Stationen

Sonntag, 29. Mai 2016

Lucke und Henkel sind zu früh ausgetreten


DIE ZEIT: Herr Kruse, letztes Jahr haben Sie gesagt, die AfD sei nicht mehr Ihre Partei. Jetzt schämen Sie sich für Teile des neuen Programms, finden Passagen "unsäglich", "frauenfeindlich" oder "kompletten Schwachsinn". Wie sehen Sie Ihre Rolle in der Partei?
Jörn Kruse: "Unsinn" und "Schwachsinn" habe ich im ersten Ärger leider so gesagt. Ich würde diese Worte nicht mehr verwenden, aber zu den Inhalten stehe ich. Sie geben meine Meinung wieder und nicht die der AfD-Fraktion in Hamburg. Zum Beispiel sind die Positionen des AfD-Bundesprogramms zu Familie, Kindern und Frauen für mich unakzeptabel. Ich hätte mir deutlichere Aussagen für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie gewünscht.
ZEIT: Deutschland, das wirtschaftlich erfolgreichste Land der EU, erscheint in den Aussagen Ihrer Partei als marode und praktisch dem Untergang geweiht. Hat Bürgermeister Olaf Scholz recht, wenn er die AfD eine "Schlechte-Laune-Partei" nennt?
Kruse: Woher Sie die Meinung haben, die AfD halte Deutschland für "marode und praktisch dem Untergang geweiht", ist mir wirklich schleierhaft. Die meisten AfDler sind stolz auf Demokratie, Rechtsstaat, Liberalität und Wohlstand in unserem Land und warnen eher vor einer Politik, die das infrage stellt oder gefährdet.
ZEIT: "Zerstörung des Rechtsstaats", "Vetternwirtschaft und Filz", die "volkswirtschaftlich nicht tragfähige Masseneinwanderung", die "orientierungslose" Außenpolitik und so weiter – all das steht in Ihrem Parteiprogramm. Was ist mit den Ressentiments, die Olaf Scholz ansprach: Hat die AfD etwas gegen, sagen wir, 68er, Muslime, Linke oder Feministinnen?
Kruse: Die AfD hat nichts gegen 68er, ich bin ja selbst einer. Wir haben auch nichts gegen Muslime, wohl aber gegen Salafisten und Dschihadisten. Die AfD hat nichts gegen Linke, solange sie nicht gewalttätig werden. Wir müssen ihnen ja nicht zustimmen. Feministinnen sind für viele AfDler ein rotes Tuch. Aber das müssen beide Seiten aushalten. 
 ZEIT: Die SPD will die AfD künftig in die konkrete thematische Auseinandersetzung zwingen. Das klingt nicht gut, oder?
Kruse: Das klingt sehr gut, denn dann kommen wir endlich zu einem inhaltlichen Diskurs. Darauf freuen wir uns.
ZEIT: Wir auch. Herr Kruse, akzeptiert die AfD von heute eigentlich noch die Ergebnisse demokratischer Wahlen?
Kruse: Natürlich, die AfD ist die demokratischste Partei Deutschlands. Lesen Sie Kapitel eins unseres Parteiprogramms.
ZEIT: In der Passage über die Grundwerte steht, ein politisches Kartell habe die Macht ergriffen, kontrolliere den Zugang zu politischer Information, und das Staatsvolk müsse diesen, wir zitieren, "illegitimen Zustand" beenden.
Kruse: Das Wort Kartell würde ich nicht verwenden, dafür gibt es zu viel Konkurrenz zwischen den Parteien. Aber dass wir eine Herrschaft von relativ wenigen Berufspolitikern haben, ist ein Faktum.
ZEIT: Was Sie Herrschaft nennen, ist das Ergebnis demokratischer Wahlen. Was daran ist illegitim?
Kruse: Daran ist gar nichts illegitim. Aber wenn bestimmte Teile der Bevölkerung oder Gruppen hinten runterfallen, würden Sie das auch für demokratisch legitimiert halten? Es kommt eine neue soziale Frage auf, viele Leute sind heute unrepräsentiert, die mit einfacher Beschäftigung ihre Miete zahlen müssen. Und diese Leute haben schlicht Angst vor einer unkontrollierten Zuwanderung. In Hamburg haben wir am meisten Wähler in den Stadtteilen, in denen es den Leuten nicht so gut geht, zum Beispiel in Jenfeld oder Wilhelmsburg.
ZEIT: Eine Volkspartei braucht mehr als ein Milieu.
Kruse: Die AfD wird noch auf längere Sicht keine Volkspartei sein.
ZEIT: Warum nicht?
Kruse: Weil sie dazu zu sehr auf einzelne Positionen setzt, die derzeit im politisch-medialen Diskurs noch als randständig gelten. Die sind für die Demokratie enorm wichtig: Die Positionen muss man besetzen, damit sie diskutiert werden. Aber eine echte Volkspartei muss weite Teile der Bevölkerung über lange Zeit erreichen.
