Stationen

Donnerstag, 21. Juli 2016

Beschlüsse ohne Plan - Wehrlosigkeit

Der 1947 in Tel Aviv geborene Michael Wolffsohn entstammt einer jüdischen Familie, die 1939 aus Deutschland nach Palästina fliehen musste. Von 1981 bis 2012 war er Professor für Neuere Geschichte an der Universität der Bundeswehr München. Kürzlich ist sein Buch „Zivilcourage – Wie der Staat seine Bürger im Stich lässt“ erschienen. Die Fragen stellte Bernd Kallina.

PAZ:
In Ihrem neuen Buch gehen Sie mit dem so positiv besetzten Begriff „Zivilcourage“ und seinem Verhältnis zum „Staat“ streng ins Gericht. Was haben Sie gegen „Zivilcourage“?
Wolffsohn: Nichts! Ich habe gar nichts gegen Zivilcourage. Aber selbst die beste Zivilcourage, welche eine Tugend ist, kann den Staat nicht aus seiner Pflicht entlassen, für die Sicherheit der Bürger zu sorgen. Der Knack­punkt, auf den ich ziele, ist ja folgender: Wenn der Staat sagt, Ihr müsst mehr Zivilcourage zeigen, heißt das im Grunde genommen, wir sind nicht in der Lage, Euch zu schützen. Und genau aus dieser Pflicht kann und will ich den Staat nicht entlassen, denn dann brauchen wir keinen Staat mehr.

PAZ: Das heißt, dass es letzt­endlich in der staatspolitischen Handlungsweise nicht primär auf die gute Absicht der zu Zivilcourage aufrufenden Akteure ankommt, sondern auf das, was Helmut Kohl in seiner pfälzischen Volkstümlichkeit einmal so bezeichnet hat: „Was hinten rauskommt.“
Wolffsohn: So kann man das sehen. Aber, zunächst einmal muss man die Frage stellen, warum kommt hinten nichts raus, oder zu wenig, in Bezug auf unsere Sicherheit. Das Phänomen der zunehmenden Gewalt als ein gesamtgesellschaftliches Merkmal ist ja unbestreitbar.

PAZ:
Und Ihre Erklärung für die zunehmende Gewalt?
Wolffsohn: Einmal historisch gesehen. Da sticht ins Auge, dass in Deutschland und Westeuropa nach dem Zweiten Weltkrieg sich die Akzentuierung vom „Wir“ auf das „Ich“ verlagert hat. Verständlicherweise, denn das „Wir“ ist in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vielfältig missbraucht worden, in Deutschland insbesondere vom Nationalsozialismus. Daraus ist dann für die Mehrheit die bedenkliche Schlussfolgerung gezogen worden: Ich bin „ich“ und das „wir“ zählt nichts. Das ist ein riesiges Problem für die Makrosteuerung, sprich die Steuerung in einem Staat. Zweitens ist aufgrund der durchaus erfreulichen Vielschichtigkeit der Gesellschaft die Identifikation mit der Gesellschaft viel schwieriger geworden. Die Gesellschaft besteht heute aus der Addition von Individuen ohne Identifikation. Das aber bedeutet, dass die Konsensfindung außerordentliche Mühen kostet. Die Akzentuierung auf Sicherheit ist aus den genannten Gründen politisch kaum durchsetzbar, weil nicht mehrheitsfähig. Also wurden die Sicherheitsmaßnahmen in unverantwortlicher Weise nach innen und außen zurück­gefahren, dafür aber verstärkt zu mehr „Zivilcourage“ der Bevölkerung aufgerufen.

PAZ:
So zum Beispiel beim „Aufstand der Anständigen“. oder im „Kampf gegen Rechts“. Trotz dieser primär symbolpolitischen Aktivitäten steigt die Zahl rechtsextremer Straftaten und somit ist doch das Ziel-Mittel-Verhältnis unstimmig, oder?
Wolffsohn: Das ist richtig. Aber es gibt ja nicht nur ein Ansteigen des Rechtsextremismus, welcher höchst bedauerlich ist, es gibt auch ein Ansteigen linksextremistischer Straftaten. Das bemerkenswerte dabei ist, dass beide Extremismen ungewichtig thematisiert werden: Wenn Sie beispielsweise den letzten Verfassungsschutzbericht nehmen, wo zu recht, objektivierbar und beängstigend, der Anstieg rechtsextremistischer Gewalttaten genannt worden ist. Aber, die Zahl der linksextremistischen Gewalttaten ist noch viel höher. Über die wird allerdings weniger geredet. Das heißt, wir haben eine asymmetrische Dis­kussion aus Gründen, die bekannt sind.

