Stationen

Montag, 20. Juni 2016

Standing Ovation!






Auf jeden Versuch parteiinterner Unterdrückung der freien Meinungsäußerung reagieren AfD-Mitglieder äußerst sensibel. Es gehört zur Raison d’Être der AfD, sich gegen den subtilen Terror der Political Correctness zur Wehr zu setzen, mit dem in Deutschland wie in allen sogenannten freien Ländern des Westens die Bürger zur Konformität gezwungen und zum Duckmäusertum erzogen werden.

Es braucht nicht viel, damit hierzulande kritische Meinungsäußerungen gegenüber der Regierungspolitik oder Abweichungen von den erlaubten Mainstream-Positionen von den PC-Wächtern in Politik und Medien mit Totschlagetiketten wie „rassistisch“, „faschistisch“, „islamophob“ oder „antisemitisch“ belegt werden.
Vieles hätte man Bernd Lucke und seinen Getreuen verzeihen können, nicht aber, daß sie die perfiden Methoden der Political Correctness in die AfD hineingetragen und bestimmte Positionen und Personen innerhalb der Partei zu stigmatisieren versucht haben.
Äußerste Vorsicht und sehr genaues Hinsehen sind also geboten, wenn jetzt mit Wolfgang Gedeon, einem Abgeordneten im neugewählten Landtag von Baden-Württemberg, ein exponiertes AfD-Mitglied – von außerhalb wie auch von innerhalb der Partei – des „Antisemitismus“ beschuldigt wird. Soll Herr Gedeon sich eines moralischen Verbrechens schuldig gemacht haben, weil er es gewagt hat, auf die wenig zimperliche Macht- und Siedlungspolitik des Staates Israel hinzuweisen – was linke Menschenrechtsgruppen ebenfalls und zuweilen viel schärfer tun?

Gedeon stört sich daran, daß im Zentrum der deutschen Hauptstadt ein Holocaust-Mahnmal steht, während man es weitgehend versäumt, auch an die positiven Aspekte der deutschen Geschichte zu erinnern. Liegt er damit nicht auf einer Linie mit dem AfD-Grundsatzprogramm, worin ein Aufbrechen der einseitigen Fokussierung der deutschen Erinnerungskultur auf die Zeit des Nationalsozialismus zugunsten positiv identitätsstiftender Epochen gefordert wird?
Bestätigt der Aufschrei, den die Presse und die etablierten Parteien wegen dieser und anderer Äußerungen Gedeons veranstalten, nicht exakt dessen These, daß sich der Holocaust längst zu einer „Zivilreligion des Westens“ entwickelt hat, zu einer Art negativem Heiligtum, vor dem sich alle in den Staub zu werfen haben und demgegenüber Kritik – auch berechtigte und vernünftige – bei Strafe der bürgerlichen Existenzvernichtung tabuisiert ist?

Wie kann im Übrigen der Begriff „Zivilreligion Holocaust“ antisemitisch sein, wo er doch längst Teil der wissenschaftlichen, des Antisemitismus völlig unverdächtigen politologischen Fachdiskussion ist? 

Und warum schließlich ist es Herrn Gedeon verboten, die Frage zu stellen, ob Holocaustleugnung wirklich ein juristischer Straftatbestand sein sollte, wenn doch auch der streitbare Publizist Henryk Broder die Ansicht vertrat, es solle niemandem verboten sein, öffentlich Unsinn zu behaupten, auch nicht einem Holocaustleugner?
Diese Fragen drängen sich umso mehr auf, als Herr Gedeon ausdrücklich erklärt hat, kein Antisemit zu sein, Juden niemals pauschal verunglimpft zu haben, den Holocaust keinesfalls zu leugnen und das Existenzrecht Israels vollumfänglich anzuerkennen.

Wenn AfD-Fraktionschef in Baden-Württemberg und Bundesparteisprecher Jörg Meuthen trotz alledem die „Totschlagvokabel“ „antisemitisch“ gegen ihn verwendet und seinen eigenen Verbleib in der Landtagsfraktion an die Bedingung des Ausschlusses Gedeons aus selbiger koppelt, dann ist es zumindest nachvollziehbar, daß bei einigen Mitgliedern und Sympathisanten der AfD eine Art Déjà-vu-Erlebnis einsetzt: als sei hier ein Lucke 2.0 am Werk und als feierte die Untugend der „Distanzeritis“ aus einer glücklich überwunden geglaubten Zeit in der AfD unfröhliche Urständ.

