Stationen

Donnerstag, 21. Juli 2016

Das morphische Feld

Als am 10. Mai im bayrischen Gräfing ein Mann unter „Allahu Akbar“-Rufen drei Menschen mit einem Messer schwer verletzt und einen weiteren tötet, wird sich in der Presse recht schnell darauf geeinigt, dass der 27-jährige „psychsich krank“ gewesen sei. Mit dem Islam, so die implizite Folgerung, hat das nichts zu tun.
Auch als vor wenigen Wochen in Orlando ein Schwerbewaffneter einen Schwulenclub stürmt und 49 Menschen ermordet und die gleiche Anzahl nochmals schwer verletzt, wird bei der Ursachenforschung in den Vordergrund gerückt, dass der Täter selbst einer gewissen Neigung zu eben diesem Schwulenclub frönte und andere ermordete, weil er mit seinem eigenen Schwulsein nicht klarkam. Auch hier vermischen sich privates Leid und Liebe zum IS zu einer eher uneindeutigen Motivlage.
Vor wenigen Tagen nun plant ein ebenfalls mutmaßlich psychisch labiler Mann einen Massenmord mit einem Schwerlaster und ermordet daraufhin 84 Menschen und verletzt mehr als 300. Dass er Alkohol getrunken, seine Frau misshandelt und überhaupt zur Gewalttätigkeit geneigt habe, gilt nun als Ausweis seiner Labilität. Mit dem Islam hat auch dieser Massenmord, wenn überhaupt, nur am Rande zu tun.
Als gestern nun ein mutmaßlich 17jähriger Afghane in einem Regionalzug nach Würzburg unter „Allahu-Akbar“-Rufen eine Axt schwingt und vier Menschen schwer verletzt, bleibt auch hier die Motivlage erst einmal unklar. Bitte keine voreiligen Schlüsse. Bitte keine Mutmaßungen. Gehen Sie einfach weiter!
Der Schutz vor voreiligen Schlüssen scheint eine der Hauptaufgaben des Journalismus geworden zu sein.


Überall Sprach- und Denkbarrieren, um ja das große Projekt der Kanzlerin nicht zu gefährden. So wurde in den Redaktionsstuben beschlossen, dass dem Islamischen Staat ein „sogenannter“ vorgestellt wird. Der Grund: zum einen ist der IS gar kein richtiger Staat mit Präsident, Kanzler und offenen Grenzen. Und zum anderen nennt er sich ja nur islamisch, ohne es wirklich zu sein. Denn was islamisch richtig ist, entscheiden neuerdings unsere Medienvertreter.
So wie es für einen echten islamischen Staat ein paar Qualitätskriterien zu beachten gilt, so gelten auch bei einem islamischen Anschlag ein paar Standards, die nicht aufgeweicht werden dürfen.

Ein waschechter Islamist trinkt selbstverständlich keinen Alkohol und schlägt seine Frau nur im Ausnahmefall. Auch Schwulsein gilt unter Islamisten als nicht halal und mit einem psychischen Defekt ist man aus der Schar islamischer Gotteskrieger automatisch ausgeschlossen. So steht es im Koran.
Das subkutan wirkende Narrativ lautet also folgendermaßen:
ein Islamist muss bei bester geistiger Gesundheit und überhaupt ein ehrenwerter Mensch sein. Denn nur ein gesunder und ehrlicher Massenmörder kann die Argumente, die für ihn sprechen, auch ins rechte Licht rücken: schwere Kindheit, böse Umwelt, Diskriminierung, Rassismus, Dritte-Welt-Armut. Ein psychischer Defekt könnte diesen zweifelsohne gerechtfertigten Anklagen „gegen uns“ die Spitze nehmen, denn die Argumente, die ein Islamist etwas ungestüm vorzutragen sich bemüßigt fühlt, sind doch durchaus bedenkenswert.
Weiterhin muss ein Islamist ein gottgefälliges Leben führen: kein Schweinefleisch, kein Alkohol, kein Schwulsein. Spricht einer dem Alkohol zu und besitzt eine Neigung zu Darkrooms, kämpft er mit seinen eigenen Dämonen und nicht für den IS. Da gelten andere Maßstäbe und Massenmord wird dann unter individuelle Verfehlungen einsortiert.
Wichtig bei einem Islamisten ist auch das Gruppenverhalten. Es muss einen Führer geben, einen Führerbefehl und ein Hauptquartier, sonst kann der deutsche Medienschaffende damit nichts anfangen. Einzelgängertum gilt als Ausweis von Individualität und könnte dem Bild des Islamisten als Opfer der Umstände schweren Schaden zufügen. Wo der Mitgliedsausweis des IS fehlt, muss die Motivlage leider unklar bleiben.

