Stationen

Freitag, 27. Mai 2016

Hinter der Verkleidung nur Vermutungen




PAZ: Erst einmal muss ich mich entschuldigen, dass ich Sie voller Staunen anstarre, Herr Dr. Hoffmann, aber Wissenschaftler, die sich mit dem Bereich linke Militanz beschäftigen, haben nun mal Seltenheitswert. Während linke Chaoten das Land immer wieder mit Gewalt überziehen, scheint das an den Universitäten niemanden zu interessieren. Oder trügt der Eindruck?
Karsten Dustin Hoffmann: Nein, da haben sie völlig recht. Unsere Forschungsgruppe, die FGEM, hat zum Beispiel in den 20 größten Universitätsbibliotheken des Landes die Bestände zum Thema Radikalismus und Extremismus ausgezählt. Es gab zwölfmal so viele Arbeiten zu rechten Strömungen wie zu linken. Da klafft eine enorme Forschungslücke. Gleichzeitig nimmt die militante Linke großen Einfluss auf die politische Willensbildung im Land, und der steht ihr keinesfalls zu, denn er ist das Ergebnis von Gewalt.

PAZ: In Stuttgart waren die Chaoten am 30. April angerückt, um den Parteitag der AfD zu verhindern. Einer Partei, die genauso auf dem Boden des Grundgesetzes steht, wie beispielsweise CDU und SPD. In Brandenburg haben sie jetzt ein Kohlekraftwerk gestürmt und eine Spur der Verwüstung hinterlassen. Nur dank einiger Zufälle kam es nicht zu einem Zusammenbruch der Stromversorgung in mehreren großen Städten. Wie wirken sich solche Aktionen aus?
Hoffmann: Ich glaube, sie bewirken eher das Gegenteil von dem, was sich die Militanten erhoffen. Die Bilder von Randalierern und von brennenden Reifenstapeln in Stuttgart zum Beispiel werden der AfD eher Sympathien eingebracht haben. Das viel größere Problem ist die sogenannte klandestine Militanz.

PAZ: Klandestin?
Hoffmann: Das ist ein Begriff aus der linken Szene. Er umfasst das, was heimlich im Schutz der Dunkelheit passiert. Farbanschläge auf Häuser, das Anzünden von Autos oder ähnliches. Das passiert täglich in Deutschland. Um das Ausmaß zu erfassen, dokumentieren wir in unserer Forschungsgruppe militante Aktionen. Allein im letzten Jahr waren es über tausend. Mit Aktion meine ich dabei einen konzertierten Angriff, bei dem häufig diverse Straftaten begangen werden. Selbst wenn dabei keine körperliche Gewalt angewendet wird, setzen diese Aktionen die betroffenen politischen Akteure erheblich unter Druck.

PAZ: Den politischen Akteuren von der Konkurrenz dürfte das sehr willkommen sein. Was ist zum Beispiel dran an den Gerüchten, dass linke Demonstranten bezahlt werden, um unerwünschte Auftritte des politischen Gegners zu stören?
Hoffmann: Nichts. Solche Gerüchte sind in der linken Szene schon zum Running Gag geworden. Man macht sich lustig darüber, und es wäre schön, wenn die konservative Seite das endlich begreift. Richtig ist, dass linksgerichtete Vereine Fördermittel aus Steuergeldern erhalten, die manchmal dafür verwendet werden, um Busfahrten zu linken Demonstrationen zu finanzieren oder Ähnliches. Das nehmen natürlich auch Militante in Anspruch. Aber niemand bekommt dafür Geld, dass er demonstriert.

PAZ: Dennoch gibt es genug Leute im Politikbetrieb, die den Extremisten wohlwollend gegenüberstehen. Eine klare Abgrenzung lassen viele vermissen.
Hoffmann: Hier darf man natürlich nicht pauschalisieren. Aber dass es Teile der etablierten Parteien nicht unbedingt stört, wenn beim AfD-Büro mal wieder die Scheiben eingeworfen werden, ist offensichtlich. Insbesondere die Jugendorganisationen der Parteien zeigen immer wieder eine Nähe zu militanten Kreisen.

PAZ: An den Universitäten scheint man der Gewalt von Links ja ebenfalls einige Sympathien entgegenzubringen. Zumindest mag man sie nicht zum Forschungsgegenstand erheben. Woran liegt es dort?
Hoffmann: Grundsätzlich können sich die Hochschulprofessoren frei entscheiden, worüber sie forschen. Sie haben einen sicheren Job und müssen, um manche Themen zu realisieren, nicht einmal auf Forschungsmittel zurückgreifen. Aber es gibt nun einmal eine linke Meinungshoheit an den Universitäten. Und Professoren, die sich nicht als links verstehen, werden oft von militanten Gruppierungen unter Druck gesetzt. Zum Zeitpunkt als ich meine Dissertation veröffentlichte, haben meine Professoren Eckhard Jesse aus Chemnitz und Uwe Backes aus Dresden scharfe Munition als Warnung nach Hause geschickt bekommen. Bei solchen Situationen überlegt man sich schon, ob das vertretbar ist, was man macht. Gerade, wenn man verheiratet ist und Kinder hat.

PAZ: Sind Sie selbst schon in brenzlige Situationen geraten?
Hoffmann: Für meine Doktorarbeit habe ich auch viele Fotos gemacht – von linken Zentren, Veranstaltungen oder Demos. Das kam nicht immer gut an. Einmal haben mich plötzlich vier, fünf schwarzgekleidete Typen umringt. Die haben mir ziemlich deutlich gemacht, dass ich umgehend verschwinden solle. Diesen ‚autonomen Platzverweis‘ habe ich dann befolgt, und das war wohl auch gut so.