Der Autor dieser Zeilen bekennt unumwunden: Enthielte diese Prima-Vista-Sicht der Dinge schon die ganze Wahrheit, er würde sich die genannten Argumente Gedeons zwar nicht sämtlich zueigen machen – vor allem nicht in dieser Schärfe und Besessenheit –, er würde aber mit aller Vehemenz dafür kämpfen, daß Wolfgang Gedeon ein Recht auf Äußerung seiner Meinung in Fraktion und Partei behält und daß alle innerparteilichen Versuche abgewehrt werden, ihm dieses Recht zu nehmen, wäre der Druck von außen noch so groß und verschwörte sich die ganze Welt gegen die AfD.

Allein, es handelt sich bei dem bisher gezeichneten Bild um eine Täuschung, der die oberflächliche Betrachtung erliegt. Der zweite Blick, zumal der Blick in die Schriften Wolfgang Gedeons, enthüllt ein Anderes. Auch wenn diese Bücher schon ein paar Jahre alt sind, hat sie ihr Autor erst jetzt wieder als „Kaderliteratur“ bezeichnet, er stellt sich also offenbar vor, die „Parteikader“ der AfD sollten daraus ihre weltanschauliche Formung beziehen.
Von derartigen Schriften dürfen wir nicht nur erwarten, daß sie mit den Grundsätzen und programmatischen Leitlinien der AfD weitgehend harmonieren, sondern auch, was in etwa dasselbe sagt, daß sie den erhobenen Vorwurf des Antisemitismus gründlichst entkräften, indem sie sich von den üblen Dünsten irrationaler Judenfeindschaft gänzlich unbefleckt zeigen.
Tatsächlich ist die „Weltanschauung“, die Wolfgang Gedeon in seiner Trilogie „Christlich-Europäische Leitkultur. Die Herausforderung Europas durch Säkularismus, Zionismus und Islam“ präsentiert, weit davon entfernt, den Verdacht des Antisemitismus zu zerstreuen. Sie macht im Gegenteil umso mehr schaudern, je näher man sich mit ihr beschäftigt. Grob gesagt handelt sich dabei um eine geschichtstheologische „große Erzählung“ über die religiöse und politische Entwicklung des Abendlandes, deren polemisch zugespitzte Kurzfassung, in Gedeons eigenen Worten, wie folgt lautet:
Seit Golgatha ist der geistige Hintergrund unserer Geschichte das Ringen zwischen Judaismus und Christentum. Im Mittelalter hat letzteres den Sieg davongetragen, seit der Französischen Revolution gewinnt aber der Judaismus zunehmend die Oberhand. Nun versucht der Zionismus, die politisch aggressive Form des heutigen Judaismus, die Begriffe Antisemitismus und Antijudaismus zu vermischen, und die von ihm gesteuerten Medien gehen daran, aus der Geschichte des christlichen Abendlandes eine ‘antisemitische Kriminalgeschichte’ zu machen. Dies ist ein Frontalangriff des Zionismus auf die Wurzeln der europäischen Kultur!
Den Einfluß des „Judaismus“ wittert Gedeon mit dem Instinkt eines Großinquisitors hinter jedem gedanklichen oder politischen Schritt, der die moderne Welt mit ihrem säkularen Rechtsstaat und ihrer Demokratie, ihrer liberalen Marktwirtschaft und ihren freien, mündigen Bürgern aufzubauen geholfen hat. Für Gedeon sind all diese Errungenschaften der Moderne letztlich Folgen „individueller oder allgemein gesellschaftlicher Degeneration“, indem sie nämlich einen Rückfall hinter das „Christentum“, das er als „wesenhaft antijudaistisch“ begreift, in die überwundene Menschheitsphase des „Judentums“ darstellen.

Die von Descartes begründete neuzeitliche Philosophie nennt er beispielsweise „durchaus mehr eine judaistische denn eine christliche Veranstaltung“, der große Aufklärer Immanuel Kant ist für ihn ein „degenerierter Christ“, und überall im politischen Weltgeschehen sieht er „zionistische und freimaurerische Cliquen“ am Werk, die nicht weniger als die Weltherrschaft anstreben und denen buchstäblich jedes Mittel dazu recht ist. Mit einem Wort: Der Mann ist geradezu der Prototyp dessen, was man gemeinhin einen „antisemitischen Verschwörungstheoretiker“ nennt.
Daß diese Schmähvokabel hier nicht leichtfertig hingeschrieben ist, zeigt Wolfgang Gedeons Selbstbeschreibung als „Antizionist“ und Aufdecker von „Verschwörungspolitik“, die sich ihr bis auf Haaresbreite nähert. Ob wir darin eine kokette Provokation des Autors erkennen dürfen, mit der er seinen Lesern augenzwinkernd signalisiert, woran sie bei ihm sind, oder ob er tatsächlich an die zur eigenen Verteidigung vorgebrachte kategorische Unterscheidung zwischen „Antisemitismus“ (als rassistisch motivierte Judenfeindschaft) und „Antizionismus“ (als Gegnerschaft lediglich zu einer „nationalistischen Ideologie“) glaubt, wird nicht letztgültig zu ermitteln sein.

