Stationen

Sonntag, 31. Juli 2016

Der grauen Muse widerstehend

Martin Mosebach ist eine erratische Erscheinung im deutschen Kulturbetrieb. Zum Beispiel war er nie links. Nie hat er „die Gesellschaft“ für irgend etwas verantwortlich gemacht, nicht einmal für die maue Tantiemensituation seiner literarischen Anfangsjahre – beziehungsweise, wenn man es ganz genau nimmt, sogar Anfangsjahrzehnte. Der damalige Jura-Student blickt nicht auf eine bewegte Vergangenheit beim AStA und in der K-Gruppe zurück. Obwohl der 68er-Generation quasi angehörig – „Einer Generation anzugehören ist eine Entscheidung niedriger Seelen“, notierte Mosebachs Hausheiliger Nicólas Gómez Dávila –, hinderte ihn sein Distinktionsbedürfnis, bei dem geistlosen Destruktionstheater mitzutun.

Schwer vorstellbar, einen Martin Mosebach untergehakt mit Ulrike Meinhof links und Dany le Rouge rechts „Ho-ho-ho-Tschi-Minh“ skandierend auf der Straße zu sehen. Ich male mir aus, wie er stattdessen lieber seine Technik beim Binden des Krawattenknotens verfeinerte und Edward Gibbon, Joseph de Maistre oder eben Gómez Dávila gelesen hat. Wobei diese Namen hier nur als pars pro toto angeführt seien; der Mann ist eine wandelnde Bibliothek. Übrigens nicht nur das, auch Pinakothek. Sogar Vinothek. Und einmal unter uns dunkeldeutschen Betschwestern gefragt: Was sind auf der Waage der Themis sämtliche Publikationen der 68er gegen eine gut gebundene Krawatte?
Mosebach ist ein kultivierter, manierlicher, weitgereister, extrem gebildeter Herr, den man an jeder Tafel neben jeden beliebigen Präsidenten, Potentaten aber auch Proleten platzieren kann, ohne sich als Gastgeber um den Konversationsverlauf sorgen zu müssen; der Nachbar wird sich bestens unterhalten – und, sofern er über ein Organ dafür verfügt, womöglich ein bißchen ungebildet – fühlen.
„Le style c’est l’homme“, sagte Georges-Louis Leclerc, Comte de Buffon, 1753 in seiner Antrittsrede vor der französischen Akademie, und wenn diese Sentenz in der deutschen Literaturszene der eher stilabholden Gegenwart auf jemanden zutrifft, dann auf den Frankfurter Romancier, Essayisten, Causeur und Katholiken, der allein dadurch, daß er Sofa oder Telefon bisweilen mit ph schreibt, Saint-Just für einen Vorläufer Himmlers hält, ständig mit Einstecktuch herumläuft und die alte katholische Messe wiederherstellen will, einige Proleten des Kulturbetriebs mit drolliger Verläßlichkeit auf die Palme bringt.

„Jeder gute Autor ist eine Insel“, hat Mosebach in einem Interview gesagt, und das meint eben: nicht Diskurs, nicht Gruppe, nicht Klüngel, nicht anschlußfähig. „I am a rock, I am an island. I have my books, and my poetry to protect me“, sangen Simon & Garfunkel ganz antizyklisch während der K-Gruppen-Zeit, und wenigstens der Frankfurter Arztsohn nahm die Barden beim Wort.

Natürlich ist da ein Haken an der ganzen in sich ruhenden Kultiviertheit, dieser Mann ist in Wirklichkeit ein Getriebener, ein Besessener, der schreiben muß, um überhaupt leben zu können. Das verrät ein Blick auf seine Manuskripte: handgeschrieben in der Erstfassung, die Blätter randlos bedeckt mit kleinen, sich kräuselnden, regelmäßigen Buchstabenkolonnen, denen eine gewisse Gehetztheit innewohnt (aber vielleicht täusche ich mich auch, und diese reliefartigen Zeilen entstehen in göttlicher Gleichmut).

