Radikalisierung krimineller Mhallamiye-Clans machen. 

Richtig. Sie sind entschieden gegen religiösen Terrorismus. Obwohl es viele Gemeinsamkeiten gibt: Denn beide sind total gegen unser Wertesystem.

Danke sehr für das Gespräch!



Das Interview führte Constantin Magnis.
Ralph Ghadban ist ehemaliger Leiter der Beratungsstelle für Araber des Diakonischen Werks in Berlin und kennt viele Clanmitglieder persönlich. Er ist Migrationsforscher und Islamwissenschaftler.   Cicero am 29. 4. 2016

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