ZEIT: Noch zu den Politikern, denen es angeblich nur um Macht, Status und ihr eigenes materielles Wohlergehen geht. Würden Sie uns ein paar Namen nennen?
Kruse: Ich will Ihnen das lieber abstrakter sagen. Wenn man sich das politische Personal anschaut, dann sind das zu einem Teil Leute, die in einem normalen, anspruchsvollen Beruf keine Karriere gemacht haben, eventuell weil sie sich früh für die Politik entschieden haben. Das Berufspolitikertum ist ein Problem.
ZEIT: Wir könnten dem Gedanken leichter folgen, wenn wir dabei an konkrete Personen denken würden. Von der Bundeskanzlerin zum Beispiel würde kaum jemand sagen, dass sie mittelmäßig oder nur an ihrem materiellen Vorteil interessiert sei. Sehen Sie das anders?
Kruse: Ich werde jetzt keine Namen nennen. Das werden Sie sicher verstehen.
ZEIT: Wir hätten es gut gefunden, wenn Sie jetzt mal konkret geworden wären.
Kruse: Ich sehe schon die Schlagzeile, die Sie daraus gemacht hätten.
ZEIT: Wir sehen die denkbar scharfe Formulierung Ihres Parteiprogramms, das eine ganze politische Klasse verdammt. Und dann kein einziger Name, das finden wir etwas schwach.
Kruse: Sie haben mir oben ein Zitat vorgehalten, das nicht von mir stammt.
ZEIT: Es stammt aus dem Grundwerteabschnitt Ihres Parteiprogramms.
Kruse: Der Ausgangspunkt unseres Gesprächs ist ja, dass ich mit einzelnen Punkten dieses Parteiprogramms meine Schwierigkeiten habe.
ZEIT: Liegt das daran, dass die Fundamentalisten das Ruder übernommen und die Professoren zurückgedrängt haben?
Kruse: Einige Professoren sind im Sommer 2015 aus der AfD ausgetreten. Und die Fundamentalisten haben jetzt nicht das Ruder übernommen, aber sie haben zu einzelnen Punkten offenbar mehr Einfluss, als mir recht ist, auch mit Blick auf die weitere Entwicklung der Partei. Damit sie und die sehr Konservativen nicht die Oberhand gewinnen, fechte ich diesen Kampf jetzt auch öffentlich aus. Das ist für mich auch ein Stück Psychohygiene. Von meinen Freunden aus dem akademischen Leben werde ich ja gefragt: Sag mal, wie hältst du es eigentlich aus in dem Laden? Ich muss ihnen sagen: Ich bin zwar in der Partei, aber das heißt nicht, dass ich alles billige, was die Partei beschließt.
ZEIT: Die Ironie der Geschichte ist doch, dass die AfD ausgerechnet jetzt sehr erfolgreich ist, da die liberalen Gründer ausgetreten sind. Ist das Zufall?
Kruse: Ja. Das ist der historische Zufall der Migrationskrise. Ein Teil der Leute, denen ich politisch näher stehe als den Führungskräften der jetzigen Bundespartei, ist ausgetreten. Die fehlen der AfD jetzt schmerzlich. Leider haben das noch nicht alle verstanden.
ZEIT: Sind Lucke, Henkel und die anderen zu früh ausgetreten?
Kruse: Ja, sind sie. Wenn sie dabeigeblieben wären, hätten sie die Richtung der Partei mitbestimmen und hier und da präzisere Alternativen zu dem formulieren können, was derzeit in bestimmten Bereichen von der Partei gesagt wird.
ZEIT: Fühlen Sie sich im Stich gelassen?
Kruse: Nein. Die glauben eher, dass ich sie im Stich gelassen habe. Ich stehe der Partei seit Langem kritisch gegenüber, aber ich finde ein Parlament viel wichtiger als eine Partei. Viele Dokumente gehen über meinen Tisch, ich rede auf Empfängen mit Leuten, die ich sonst nie kennengelernt hätte. Vorher habe ich die Welt vor allem aus der akademischen Perspektive und der eines Unternehmens- und Politikberaters gesehen.
ZEIT: Dabei sein ist alles?
Kruse: Es ist wirklich so. Dadurch, dass ich jetzt im Parlament bin, wende ich einen Teil meines früheren Know-hows praktisch an. Außerdem habe ich mein Leben lang über Demokratie nachgedacht, aber sie nie selber praktiziert.
ZEIT: Spannende Einblicke sind die eine Seite. Andererseits sind Sie jetzt das liberale Aushängeschild einer rechtspopulistischen Partei.
Kruse: Die Partei ist im letzten Sommer ein Stück nach rechts gerückt. Deshalb habe ich damals sämtliche Parteifunktionen niedergelegt. Aber ich habe trotzdem die Hoffnung, dass sich das verändert, wenn die westlichen Bundesländer mehr Gewicht erhalten und stärker die bürgerlichen und liberalen Aspekte einbringen.
