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Mittwoch, 22. Juni 2016

Nota bene

Das Bundesverfassungsgericht hat am Dienstag gleich mehrere Verfassungsbeschwerden gegen das OMT-Programm der Europäischen Zentralbank (EZB) abgewiesen. Das Instrument ermächtigt die Bank, notfalls unbegrenzt kurzläufige Staatsanleihen von EU-Krisenstaaten zu kaufen. Seit seiner Einführung im Jahr 2012 laufen nicht nur in Deutschland die Hüter der nationalen Souveränität dagegen Sturm. 2013 argumentierte der damalige Präsident des Münchener ifo Instituts, Hans-Werner Sinn, der OMT-Beschluß sei im Kern eine wirtschaftspolitische und keine geldpolitische Maßnahme und liege außerhalb der EZB-Befugnisse.
Das Programm unterliege keiner demokratischen Kontrolle und komme der verbotenen monetären Staatsfinanzierung gleich. Außerdem führe es tendenziell zu einer erheblichen Vermögensumverteilung unter den Euro-Staaten. Im Februar 2014 erklärte dann das Bundesverfassungsgericht, die EZB habe mit dem OMT-Programm ihre Kompetenzen überschritten. Allerdings vollbrachte der Karlsruher Senat das Kunststück, das OMT-Programm zwar mit Blick auf Deutschland als verfassungswidrig abzutun, es im europäischen Kontext hingegen als „rechtskonform auslegbar“ einzustufen.


Entsprechend verwiesen die Richter den Fall an den Europäischen Gerichtshof in Luxemburg, der im Juni 2015 die gewünschte Auslegung lieferte. Neben einigen technischen Rahmenbedingungen läuft sie darauf hinaus, daß die EZB sich ihre Ziele selbst setzen kann, dann aber „verhältnismäßig“ handeln muß. Ihr Tätigwerden müsse „mit hinreichenden Garantien“ versehen sein, um sicherzustellen, daß kein Verstoß gegen das Verbot der monetären Finanzierung vorliege.
Die heute präsentierte Ablehnung der Verfassungsbeschwerden rekurriert auf dieses EGH-Urteil. In dessen Rahmen, so die Karlsruher Richter, verstoße das OMT-Programm weder gegen die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages noch überschreite die EZB damit „offensichtlich“ ihre Kompetenzen. Ein verfassungsrechtlich relevantes Risiko für das Budgetrecht des Deutschen Bundestags sei unter diesen Bedingungen nicht erkennbar.
Das Ganze erinnert an ein Hütchenspiel. Die deutsche Höchstinstanz, das Bundesverfassungsgericht, bewertet einen Sachverhalt als verfassungswidrig, delegiert den Fall an den Europäischen Gerichtshof und bestätigt dann dessen – relativierendes – Urteil mit scheinbar letztinstanzlicher Autorität. Der Bürger reibt sich die Augen und fragt: Unter welchem Hütchen steckt jetzt eigentlich der Souverän?
Im Februar 2014, unmittelbar nach dem ersten Verdikt des Verfassungsgerichts, prophezeite Hans-Werner Sinn noch, die „Politik der augenzwinkernden Zustimmung zur Politik der EZB, mit der Kanzlerin Merkel der Bundesbank in den Rücken gefallen ist, dürfte damit an ihre Grenzen gekommen sein.“ Von wegen. Wenn jemand im politischen Geschäft die Quadratur des Kreises beherrscht, dann Angela Merkel. Daß ihr das Spiel gelingt, hat einen Grund: Auf den Märkten wirkt die Möglichkeit der Anleihenkäufe wie einst die nukleare Abschreckung: psychologisch. Die Probe aufs Exempel steht noch aus, schließlich hat die EZB noch keine einzige OMT-Transaktion getätigt. Es wäre vielleicht gut, wenn es dabei bliebe.   Thomas Fasbender


JF


Von Russland aus gesehen

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