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Dienstag, 14. Juni 2016

Die verlorene Ehre der FAZ

Es gibt keinen Gauland-Skandal, den gab es nie, es gab nur einen halbgelungenen Versuch der FAZ (FAS), einen solchen zu inszenieren. Man muß sich den Vorgang als Szene aus dem Visconti-Film „Gewalt und Leidenschaft“ vorstellen: Gauland träte an die Stelle Burt Lancasters und spielte den graumelierten, etwas weltfremden Professor, dem zwei Galeristen ein Gemälde, von dem sie wissen, daß es ihn interessiert, zu einem überteuerten Preis offerieren. Nachdem sie gegangen sind, wundert sich die zufällig anwesende Marchesa Brumonti (hoheitsvoll und vulgär: Silvana Mangano) darüber, daß der Professor diese Leute überhaupt in sein Haus gelassen hat, worauf er sie zurechtweist: Ich bitte Sie, das sind die Inhaber der berühmten Galerie so und so! Die Marchesa kann über diesen Einwand nur lachen: Aber Professor, man sieht doch sofort, daß das zwei Ganoven sind, zwei Hehler! – Leider endet die Parallele auf halber Szene. Gauland hatte keine Marchesa an seiner Seite, als er sich mit den zwei FAZlern zum Hintergrundgespräch traf.

Wem das Mediengetöse um das aufgedrängte oder untergeschobene Boateng-Zitat mehr schadet oder nutzt, der AfD oder der FAZ, das ist keineswegs ausgemacht. Vieles spricht dafür, daß es die FAZ ist, die am Ende den Schaden davonträgt.
Doch erst einmal ist ihr ein sogenannter Scoop gelungen, eine exklusive Meldung, ein allgemeiner Aufreger, den sie aber – und das macht die Sache so halbseiden und am Ende auch wieder brüchig – selber produziert hat, um sich anschließend in seiner öffentlichen Resonanz zu sonnen.

Einher ging das, von der Überrumpelung ihres Opfers abgesehen, mit einem Vertrauensbruch, mit der Verletzung der Verschwiegenheit, mit der Aufkündigung zwischenmenschlichen Anstands. Gauland ist in dem Punkt naiv gewesen, vertrauensselig, was den Betrachter wiederum sympathisch berührt, während die zwei FAZ-Redakteure noch in ihren Ausreden an Winkeladvokaten erinnern, was ihr Handeln desto schmieriger erscheinen läßt.
Die inquisitorische Absicht, den Delinquenten vorzuführen, an den Pranger zu stellen und der Partei zu schaden, ist offensichtlich, denn sonst hätten sie es unternommen, den Sinn des hingeworfenen Satzes im Kontext zu erschließen, was eine hermeneutische Selbstverständlichkeit sein müßte unter Journalisten. Dann hätte sich seine Harmlosigkeit herausgestellt. Sie aber wollten eine Medienhatz entfachen und sich an die Spitze der Hetzmeute setzen. Das sind die traurigen Reste, die vom Anspruch des einstigen politischen Leitmediums übrig sind.
Weil auch die einst elitäre FAZ mit den Zeiten leben muß, hat sie die Entlarvungsaktion gar nicht mal ungeschickt mit einen Appell an die Instinkte der Fußballnation verknüpft: Denkt Euch, der AfD-Mann hat Jérôme, unseren Fußballhelden, beleidigt! Deutsche! Fußball-, Jogi-Fans! Wollt ihr die tatsächlich wählen?

Das aber ist ein Niveau, das man den sozialen Netzwerken, der Bild-Zeitung, Spiegel- und selbst Zeit online nachsieht, weil es ihnen in den Genen liegt, der FAZ jedoch auf die Füße fallen könnte. Sie ist zwar – vom Wirtschaftsteil abgesehen – längst nicht mehr, was sie mal war, doch sie zehrt vom alten Ruf, mit dem sich Seriosität und ein gewisser Komment verbinden. Dieses soziale Kapital hat sich mit der Aktion wohl erschöpft, sie markiert einen unwiederbringlichen Ehrverlust.

