Stationen

Mittwoch, 22. Juni 2016

Köstlich




Wir haben uns das anders vorgestellt. Wir hatten einen Arbeitstitel. "Das Schloss" sollte dieser Text heißen, denn wir stellten uns ein Schloss vor, wenn wir an das Rittergut von Götz Kubitschek dachten. "Das Schloss", da wäre alles drin gewesen, ein bisschen Kafka (kafkaesk, passt immer), ein bisschen Stefan George (Castrum Peregrini, diese Zeitschrift der George-Jünger, da ist das Schloss schon im Titel) – und ja, wir dachten auch an die SS-Burgen und ganz allgemein an rechten Dünkel, an Hochmut und Gutsherrentum.

Jetzt sind wir in Sachsen-Anhalt, die Wiesen werden grüner, die Landschaft leerer. Schnurgerade Alleen, ein Schützenverein, irgendwo vorher ging es nach Merseburg. Wir sind auf dem Weg nach Schnellroda, in Schnellroda leben und arbeiten Götz Kubitschek und seine Frau Ellen Kositza. Götz Kubitschek ist die zentrale Figur der sogenannten Neuen Rechten und gerade wollen alle mit ihm reden. Wir auch. Wir, das sind der Fotograf und ich.
Jetzt enden die Ortschaften vor allem auf "a", Brehna, Großkorbetha, irgendwann: Schnellroda. In Schnellroda wohnen Kubitschek und Kositza auf einem alten Rittergut, in Schnellroda hat Kubitschek seinen Verlag, den Antaios-Verlag, und in Schnellroda hat das Institut für Staatspolitik seinen Sitz, eine Art neurechte Denkfabrik. Die Verlagsräume von Antaios befinden sich ebenfalls im Rittergut, ein weltanschauliches Gesamtprojekt, dieses Gut.
Im Antaiosverlag erscheinen Bücher mit Titeln wie "Zurüstung zum Bürgerkrieg. Notizen zur Überfremdung Deutschlands". Ein bisschen Ernst Nolte, natürlich. Auch Akif Pirinçci (der mit der Verschwulung und den Katzen-Krimis) ist jetzt beim Antaiosverlag, seitdem ihn sein alter Verlag rausgeschmissen hat, wegen der ungünstigen KZ-Bemerkung, die er bei seinem Pegida-Auftritt gemacht hat. Sein neuestes Buch heißt "Umvolkung".
Der Antaios-Verlag, heißt es, floriert. Sein Symbol ist eine Schlange. Eine Schlange, hat Ellen Kositza einmal gesagt, häutet und häutet sich, bleibt aber gleich. Diese drei Institutionen bilden, was man das Kraftzentrum der "Neuen Rechten" nennen muss. Hier finden regelmäßig intellektuelle Schulungen statt, zweimal im Jahr gibt es Akademien, die haben sehr schlichte Titel wie "Islam", "Heimat", "Geschichtspolitik" oder, ja, "Widerstand".
Die Teilnehmer übernachten dann in der Gaststätte "Zum Schäfchen", einem der ersten Gebäude, die man sieht, wenn man in den Ort hineinfährt, lehmfarbene Fassade, minimalistisch gezeichnetes Bausche-Schaf zwischen Hasseröder-Werbung. Die Veranstaltungen sind oft ausgebucht. 

Die Kubitscheks machen ideologische Arbeit für eine Minderheit, die wächst.
Das sind Burschenschaftler, die hier hinkommen, das sind AfD-Mitglieder, Pegidisten, das sind wohl auch Neonazis, das sind Konservative, das sind Rechte, das sind Studenten. Das sind sogenannte "politisch Heimatlose", das sind sogenannte "normale" Menschen. Wobei die Fiktion des Normalen ja nie den Einzelnen in seiner tatsächlichen Normalität meint, sondern immer schon politisch konnotiert ist: ganz normale Menschen wie du und ich. Auch die. Mittlerweile. Ja. Man sollte sich Sorgen machen. Sollte man?


Wir sind zu früh in Schnellroda. Das Rittergut ist ein großes, freundliches Einfamilienhaus, ein wilder, wuchernder Garten, vor dem Eingang ein gelber Rosenstock, eine Bank, Inlineskater, Skier, eine Lederkappe. Kubitschek und Kositza haben das Gut 2001 gekauft und sind hierhergezogen, sie machen alles selbst, schlachten Enten, backen Brot, züchten Rote Beete. Kubitschek und Kositza haben sieben Kinder, das gehört ganz fest zur Beschreibungsformel dazu, wenn man über Kubitschek und Kositza schreibt, und es wird viel geschrieben in letzter Zeit über Kubitschek und Kositza. Er Verlagsmann, Herausgeber, Ex-Soldat, sie Autorin für "Sezession" und "Junge Freiheit", offen rechts, Mutter, Hausfrau. Geistiger Austausch mit Rüdiger Safranski, politischer Anlaufpunkt für die, die irgendwie rechts sind in Deutschland, es scheinen immer mehr zu werden.