Es ist auch gar nicht entscheidend, denn ein erklärter „Antizionist“ ist ebenso ein Judenfeind, wie ein „Antisemit“ einer ist, und Herrn Gedeons spitzfindige Unterscheidungen, die er in seinen Texten übrigens keineswegs konsequent durchhält, werden keinen halbwegs klarsichtigen Menschen vom Gegenteil überzeugen.



Nun wagen wir – mit dem AfD-eigenen Mut zur Wahrheit – einmal ein Gedankenexperiment: Könnte es nicht sein, daß Gedeon recht hat und tatsächlich so etwas existiert wie eine zionistisch-freimaurerische Weltverschwörung? Was, wenn diese genau so funktioniert, wie von Herrn Gedeon beschrieben? Welche Möglichkeit hätten wir dann, der furchtbaren Wahrheit auf die Schliche zu kommen und vor allem – etwas dagegen zu unternehmen? Kann denn nicht alles, was jetzt gegen Wolfgang Gedeon in die Wege geleitet wird, gerade als Beweis für die Richtigkeit seiner Thesen gewertet werden?
Solche Überlegungen mögen gefährlich erscheinen, sind aber äußerst lehrreich, denn sie führen geradewegs in die finstersten Abgründe des Gedeonschen Verschwörungskosmos hinab. Wenn diese Expedition mit den nötigen moralischen und intellektuellen Sicherungsgurten durchgeführt wird, die die Rückkehr ans helle Licht der Vernunft gewährleisten, dann gibt es keinen besseren Weg, sich über die abstoßenden Konsequenzen der Gedeonschen Verschwörungslogik zu unterrichten.

Blicken wir also unter der hypothetischen Annahme einer zionistisch-freimaurerischen Weltverschwörung auf die berüchtigten „Protokolle der Weisen von Zion“, eine von der seriösen historischen Forschung als Fälschung klassifizierte antisemitische Hetzschrift, in der „die Juden“ ihre angeblichen Pläne zur Weltherrschaft in Worten wie diesen darlegen (zitiert nach Wolfgang Gedeon):
Mit der Presse in der Hand können wir verkehren Recht in Unrecht, Schmach in Ehre. Wir können erschüttern die Throne und trennen die Familien. Wir können untergraben den Glauben an alles, was unsere Feinde bisher hochgehalten. Wir können ruinieren den Kredit und erregen die Leidenschaften. Wir können machen Krieg und Frieden; und geben Ruhm oder Schmach. Wir können erheben das Talent oder es niederhetzen und verfolgen und zu Tode schweigen.
Der glühendste Antisemit hätte es auch nicht besser sagen können (mit anderen Worten: er hat es gesagt). Unter der hypothetisch eingenommenen verschwörungstheoretischen Verdachtsperspektive müssten wir auf die Frage „Sind sie echt?“ in etwa dies antworten:
Der arglose, naive und vertrauensselige Deutsche wird es bezweifeln. In der Geradheit seiner Seele kann er sich nicht vorstellen, daß soviel List, Tücke und Bosheit in Menschenhirnen wohnen könnte. Und doch sollten ihn die bitteren Erlebnisse der letzten Jahrzehnte anregen, seine Vorstellungen von allgemeiner Menschenliebe und Völkerverbrüderung einer gründlichen Nachprüfung zu unterziehen. Er wird den Gedanken zurückweisen, als ob es eine Verschwörung geben könnte, die mit allen Mitteln der List und Gewalt eine geistige und materielle Unterjochung der ganzen Menschheit erstrebt.
Dieses Zitat entstammt nicht Wolfgang Gedeons Buch über „Verschwörungspolitik“, sondern der Einleitung zu den „Protokollen“ aus dem Jahr 1931 von Theodor Fritsch, seines Zeichens Verfasser des „Antisemiten-Katechismus“ und Reichstagsabgeordneter der „Nationalsozialistischen Freiheitspartei“, einer Vorläuferpartei der NSDAP. Noch unmissverständlicher äußert sich NS-Chefideologe Alfred Rosenberg zu dem Thema:
Das 19. Jahrhundert bedeutet die Vorbereitung, das jetzige die fast gelungene Vollendung eines uralten jüdischen Strebens, das vom ‘Du sollst alle Völker fressen, die dein Gott dir geben wird’, herüberreicht bis in die Gegenwart. Instinkt, uralter Wüsteninstinkt wirkte hier mit, rassische Inzucht und eine Jahrtausende alte Erziehung, einen Plan durchzuführen, welcher in den ‘Protokollen der Weisen von Zion 1897 zu Basel niedergelegt wurde. Ihr Erscheinen hat Millionen von Europäern die Schleier von den Augen gerissen. Es ist Zeit, daß die Welt erwacht und den Zerstörern des völkischen Staatsgedankens ein für allemal das Handwerk legt.
Auf welche Weise den Juden „das Handwerk gelegt“ wurde, ist bekannt und muß hier nicht weiter ausgeführt werden. Es hat zur Hinrichtung Alfred Rosenbergs als NS- Kriegsverbrecher 1946 in Nürnberg geführt.

