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Freitag, 15. Juli 2016

Cogitat ergo est

Unisono verurteilten die deutschen Leitmedien die Gründung der Stiftung „Dialogue of Civilizations“ (DOC) in Berlin als Instrument russischer Propaganda und Putins Hybridkriegs. Der Putin-Vertraute und Gründer des Instituts, Wladimir Jakunin, gibt sich selbstbewusst, indem er offen einräumt, ein Gegengewicht zur Mainstream-Ideologie bilden zu wollen. Unterstützung erhält er in Deutschland von SPD-nahen Stiftungen.

Als am 1. Juli im Berliner Humboldt-Carré die Gründungsveranstaltung des Forschungsinsituts „Dialog der Zivilisationen“ (zu Deutsch) stattfand, wohnten ihr neben dem ehemaligen brandenburgischen Ministerpräsidenten Matthias Platzeck, Vorsitzender des Deutsch-Russischen Forums, auch der ehemalige Kanzleramtschef Ronald Pofalla, Vorsitzender des Petersburger Dialogs sowie Hans-Friedrich von Ploetz, ehemaliger deutscher Botschafter in Moskau, und General a.D. Harald Kujat, Ex-Vorsitzender des Nato-Militärausschusses sowie Viktor Subkow, ehemaliger russischer Ministerpräsident bei. Zu den Gästen zählte auch Ex-BND-Präsident August Hanning, Ex-Bahnchef Hartmut Mehdorn sowie weitere bekannte Persönlichkeiten aus Politik und Wissenschaft.
„FAZ“, „Welt“ und „Tagesspiegel“ übertrafen sich gegenseitig in Anschuldigungen gegen Moskau. Eine „Potjomkinsche Denkfabrik“ nannte der „Tagesspiegel“ den DOC, die Blätter unsterstellten dem Forschungsinstitut, nur der verlängerte Arm des Kreml zu sein, um dessen Propagandakrieg auf deutschem Boden weiterzuführen. Mit der Gründung einer Denkfabrik im innerhalb der EU zentral gelegenen Berlin und mit Deutschland als einem der gewichtigsten EU-Länder wolle Russland die Meinung im Westen drehen. Der Zeitpunkt sei zudem günstig gewählt: Wegen der Asylkrise und islamistischem Terror misstrauten viele Bürger der Politik. EU-Skepsis und  Anti-Amerikanismus finde in Deutschland zahlreiche Anhänger, besonders bei Wählern der AfD und der „Linken“. Sie sowie Teile der SPD zählten zu den Verbündeten der russischen Denkfabrik.
Die „FAZ“ mokiert sich darüber, dass das Stiftungspersonal vor allem aus älteren Männern bestehe, die nur noch wenig Einfluss hätten, Jakunin (68) selbst eingeschlossen. Die Organisation wolle innerhalb der nächsten fünf Jahre zu den führenden 20 der internationalen Thinktanks gehören. Co-Gründer Walter Schwimmer (74), von 1999–2004 Generalsektretär des Europarats, führt seit vielen Jahren die Stiftungsgeschäfte vom bisherigen Sitz in Wien aus. Peter W. Schulze (73), Lehrbeauftragter an der Universität Göttingen, leitete von 1992 bis 2003 das Auslandsbüro der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung in Moskau. Kollegen sollen ihm einen tiefsitzenden Anti-Amerikanismus bescheinigen. Der EU-kritische ehemalige tschechische Präsident Vaclav Klaus (75) sitzt im Aufsichtsrat. Kujat (74) sieht eine Möglichkeit, dass der DOC „in einer offenen Gesellschaft zur Meinungsbildung beitragen kann“.

Nicht ohne Häme berichten die Medien darüber, dass Jakunin eine Headhunter-Firma beauftragt haben soll, die nach Personal für die Stiftung sucht. Allerdings habe es bislang nur Absagen gehagelt. Im Humboldt Carré kündigte Jakunin an, Direktor seines Instituts werde kein Europäer, sondern eine Person aus der Dritten Welt. Den Namen nannte er jedoch nicht.
Was hat es mit Jakunin auf sich, dass die Leitmedien ihm mit soviel Antipathie begegnen?

Zunächst werfen sie ihm sein enges Verhältnis zu Putin vor sowie seine langjährige Geheimdiensttätigkeit (zur Person siehe Seite 24 der aktuellen PAZ). Deshalb vertrete er die Kreml-Ideologie, wie Putin sie nach seiner Rückkehr als Präsident eingeführt habe. Jakunin setze sich für die Staatsideologie und einen imperialen russischen Nationalismus ein. Sorge bereitet den Stiftungsgegnern zudem, dass Berlin Hauptquartier für ein weltweites Netz russischer Denkfabriken werden solle.
Laut eigenen Angaben will der DOC  Vordenker aus aller Welt zusammenbringen: Akademiker, Politker, Geschäftsleute, Mitglieder der Zivilgesellschaft. Sie sollen originäre Forschung betreiben, zu Seminaren, Diskussionen, Runden Tischen und Konferenzen zusammenkommen.
Jakunin macht keinen Hehl daraus, dass er das US-Meinungsmonopol in internationalen Fragen brechen will. In einem Interview mit „Die Presse“ wurde Jakunin deutlich: „Wir haben im Moment nur eine einzige Wahrheitsquelle, und die sitzt in Washington. Diese Mainstream-Ideologie besteht darin, eine klare Trennung in Gute und Schlechte vorzunehmen. Uns geht es darum, westliche und russische Gelehrte zusammenzubringen, um neue Bande zu knüpfen ... weil das Korrektiv fehlt.“

Zum fehlenden Korrektiv in Russland selbst befragt, sagte er: „Es stimmt, ich sehe keine wirkliche intellektuelle Opposition zu Putin in Russland. Das Problem ist: Wir haben keine Teilung zwischen der Regierungspartei und irgendeiner Opposition ...“ Die Denkfabrik DOC beschäftige sich mit den Ursachen von Spannungen und suche Konfliktlösungsmöglichkeiten. Um diese Ziele zu erreichen, werde die Zusammenarbeit mit verschiedenen internationalen Experten angestrebt. Menschen sollten miteinander in Dialog treten, um Lösungen in Konfliktsitutationen zu finden.
So oder ähnlich werden die Statuten jeder Nichtregierungsorganisation (NGO) lauten, als die sich auch der DOC versteht. Jakunin leugnet jede Beteiligung des russischen Staates. Die Stiftung finanziere sich durch Spenden.

Im Interview verriet Jakunin doch ein politisches Interesse. Es gebe bereits Absprachen mit China, dass der DOC auch dort agieren wird, nicht zuletzt, um ein Gegengewicht zu US-amerikanischen Interessen im Pazifischen Ozean zu bilden.
Im Hinblick auf die geostrategischen Interessen der russischen Denkfabrik mag die Kritik berechtigt sein. Doch der Geostratege Jakunin – als der er sich auch als Bahnchef gesehen hatte – verfolgt ein größeres Ziel, nämlich den gemeinsamen „Kampf gegen die Barbarei“. Gemeint ist der Russlands, des Irans, Syriens, Israels, der EU und der USA gegen den ISManuela Rosenthal-Kappi

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