Aber jetzt mal im Ernst, liebe Medienschaffende: zwischen einem Islamisten, der auf persönlichen Befehl von Baghdadi handelt, und einer psycho-pathologischen Persönlichkeit, die ihrem jämmerlichen Dasein versucht einen Sinn zu verleihen, indem sie sich auf den IS beruft, besteht gar kein Widerspruch. Ein Massenmörder ist ein Wahnsinniger. Punkt. Er ist vom Bösen besessen und die einzige Frage, die von Interesse ist, lautet: hat sich die Besessenheit seiner im Affekt bemächtigt oder war sie ein schleichender Prozess?
Und auch wenn ihr aus der Tradition der Ulrike-Meinhof-Rechtfertiger kommt und hinter jedem Mörder einen aufrechten Rebellen oder ein gedemütigtes Kind sehen wollt: es gibt keine Rechtfertigung für Mord. Präziser: es gibt noch nicht einmal eine Erklärung für Mord, weil die Besessenheit vom Bösen sich unserer Vernunft und unseres ökonomischen Denkens von Ursache und Wirkung entzieht.

Und jetzt müsst Ihr ganz stark sein: mit all diesen Morden die letzten Tage und Wochen hat selbstverständlich der Islam zu tun. Er ist der Grund für die schleichende Überwältigung durch das Böse. So wie Auschwitz auch mit der menschenverachtenden Rassenideologie der Nazis zu tun hatte. Nicht weil Mengele & Co die überzeugtesten Rasseideologen waren, sondern weil sie die Ideologie nutzen konnten, um ihrer Menschenverachtung, ihrem Gottspielen und ihrer Mordlust nachgehen zu können. Nennt Mengele keinen Nazi und ihr könnt aufhören, die Massenmörder im Namen der friedlichen Religion Islamisten zu nennen. Aber das traut selbst Ihr euch noch nicht.

Was der Islam geschafft hat: dass sich über bestimmte Bevölkerungsgruppen eine Ideenglocke - parawissenschaftlich: ein morphisches Feld - gestülpt hat, die den Zugang zum Hass und zur Verachtung, die von weiten Teilen des Islams gepredigt werden, ungemein erleichtert. Das beginnt mit dem Wunsch, aus seiner eigenen unsäglich unwichtigen und langweiligen Verliererexistenz ausbrechen zu wollen, wird befeuert von der Aussicht auf das Ausleben seines sexuellen Sadismus‘, der Geilheit auf Machtausübung und körperliche Raserei und endet noch lange nicht bei der masochistischen Lust an der Unterwerfung. Diese Gemengelage, die eine zivilisierte Gesellschaft einfach nicht zu bieten hat, wird vom Islam befeuert. Denn so lebte es sich in vorzivilisierten Zeiten, wie es der Koran beschreibt. Und der gilt bekanntlich als heilig und ewig.

Jetzt so zu tun, als wären die Morde der letzten Tage und Wochen tragische Zufälle und individuelle Verfehlungen, ist leider billig und für jeden denkenden Menschen eine intellektuelle Beleidigung. So wie eine Kreissäge nur funktioniert, wenn man den Tank mit Benzin füllt, so funktioniert ein islamistischer Terrorist nur, wenn er genug Islam getankt hat. Das mag der falsche Islam sein, aber das muss den Medien, die darüber berichten, schnurzpiepe sein. Denn die Frage, was der richtige und der falsche Islam ist, gehört auf die Religionsseiten des Feuilleton, nicht in den Politikteil.
So wie im Islam das einfach gesprochene Glaubensbekenntnis als Zugehörigkeit gilt, so gilt beim IS das einfach ausgerufene Bekenntnis, in eben dessen Namen zu morden. Zum Soldaten des IS wird man nicht, wenn man sich dem IS anschließt, nach Raqqa reist und sich mit Mitgliedsausweis registrieren lässt, sondern wenn man im Namen des IS mordet und totschlägt. Dabei ist es völlig egal, ob man anerkannt psychisch krank ist, einfach nur so einen Hau hat oder unauffälliger Student der Elektrowissenschaften ist. Man ist IS, wenn man in seinem Namen mordet. Und dieses Versprechen gilt weltweit und jederzeit: töte möglichst viele, möglichst barbarisch und dir gebühren „15 minutes of islamic fame“. So wird aus einem kläglichen Leben und einem zerfetzten Tod posthum noch ein Märtyrerdasein.
Das morphische Feld des Islam wächst nicht zuletzt, weil die Gutmeinenden die Nennung des Islam als Brandbeschleuniger dieser Morde tabuisieren. Angst vor dem Islam erhöht seine Attraktivität ungemein.

Die Wucht, die von der Barbarei ausgeht, und der ungeheure Reiz am archaisch-brutalen Leben sind DAS Gegenmodell zur freien und das Individuum fordernden Zivilisation. Und wenn jetzt über den Massenmörder von Nizza und den Attentäter von Würzburg etwas ungläubig berichtet wird, dass sich beide „selbst radikalisiert“ hätten, dann ist das ein entscheidender Hinweis für eine neue Phase des Krieges und mitnichten ein Grund zur Entwarnung. Der IS benötigt keine Strukturen mehr, weil sein morphisches Feld, sein zersetzender Einfluss auf die vielen kranken Hirne groß genug geworden ist.
Und bitte, hört auf zu behaupten, wir müssten uns an den islamistischen Terror gewöhnen. Nach den NSU-Morden hat auch niemand behauptet, dass wir uns an rechte Morde zu gewöhnen haben. Wieso bloß geht euch diese Behauptung inzwischen so leicht über die Lippen?   Markus Vahlefeld

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