Stationen

Mittwoch, 18. Mai 2016

Sühne

"Innerhalb des Tages fehlt durchschnittlich fast überall die Aufrechterhaltung einer Lebensordnung, die dem für alles höhere Leben so wichtigen inneren Akte der Sammlung, die weiter der Erhebung der Seele zu Gott in Anbetung, Meditation, die der Erholung und dem höheren Lebensgenuß genügend Spielraum ließe. (...) Man wußte nicht, wie man sonst die Zeit füllen sollte, darum arbeitete man weiter (...) darum will man arbeiten und rechnet sich einen traditionell gewordenen Mangel noch zur Tugend an." (Max Scheler über die Deutschen)

Wie gesagt, diese Ausführungen wurden exakt vor 100 Jahren zu Papier gebracht. Gleichwohl – bzw. gerade deshalb – werfen sie ein erhellendes Lichtlein auf die Gegenwart, in dessen schönem Schein wir immerhin konstatieren dürfen, dass das verstrichene Säkulum nach einigem Hängen und Würgen das beschriebene Problem einer Lösung zugeführt hat. Die Deutschen sollen ruhig weiterarbeiten wie bisher, gern auch, da sie schon etwas lendenlahm geworden sind, bis sie 67, 70, 75 Jahre zählen – nur eben nicht mehr primär für sich selbst! Mag auch der Scheich im Emirat sein weises Haupt schütteln, wenn man ihm erzählt (wie es ein mit mir befreundeter Geschäftsmann tat), dass in Deutschland die Einheimischen für die Fremden arbeiteten und nicht, wie in der arabischen Welt, die Fremden für die Einheimischen – für Deutschland möge dies die Zukunft der Sühne und überhaupt sein!

Wechseln wir beim Stichwort "Sühne" nochmals die Perspektive und kehren wir in die Gegenwart zurück. "Die fast völlige Wehrlosigkeit Deutschlands angesichts des Migrantenansturms hat ohne Zweifel mit der Besessenheit des Landes von den berüchtigten 'zwölf Jahren' seiner Vergangenheit zu tun. Je weiter diese zurückliegen, desto mehr verwandeln sich die nationalen Debatten in Gespensterkämpfe, in denen die Kontrahenten sich gegenseitig auf Zeichen und Omen – das imaginäre Schnauzbärtchen – hin belauern, die den alten Nazidämon verraten könnten", notiert der Philosoph Marc Jongen, seit der Bekanntgabe seiner AfD-Mitgliedschaft gleichwermaßen freigegeben zum Selberdenken wie zum Angepöbeltwerden, in einem Essay in der Zürcher Weltwoche. "Es ist diese Kontaminierung mit dem strahlenden psychopolitischen Material der Vergangenheit, die die deutsche 'Willkommens­kultur' im Kern vergiftet, die für die quasireligiöse ­Inbrunst ihrer Anhänger wie für den tiefen Argwohn ihrer Gegner sorgt. Das Merkmal der 'reinen Gabe', die 'selbst­lose' oder doch mindestens freiwillige Ge­nerosität, die jeder echten Willkommensgeste eigen ist, geht dem zivilreligiösen Willkommenskult weitestgehend ab. Zu offenkundig dient er der natio­nalen Selbsttherapie einschliesslich der bevormundenden Umerziehung der Verstockten im eigenen Volk. Ironischerweise werden die Deutschen ausgerechnet in dem Versuch, sich von den Sünden der Vergangenheit durch die 'gute Tat' schranken­loser Aufnahme von Fremden reinzuwaschen, von Verhaltensmustern der eigenen schlechten Vergangenheit eingeholt. Der 'moralische Imperialismus', der Deutschland von den osteuropäischen Nachbarn ob seiner versuchten Willkommensdiktatur zum Vorwurf gemacht wird, ist nichts anderes als die alte deutsche Grossmannssucht und Überheblichkeit, nur diesmal unter dem Banner des 'Guten'."    MK am 16. 5. 2016

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