PAZ: Welche Gründe sind das denn?
Wolffsohn: Rechtsextremismus  wird natürlich und zu recht mit dem mörderischen und verbrecherischen Nationalsozialismus gleichgesetzt. Der Linksextremismus dagegen hat sozusagen die Gnade der idealistischen Geburt in der Entstehungsphase der Arbeiterbewegung, die ja ganz zweifellos humanistisch motiviert war. Aber, um die Menschheit zu retten, wurden Millionen von Menschen im real existierenden Sozialismus ermordet und wir haben also hier eine bemerkenswerte, aber wirksame Diskrepanz zwischen Wirklichkeit und Wahrnehmung vom ursprünglich durchaus idealistischen sozialistisch-linken Anspruch und der linksextremen Wirklichkeit.

PAZ: Sie erinnern in Ihrem Buch an die „Aussichten auf den Bürgerkrieg“ von Hans Magnus Enzensberger auf dem Jahre 1993. Durch welche Unterlassungen unserer Funktions-Eliten sind wir dem Bürgerkrieg inzwischen näher gekommen?
Wolffsohn: Durch die nicht ausreichende Durchsetzung der hier vorhandenen Alltagsregeln, sprich Gesetze. Es geht hierbei nicht um Ideologien, fremd oder nicht fremd, sondern um die jahrzehntelange Vernachlässigung der Durchsetzung des Rechtes und der Regeln in unserem Land, aber auch in Europa. Denken Sie an die französischen Vorstädte, an die berühmt-berüchtigten Banlieues oder an die Unerfreulichkeiten in den neuen Bundesländern, Stichwort „Befreite Zonen“. Es gibt in Deutschland immer mehr Gebiete, in welche sich die Polizei schon aus Gründen des Selbstschutzes nicht mehr hineintraut, sogenannte No-Go-Areas. Und wenn man sich die gewachsene Zahl lesenswerter Bücher frustrierter Polizisten und Polizistinnen vor Augen hält….

PAZ: Sie denken an das Buch von Tania Kambouri „Deutschland im Blaulicht – Notruf einer Polizistin“?
Wolffsohn: Wer das Buch dieser griechisch-stämmigen Polizistin gelesen hat, weiß, was Sache ist. Also: Wenn der Staat von sich aus auf sein Gewaltmonopol gegen wen auch immer und vielleicht auch in bester Absicht verzichtet, kann man sich nicht wundern, dass Individuen und Gruppen das „Recht“ selbst in die Hand nehmen. Damit befindet sich aber die Gesellschaft auf dem Weg in den Bürgerkrieg.

PAZ: Was fordern Sie als Konsequenz, um den Gefahren präventiv zu begegnen?
Wolffsohn:
Zunächst einmal die Schärfung des Sicherheitsbedürfnisses im gesellschaftlichen Bewusstsein, welches dann auch bei Wahlen diejenigen Parteien stärkt, die etwa für die innere Sicherheit mehr tun wollen. Die ist ja lange Zeit vernachlässigt worden von den meisten demokratischen Parteien. Als einzige Ausnahme nenne ich die CSU in Bayern, wo es ja auch eine deutlich geringere Kriminalität gibt und was ein positives Beispiel darstellt. Zweitens: In einer Gesellschaft, in der Polizisten nicht mehr als „Dein Freund und Helfer“ gelten, sondern als „Bullen und Schweine“ beschimpft werden, kann man sich doch nicht wundern, dass dann diese vermeintlichen Bullen und Schweine, deren Stellenzahlen auch noch erheblich abgebaut wurden, nicht mehr in der Lage sind, in No-Go-Areas für Recht und Ordnung zu sorgen. Oder aus dem Ruder gelaufene Demonstrationen zu befrieden und gegen extremistische Täter vorzugehen.

PAZ: Sie schildern jetzt wohl die politischen Spätfolgen des Ungeistes der 68er Generation, die ja heute im rot-grünen Parteienfeld die Macht in den Händen hat?
Wolffsohn: In der Tat. Viele dieser 68er-Unsinnigkeiten haben als Ursache eine verengte Sicht auf das staatliche Gewaltmonopol, weil es in Deutschland einmal zum dramatischen Missbrauch des Kollektivs geführt hat. Daraus hat sich ein so grundlegendes Misstrauen gegenüber dem Staat an sich entwickelt, das bis heute nicht überwunden ist. Obwohl der Staat nach dem Zweiten Weltkrieg erwiesenermaßen bei allen Defiziten stets demokratisch legitimiert und human motiviert war. Mein Buch soll dazu beitragen, dass sich dramatische Fehlentwick­lungen im Sicherheitsbereich rechtzeitig korrigieren mögen!  PAZ

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