Wir dürfen voraussetzen, daß Wolfgang Gedeon die Wirkungsgeschichte der „Protokolle der Weisen von Zion“ als Rechtfertigungsdokument für die nationalsozialistischen Gräueltaten bekannt ist. Das hindert ihn nicht daran, in aller schein-objektiven Seelenruhe über die Frage ihrer Echtheit zu räsonieren und am Ende zu dem Schluß zu kommen, sie seien „zwar moralisch die unterste Schublade“, aber „intellektuell hochwertig, ja genial“. Schon darum könnten sie keine Fälschung des zaristischen Geheimdienstes sein; „mutmaßlich“ seien sie echt.
Was Gedeon seinen Gegnern – also im Grunde der gesamten Historiker-Fachwelt – vorwirft, nämlich in ideologischer Voreingenommenheit das Ergebnis der Untersuchung bereits vorauszusetzen, das trifft auf ihn selbst in höchstem Maße zu. Wie könnte ein bekennender „Antizionist“ auf einen so wesentlichen Baustein für sein Weltbild, wie die „Protokolle“ es darstellen, freiwillig verzichten? Er hat sich gegen kritische Einwände so weit immunisiert, daß diese ihm im Gegenteil nur immer neue Belege für die tatsächlich stattfindende Verschwörung liefern. Zum „Komplizen der Verschwörung“ macht sich in seinen Augen selbstverständlich auch der Schreiber dieses Artikels, indem er sich weigert, zwischen Antijudaismus, Antizionismus und Antisemitismus einen wesentlichen Unterschied zu machen.

Nicht nur wegen drohender Pervertierung der Parteivernunft ins heillos Ideologische hüte sich die AfD vor derartigen Verschwörungstheorien; noch schwerer wiegt die moralische Korruption, der man auf ihren krummen Pfaden unweigerlich erliegt. Anders als Adorno meinte, kann man nach Ausschwitz zwar irgendwann auch wieder Gedichte schreiben, nie wieder aber einen Satz wie diesen von Wolfgang Gedeon:
Wie der Islam der äußere Feind, so waren die talmudischen Ghetto-Juden der innere Feind des christlichen Abendlandes.
Dergleichen Sätze sind eben nicht mehr losgelöst von der Tatsache sag- und rezipierbar, daß die „talmudischen Ghetto-Juden“ Europas von den Nazis sämtlich ermordet wurden, sofern sie nicht rechtzeitig fliehen konnten. Das ist der springende Punkt, der Gedeons gesamte, auf „unvoreingenommene Prüfung der Tatsachen“ pochende Rechtfertigungsstrategie zum Einsturz bringt.
Eine unglückliche Formulierung kann jedem Autor einmal passieren. Bei Wolfgang Gedeon schimmert aber an zu vielen Stellen eine unheimliche Nähe zur finstersten Zeit deutscher Geschichte durch, als daß noch an eine absichtslose Häufung unglücklicher Zufälle zu glauben wäre. So bringt er es fertig, die heutige Abwesenheit eines „Führers“ – nicht etwa nur neutral von „Führung“ – zu beklagen und die Schuld daran niemand anderem als den Juden, pardon, den Zionisten in die Schuhe zu schieben. Mit Blick auf die „Weisen von Zion“ schreibt er:
Machttaktisch geht es also darum, die Völker, die man beherrschen will, führerlos zu machen. Wenn man sich heute umschaut, hat man hier schon viel erreicht. Die meisten Völker der westlichen Zivilisation kann man inzwischen als weitgehend führerlos bezeichnen. […] Im Zuge einer generellen Dämonisierung des Dritten Reiches hat man den Begriff des Führers insgesamt in Mißkredit gebracht, so daß „Führerlosigkeit“ inzwischen als angestrebtes Ideal einer modernen Demokratie gilt.
Wen die Obszönität solcher Aussagen nicht förmlich anspringt und mit Abscheu erfüllt, dem ist wohl auch durch weitere Argumente nicht mehr zu helfen. Hier schreibt sich jemand in Inhalt und Duktus so gut wie unverhüllt in die Tradition übelster antisemitischer Hetzliteratur von Houston Steward Chamberlain über Alfred Rosenberg bis hin zu Horst Mahler ein. Eine derartige Geisteshaltung hat in der Alternative für Deutschland als freiheitlicher, demokratischer und rechtsstaatlicher Partei nichts verloren. Wer sie vertreten will, dem stehen andere politische Angebote offen, die zumindest bisher nicht verboten sind.