Man will das ernst nehmen. Das heißt: Man will das nicht als deutsche Gruselgeschichte erzählen. Aber man kommt da schwer raus. Denn es ist ja so: Kubitschek und Kositza haben sieben Kinder, die sieben Kinder haben alle mythologische, also altdeutsche und norwegische, Namen, die Eheleute Kubitschek und Kositza siezen sich und backen ihr Brot selbst. Und da ist man dann natürlich in der Beschreibung ganz schnell bei: krasser Freak. Wohnt auf einem Rittergut, siezt seine Frau. Nicht ernst zu nehmen. Oder: gefährlich, nicht ernst genug zu nehmen.

Wir sind zu früh in Schnellroda und Kubitschek ist im Garten. Er kommt uns entgegen, er trägt ein graues Hemd und dunkle Hosen. Die AfD wollte ihn noch vor nicht allzu langer Zeit nicht haben, weil er, so die Begründung des damaligen AfD-Vorsitzenden Bernd Lucke, bei seinen Pegida-Auftritten in schwarzem Hemd und offener brauner Uniformjacke aufgetreten sei – eine klare Anspielung auf faschistische Bewegungen der zwanziger und dreißiger Jahre. Jetzt ist es ein erklärtes Ziel von Kubitscheks Bewegung, seine Leute bei der AfD unterzubringen – durch die unverhofften Wahlerfolge sind viele Stellen entstanden, die besetzt werden wollen. Kubitschek hat eine Art von Körper, wie man sie für ausgestorben hielt, also stramm, gerade von Kopf bis Fuß. Kubitschek ist Oberleutnant der Reserve, er hat in Bosnien gekämpft, er wurde aus der Bundeswehr ausgeschlossen wegen rechtsextremistischer Bestrebungen. An einem Gatter im Garten steht "Sport und Gesundheit".
Kubitschek meint das alles sehr ernst. Kubitschek ist sehr höflich, er streckt die Hand aus. Er kommt aus Oberschwaben, hat in Hannover Philosophie und Germanistik studiert. Auch das gehört zur Beschreibungsformel: die Höflichkeit. Der Pflaumenkuchen später. Salonfaschist nennt man ihn dann und dass seine Ansichten "salonfähig" geworden seien. Warum eigentlich immer Salon?
Wir stehen vor der Tür. "Kommen Sie mit, ja?", sagt er, er muss die Ziegen noch wegbringen, zwei Ziegen und ein Zicklein, das Zicklein springt frei, die Ziegen führt Kubitschek an der Leine, als seien sie Doggen, störrisch und weiß. "Es gibt nichts Feineres für die als Laub", sagt Kubitschek und zerrt sie weg, sie fressen von den Bäumen am Straßenrand. Die Euter schwingen. "Zwei Mamas, ja?", sage ich und zeige auf die Ziegen, blöder Gender-Witz, damit kriegt man ihn nicht, natürlich nicht. "Eine Mama und eine Tante", korrigiert er. Man hat sich daran gewöhnt, bei Pegida und AfD an irgendetwas zu denken, das vage mit den Wörtern "wütend" und "Mob" zusammenhängt, und jetzt steht man hilflos vor dieser Neuen Rechten und murmelt immer wieder, dass sich Rechtssein und Intellektualität ja nicht ausschließen – als ob das dafür irgendetwas erklären würde.

Der Pflaumenkuchen ist noch warm, er wird im sogenannten "Rittersaal" serviert. Ellen Kositza sieht aus, wie das Wort Rune klingt oder das Wort Alraune oder das Wort Undine.

Nicht wegen des Inhalts, sondern wegen des Klangs. Schmal, schön, selten, vielleicht ein bisschen böse, fanatisch-apart. Sie sitzt sehr gerade. Sie raucht Zigaretten der Marke "Power". Was wollen die eigentlich, für Deutschland, für die Gesellschaft? Sie sagen es nicht. Sie wollen erst einmal Kräfte sammeln, rechte Kräfte.
Über die nach Deutschland geflüchteten Syrer sagt Kubitschek: "Ihr habt Krieg, das hatten wir auch. Das ist das Schicksal eures Volkes. Ihr seid junge Männer – nehmt eine Waffe in die Hand und kämpft." Die Flüchtlinge wie Kinder zu behandeln sei das eigentlich Inhumane, sie in Turnhallen vegetieren zu lassen. Ob es eine Vision für ihn gebe, eine Utopie? Ostpreußen und Schlesien zurückzubekommen, davon habe man sich verabschiedet. Vielleicht scherzt er.
Was verfängt: die Pachtung des Anscheins der radikalen Ehrlichkeit, des Aussprechens ungemütlicher Wahrheiten, gepaart mit dem militärischen Ethos der Disziplin und einer eigentümlich ins Organische gewendeten Sprache, die klingt, als sei sie von schicksalshaften Gegenständlichkeiten diktiert. Er wolle erst einmal Ruhe für das alternde deutsche Volk, sagt Kubitschek, das deutsche Volk habe keine Kraft mehr auszugreifen. Die Flüchtlingspolitik führe in die Totalkatastrophe, das sei kein gedeihlicher, kein maßvoller Umgang mit den Dingen.

Als wir zurückfahren, auf der Autobahn, fällt ein merkwürdiger Bann von uns ab. Es war gemütlich, unheimlich gemütlich, im Rittersaal. Uns ist für eine Zeit klar geworden, was das ist, diese Sehnsucht nach dem vermeintlich Starken, dieses merkwürdige Raunen. Und dann setzen wir uns hin und lesen die Sätze, die wir da mitgeschrieben haben.  Hannah Lühmann

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