ZEIT: Und, werden sie das schaffen?
Kruse: Es ist noch möglich. Es hängt von uns ab. Wir dürfen die Chance nicht vertun. Dazu dienen auch meine öffentlichen Äußerungen, die einigen AfD-Mitgliedern nicht gefallen. Ich bin mit meiner Unabhängigkeit einer der wenigen, die dazu in der Lage sind. Die meisten können es nicht, weil sie in der Partei vorankommen wollen.
ZEIT: Sogar Ihre Frau ist ausgetreten.
Kruse: Sogar meine Frau, ja.
ZEIT: Sind Sie in Ihrer Partei isoliert?
Kruse: Wenn ich mich morgen auf einem Parteitag der AfD um eine Position bewerben würde, würde ich durchfallen.
ZEIT: Wie lange halten Sie diesen inneren Zwiespalt noch aus?
Kruse: Weiß ich nicht. Aber Sie dürfen nicht glauben, dass ich leide.
ZEIT: Trotz Rücktrittsforderungen?
Kruse: Ja. Wenn man in der Politik ist, muss man Ölzeug anhaben. Da läuft alles dran ab.
ZEIT: Ihrem Programm zufolge gilt das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung allenfalls noch mit Einschränkungen, wenn es um Themen wie Migration und Flüchtlinge geht. Würden Sie mal ein paar Dinge sagen oder andeuten, die man nicht mehr sagen darf?
Kruse: Man darf zum Beispiel nicht sagen, wie viele Zuwanderer aus Marokko Kleinkriminelle sind. Das darf man öffentlich nicht sagen und das sage ich Ihnen jetzt auch nicht.
ZEIT: Nur zu, wir hätten damit kein Problem. Die einzige uns bekannte Partei, die in letzter Zeit wegen Meinungsäußerungen zu diesem Thema Sanktionen gegen einen Politiker ergriffen hat, zudem noch gegen einen gewählten Abgeordneten, ist Ihre Partei. Gilt das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung nicht auch für Ihren Parteifreund Flocken?
Kruse: Gegen Herrn Flocken lief schon ein Parteiausschlussverfahren, bevor er die fragwürdige Rede in der Bürgerschaft gehalten hat. Es ging darum, dass er sich weigerte, nach seinem Austritt aus der AfD-Fraktion sein Mandat zurückzugeben, und darum, dass er an zwei Demonstrationen rechter Organisationen teilgenommen hat, die wir nicht billigen können.
ZEIT: In Hamburg sind sich rechts des Regierungslagers alle Fraktionen darin einig, die wichtigsten Vorhaben der Regierung abzulehnen. Was unterscheidet Sie eigentlich von CDU und FDP?
Kruse: Die CDU verhält sich auch in Hamburg konform zur Position der Kanzlerin. Aus persönlichen Gesprächen weiß ich von einigen Abgeordneten, dass sie das durchaus kritisch sehen.
ZEIT: Der größte Unterschied zur Hamburger CDU ist, dass deren Abgeordnete die Politik der Bundesregierung ähnlich sehen wie Sie, aber sich öffentlich anders äußern?
Kruse: Die CDU versteht sich in Hamburg als die Oppositionspartei, was sie im Grund auch ist, trotz ihrer lächerlichen 15,9 Prozent. Und als die Oppositionspartei versucht sie, die Schuld an allen Folgen der Berliner Flüchtlingspolitik Herrn Scholz zu geben. Herr Trepoll macht das manchmal mit Worten, wo ich sagen würde: Könnte es nicht eine Nummer kleiner sein?
ZEIT: Die CDU ist Ihnen zu radikal?
Kruse: In seiner Kritik an Herrn Scholz ist mir Herr Trepoll manchmal ein bisschen zu laut. Insbesondere wenn man bedenkt, dass die meisten Probleme in Berlin gemacht werden, wo die CDU die Kanzlerin stellt.
ZEIT: In Hamburg hat die CDU alle wichtigen Themen besetzt, Flüchtlinge, Verkehr, innere Sicherheit. Wie hat sie das geschafft?
Kruse: Zunächst ist sie eine Partei, die es schon lange gibt, die an der Regierung war, sie hat viel Erfahrung. Sie hat zum Teil auch gute Leute. Und ich würde nicht sagen, was die machen, ist Mist, die machen auch einige gute Sachen. Übrigens gilt das ebenfalls für andere Politiker. Es gibt einige Politiker der Grünen, die ich sehr respektabel finde. Ich könnte natürlich jetzt auch SPD-Politiker nennen. Das sind Leute, die machen gute politische Arbeit. 
ZEIT: Wenn Sie jetzt so weitermachen, haben Sie am Ende das ganze Machtkartell gelobt.
Kruse: Es wäre ja schlimm, wenn ich keinen loben könnte. Denn die regieren ja unsere Stadt.   ZEIT

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