Auch eine stolze patriotische Partei – ja gerade eine stolze patriotische Partei – darf keinen Zweifel daran aufkommen lassen, daß sie zur Verantwortung Deutschlands für seine gesamte Geschichte – im Guten wie im Bösen – steht. Daß die AfD die deutsche Erinnerungskultur über die Zeit des Nationalsozialismus hinaus erweitern will und eine zum „Schuldkult“ überhöhte Fixierung auf den Holocaust ablehnt, heißt dezidiert nicht, daß sie es tolerieren darf, wenn in ihren Reihen die Verbrechen des Nazi-Regimes relativiert, verharmlost oder gar verklausuliert gerechtfertigt werden.
Mit diesen Verbrechen wurde eine Schicksalsgemeinschaft zwischen dem deutschen und dem jüdischen Volk besiegelt, die von deutscher Seite mit höchster Sensibilität und moralischem Taktgefühl zu behandeln ist. Wenn man sich gegen gewisse Instrumentalisierungen des Holocaust durch einheimische politische Akteure zur Wehr setzen muß, dann gerade auch deshalb, weil diese in heuchlerisch moralisierender Weise das erwähnte Taktgefühl und damit den Respekt vor den Opfern vermissen lassen.

Es steht mit dem Fall Gedeon nicht weniger auf dem Spiel als die Glaubwürdigkeit der AfD als bürgerliche Alternative zu den austauschbar gewordenen, Deutschland immer mehr zum Unheil gereichenden Altparteien.

Wenn die Partei es zuläßt, daß das deklariert antijudaistische, vulgo antisemitische, Weltbild eines Wolfgang Gedeon Teil ihres akzeptierten Meinungsspektrums wird, dann wird sich das Gift der Judenfeindschaft durch all ihre Positionen untergründig hindurchfressen.
Nie wieder wird sie dann die leiseste Kritik an der Siedlungspolitik Israels, an der Machtpolitik der USA oder an den schädlichen Wirkungen des internationalen Finanzkapitals äußern können, ohne sofort und aufs Heftigste antisemitischer Hintergedanken bezichtigt zu werden – und zwar in diesem Falle auch zurecht!

Undenkbar, gewisse grundgesetzwidrige Erscheinungsformen des Islams in Deutschland noch glaubhaft in die Schranken zu weisen mit einem Wolfgang Gedeon im Hintergrund, der den Islam in engste Verbindung zum „Judaismus“ bringt und im Kampf gegen beide die große Kontinuität abendländischer Geschichte sieht.
Vor diesem Hintergrund besteht kein Zweifel: AfD-Fraktionschef und Bundessprecher Jörg Meuthen ist nicht über irgendein „Stöckchen“ gesprungen, das der politische Gegner ihm hinhielt, als er seinen Verbleib in der Landtagsfraktion an die Bedingung knüpfte, daß Wolfgang Gedeon sie verläßt. Vielmehr hat er nach den ureigensten Grundsätzen und Werten der Partei gehandelt und den einzig möglichen Schritt getan, der ihm nach Kenntnisnahme der Sachlage noch offen stand.
In einer solchen Situation dem politischen Gegner den billigen, illusionären Triumph zu lassen, er habe einen Sieg errungen, ist kein Zeichen von Schwäche, sondern im Gegenteil von Souveränität einer Partei. Wir selbst wissen: Wir sind uns treu geblieben.
———————–
Dr. Marc Jongen, Jahrgang 1968, ist stellvertretender Sprecher der AfD Baden-Württemberg und promovierter Philosoph.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.