Wer zu solchen Praktiken greift, gibt zu, daß er sie nötig hat. Woraus man schließen muß, daß die„Zeitung für Deutschland“ wirtschaftlich wohl noch schlechter dasteht, als gemunkelt wird. Da liegt es nahe, Zusammenhänge herzustellen mit ihrer Profilierung als Kampf- und Richtungsblatt, sei es in der Rußland-Frage oder eben in der Haltung zur AfD. Die Zweifel an ihrer Seriosität, Unabhängigkeit und Berechenbarkeit werden nun noch größer, die Abwärtsspirale wird eine neue Drehung vollziehen.
Aber es geht nicht nur um eine materielle Krise, auch um die ideelle. Die FAZ stand lange für geistige Souveränität und analytische Kompetenz, die sich auf der Stilebene im Understatement, in reflexiver und ironischer Distanz äußerte. Diese Vorzüge sind ihr weitgehend abhanden gekommen, politische Berichte werden häufig auf Praktikantenniveau verfaßt, wirken aggressiv und lassen dafür die Tiefenschärfe vermissen.

Anschaulich wird der Niveauverlust am Verfall der Begrifflichkeit, an der unreflektierten und unkritischen Benutzung von Schlagwörtern wie: extremistisch, islamfeindlich, populistisch, Vielfalt, völkisch, Willkommenskultur. Das sind keine belastbaren Begriffe, die Erscheinungen oder Gegenstände auf der Grundlage feststehender Merkmale zusammenfassen, sondern Leerformeln, die modische Befindlichkeiten, gedankliche Kurzschlüsse oder Interessen der Regierenden transportieren.
Der Qualitätsunterschied, den die FAZ bis weit in die neunziger Jahre behaupten konnte, rührte daher, daß sie sich solchem Geschwätz weitgehend verweigerte und Reflexions- und Erfahrungsräume repräsentierte, die weit über die 68er Bundesrepublik hinausreichten. Ihre Nivellierung bedeutet im Grunde eine Bundesrepublikanisierung: eine politiktheoretische Horizontverengung, die im „Jargon der Weltoffenheit“ (Frank Böckelmann) stattfindet.

Die politische Argumentation bewegt sich zwischen einem individuellen Freiheitsbegriff und dem Menschenrechtsuniversalismus. Was dazwischen liegt, muß notwendigerweise ausgrenzend, faschistisch, extremistisch, menschenfeindlich, verfassungsfeindlich, völkisch sein. So besiegelt auch die FAZ die fatalistische Feststellung Ernst Forsthoffs aus dem Jahr 1965, „daß mit dem Nationalsozialismus und der Kriegskatastrophe der Staat als nationale Lebensform eine Diskreditierung erfahren hat, die von bleibender Dauer zu sein scheint“.
Das führt zu paradoxen Freund-Feind-Kennungen: Wer den individuellen Freiheitsbegriff bejaht, bis auf weiteres aber den National- und Rechtsstaat für seinen besten Garanten hält und auf dem Unterschied zwischen den Rechten des Staatsbürgers und deklaratorischen Menschenrechten besteht, gilt in der Gedankenwelt dieser Weltoffenen als böse.

Wer hingegen den individuellen Freiheitsbegriff in Anspruch nimmt, um eine vormoderne Religion im Land zu implementieren, deren Herrschaftsanspruch darauf hinausläuft, die Voraussetzungen der Freiheitsrechte zu zerstören, kann im Zweifelsfall darauf bauen, als schutzwürdiges Opfer hofiert zu werden.
Wer sich dieses verquere Denkmuster zu eigen gemacht hat, empfindet auch Vertrauensbrüche und Zitathehlerei nicht als ganovenhaft und ehrlos, sondern verteidigt sie als engagierte und moralisch hochwertige Handlungen! Das ist nur logisch. Dann aber gibt es keine Grundlage mehr, auf der man sich in gegenseitiger Fairneß begegnet. Alexander Gauland, bevor er sich das nächste Mal auf Hintergrundgespräche einläßt, wird sich besser als bisher klarmachen müssen, mit wem er es zu tun hat. Ein altehrwürdiges Firmenlogo besagt heute gar nichts mehr.   Thorsten Hinz

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