Stationen

Samstag, 25. Juni 2016

Selbst gute Erziehung ist nicht mehr selbstverständlich

Vergangenes Wochenende hatten wir Freunde zu Besuch. Das Wetter ist schön. Wir sitzen mit einem Dutzend Gästen auf der Terrasse und trinken Kaffee. Wir hatten den Kindern eingeschärft: Solange wir hier essen, kommen keine Nachbarskinder auf unser Grundstück.
Glücklicherweise wimmelt es in der Nachbarschaft von gleichaltrigen Kindern. An schönen Tagen gleicht das Karree aus Reihen- und Doppelhäusern einem Ferienlager. Kaum ist der Kuchen angeschnitten, schnürt ein neunjähriger Junge herüber und fragt fröhlich „Kann ich ein Stück Kuchen?“ Grimmig erkläre ich: „Jetzt nicht. Wir haben Gäste.“

Tags zuvor wollte ich mit meiner Frau zu Ikea fahren, um ein Bücherregal für eines der Kinder zu kaufen. Später Samstagnachmittag. Die Kinder durften zu Hause bleiben, wenn sie brav sind, einen Film schauen. Der achtjährige Jüngste hatte sich schon ein paar Frechheiten erlaubt. Daraufhin erklärte ich: Du kommst mit. Großes Gejaule. Wir fuhren los. Weiter endloses Gejammer.
Wie oft kapitulieren wir Eltern da. Ich: „Du bist jetzt still oder du kannst einmal ums Auto laufen.“ Er: „Dann mache ich das eben!“ Also ich: „Los, aussteigen, einmal ums Auto.“ Bockig lief er ums Auto, stieg ein, jaulte weiter. Einige hundert Meter weiter paßte ich eine entsprechende Stelle ab und sagte: „Aussteigen, du läufst so lange hinter dem Auto her, bis du lieb bist.“
Meine Frau stieg aus, nahm ihn an die Hand und lief mit ihm im Schweinsgalopp die Straße lang, ich mit dem Auto voraus. Einige hundert Meter später stiegen beide wieder ein, hinter mir mucksmäuschenstill und nur noch leise schniefend mein kleiner süßer Sohn. Mir blutete das Herz.

Es ist so: Wenn wir nicht gegensteuern, wenn wir keine Grenzen setzen, können Kinder nicht wissen, wo es langgeht. Erziehung hat dabei mit Selbstüberwindung zu tun, es auch auszuhalten, wenn sich das soziale Umfeld oft wundert, daß man nicht lässiger mit den Kindern umgeht. Oft ermuntern sich Erwachsene leider gegenseitig lieber zu Nachsicht.
Die Ärztin Martina Leibovici-Mühlberger ruft im Gespräch mit unserer Zeitung (und in der ZEIT) uns Eltern auf, Kinder wieder entschiedener zu erziehen, uns drohe eine Generation von „Tyrannenkindern“, die unfähig seien, sich zu konzentrieren, sich einzufügen. Statt dessen würden Kinder überbetreut, zu Prinzen und Prinzessinnen verhätschelt, es würden unersättliche Narzißten gezüchtet.
Doch Erziehung ist leichter gesagt als getan. Oft siegt die Bequemlichkeit, fällt es bei eigener Wurschtigkeit schwer, Kindern Ordnungssinn und korrektes Verhalten abzuverlangen. Und so erziehen sich, bei entsprechendem Grundwillen, Kinder und Eltern gegenseitig. Den Kleinen fällt nämlich genau auf, wenn wir uns selbst nicht vorbildlich verhalten oder gesetzte Maßstäbe nicht einhalten. Nur Mut also!   Dieter Stein


Im Deutschlandfunk stößt man auf den unvermeidlichen linken KlugscheißerIn, der/die/das unbedingt einen Pädagogen gegen den anderen ausspielen muss, um das trügerische Gefühl zu haben, kritisch zu sein. Aber ob es nun an Remo Largos "tiefer Bindung" fehlt oder an Leibovici-Mühlbergers "Grenzen", wichtig und rar, wünschenswert und notwendig sind beide geworden und wo das eine fehlt, fehlt meist auch das andere, während Grenzen umso entschiedener gesetzt werden, wo Bindungen tief sind.

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