PAZ: Mit was für Leuten hatten Sie es da zu tun? Wie muss man sich den typischen militanten Linken unter der schwarzen Skimaske vorstellen?
Hoffmann: Wie gesagt, fehlen dazu empirische Untersuchungen. Meiner Einschätzung nach ist er aber zwischen 15 und 25 Jahren alt. Er geht noch zur Schule oder ist Student vor dem Bachelor-Abschluss. Die meisten finden über Freunde Anschluss an die Szene oder über Partyveranstaltungen etwa in der Roten Flora in Hamburg. Während die Leute vor zwanzig, dreißig Jahren praktisch Berufsautonome waren, führen sie heute nach außen hin meist ein normales Leben. Diejenigen, die ich kennengelernt habe, stammten aus besseren Verhältnissen. Mittelschichtplus würde ich sagen. Es ist eben auch leichter, sich mit hochidelogischen Fragen auseinanderzusetzen, wenn man selbst keine Geldsorgen hat.

PAZ: Und was in geht deren Köpfen vor? Welches Weltbild feuert sie an, Autos abzufackeln oder Farbbomben zu basteln?
Hoffmann: Es gibt die unterschiedlichsten Strömungen und Gruppierungen. Anarchisten, Antiimperialisten und Antideutsche sind beispielsweise darunter. Manche bekämpfen sich auch gegenseitig. Die vielzitierten Autonomen würde ich heute sogar als eher gemäßigt beschreiben – etwa im Vergleich mit dem antiimperialistischen „Roten Aufbau“. Das ist eine relativ junge Strömung, die ursprünglich aus Hamburg kommt. Die Anhänger sind Stalin-Verehrer und posieren auf Videos schon mal mit einer Schusswaffe. Während sich die älteren Teile der militanten Linken meist Regeln erarbeitet haben, nach denen Gewalt angewendet wird – keine Tötungen, keine Schwerverletzten, keine Gefährdung von Unbeteiligten – scheinen diese Grundsätze für den Roten Aufbau nicht zu gelten. Das ist eine bedrohliche Entwicklung. Es gibt aber noch ein anderes, ebenso großes Problem: Viele junge Leute, die politisch motivierte Straftaten begehen, haben dabei überhaupt kein Unrechtsbewusstsein. Wenn Straftaten gegen konservative Akteure wie die AfD geschehen, dann bleibt der öffentliche Aufschrei in der Regel aus. Und deswegen glauben junge Leute, es wäre legitim, AfD-Plakate zu zerstören oder Demonstrationen zu verhindern. Sie meinen, in einer Art Nothilfesituation zu handeln und dabei besonders demokratisch zu sein.

PAZ: Na toll, aber ehrlich gesagt fällt es uns trotzdem schwer, Verständnis für sie aufzubringen. Was muss getan werden, um linke Gewalttäter zu stoppen?
Hoffmann: Auf diese Fragen erwarten die meisten als Antwort immer eine gewisse Haudraufrhetorik. Schärfere Gesetze, mehr Polizei sollen es richten. Aber das nützt nichts. Es ist ein gesellschaftliches Problem, das sich über Jahre entwickelt hat. Polizisten können das Problem für kurze Zeit unter Kontrolle bringen bei Demonstrationen zum Beispiel. Insgesamt aber verschärfen sie es. Wenn Wasserwerfer anrücken und Schlagstöcke gezückt werden, kommt es immer zu Solidarisierungseffekten. Genau das möchte die linke Szene, weil sie dadurch neue Anhänger gewinnt. Wenn man den Militanten tatsächlich das Wasser abgraben will, müsste man andere Methoden wählen.

PAZ: Und das wären?
Hoffmann: Indem man zum Beispiel gegen ihre Unterstützer vorgeht. Erfolgreiche Künstler wie Jan Delay, Bands wie „Wir sind Helden“ oder „Fettes Brot“ kokettieren mit der linken Szene und treten in deren Veranstaltungsräumen auf, wohl wissend, dass dort dazu aufgerufen wird, den Staat abzuschaffen. Da fragt man sich schon, wie kann es sein, dass diese Musiker am nächsten Tag die Stadthalle zur Verfügung gestellt bekommen. Einer meiner Hauptkritikpunkte am Umgang mit der militanten Linken ist aber, dass nicht gegen ihre Internetseiten vorgegangen wird, wenn dort illegale Aktivitäten zu verzeichnen sind.
PAZ: Sie meinen zum Beispiel indymedia.org?
Hoffmann: Genau! Dort wird jeden Tag zu Straftaten aufgerufen, dort werden jeden Tag Persönlichkeitsrechte verletzt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass niemand in der Lage ist, dagegen vorzugehen. Da sind wir wirklich im Bereich der Strafvereitelung. Aber auch hier fehlt es wieder an Sozialwissenschaftlern oder Initiativen, die diese Seiten systematisch unter die Lupe nehmen. Und an dieser Stelle muss auch einmal Kritik an die konservativen Kreise in diesem Land gerichtet werden. Es ist nämlich nicht richtig, dass die Fördermittel für die Linksextremismusprävention vom Bundesfamilienministerium komplett gestrichen worden wären. Tatsächlich richtet sich dessen Programm auch gegen linke Militanz. Nur gibt es kaum Initiativen, die sich mit dem Thema befassen. Und deswegen kann dieses Geld gar nicht vollständig abgerufen werden. Hier besteht erheblicher Handlungsbedarf. Jammern alleine bringt nichts. Frank Horns

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