Mosebach schreibt seine Romane bevorzugt im Ausland und oft sozusagen kontradiktorisch zum Handlungsort; so entstand das in Deutschland und Indien spielende „Beben“ in Kairo, und seinen Frankfurt-Roman „Westend“ brachte er auf Capri zu Papier. Dieses Nachkriegsepos ist übrigens wahrscheinlich sein literarisches Hauptwerk, es ist erzähllogisch kühn, befriedigt ästhetisch vollständig und ersetzt ganze mentalitätsgeschichtliche Seminare. Zugleich ist es ein belletristischer Essay zum Thema, wie die deutschen Städte so häßlich werden konnten, warum der Wiederaufbau zerstörerischer war als der Bombenterror.

Apropos: Als Essayist ist Mosebach mindestens ebenso bedeutend wie als Romanschriftsteller. Mindestens? Mindestens. Hier enthüllt sich, und zwar immer nur wie nebenbei, seine staunenswerte Bildung, hier herrscht eine hohe, prachtvolle, spätblütenartige, aber niemals eitle, immer skeptische Individualität, die genau weiß, daß sie in die Gegenwart nur mehr noch hineinragt, daß längst ein anderes Decorum gilt, daß ein neuer Menschentyp mehr wimmelt denn waltet, der sich von seiner Herkunft abgenabelt hat und dem es völlig gleichgültig, ja willkommen ist, wenn die Welt mit Beton, Fast food, Pornographie, Plastik, Elektronik-Tinnef und gleichmacherischen Diversity-Parolen zugemüllt wird.
Nichts verbindet diesen Menschenschlag mehr mit der Vergangenheit. Man könne meinen, schreibt Mosebach, das geschwundene Interesse an Geschichte habe „mit einem dunklen, bisher, wie mir scheint, selten artikulierten Gefühl zu tun, daß uns die Kenntnis unserer Vergangenheit für die Zukunft nichts mehr zu lehren vermag“. Er spricht von einem „unheilbaren Bruch“, der „mit dem Anfang einer von dem uns Vertrauten gänzlich unterschiedenen Zivilisation einhergeht“.
Wer diesem Prozeß nicht applaudiert, gilt als Spielverderber und Reaktionär, ein Titel, den sich Mosebach gleich neben dem Einstecktuch ans Revers geheftet hat und deutlich sichtbar umherträgt. „Gegenwärtig ist nichts so verpönt wie Skepsis gegenüber unserer Lebensform. Jede Erinnerung an die Verluste, die sie gekostet hat, wird als Sentimentalität und Nostalgie gebrandmarkt; die Erforschung dessen, was wir sind, woher wir kommen, welche Gesetze unsere Städte geformt haben, steht unter dem Verdacht übelster Reaktion“, schreibt er.
Die in dieser an Borniertheit nicht mehr zu überbietende Selbstzufriedenheit wird inzwischen von wohlbegründeter Zukunftsangst unterwandert, die aber nicht die Revision des eigenen Standpunktes zur Folge hat, sondern ein verkrampftes Festhalten am Status quo.
Da ein Literat daran wenig ändern kann, reist der polyglotte Dichter weiter in die Winkel der Welt und schreibt. Sein neuer Roman ist soeben fertig geworden. Am 31. Juli feiert Martin Mosebach seinen 65. Geburtstag.   JF

Als PS noch eine meiner Lieblingsstellen aus einem Mosebach'schen Essay: „Ob ein Volk ein Kulturvolk ist, entscheidet sich daran, wie viele kulturelle Fähigkeiten die Armen dieses Volkes besitzen: wie viele Kenntnisse, das Leben kultisch in Form zu bringen. Solche Fähigkeiten sind zum Beispiel: einen Gast empfangen, ein Essen auf den Tisch stellen, ein Huhn tranchieren, die Messe dienen, wissen, in welcher Kleidung man eine Kirche betritt, mit Angehörigen anderer Klassen oder Nationen umzugehen, ein altes Lied singen zu können, eine Frau so anzusprechen, daß es ihr angenehm ist, auch wenn sie nicht darauf eingehen möchte, ein Fest zu feiern, einem Toten die Augen zuzudrücken.“

PPS: Mehr über MM, nicht mehr ganz taufrisch, hier.


Passend zum Jubilar diesmal die Monatsendfigur. Unter dem Eindruck der Kathedrale von León am Jakobsweg nach Santiage de Compostela schrieb Leser ***: "Was ist das eigentlich für eine Zeit, in der wir heute leben, lieber Herr Klonovsky? In nur 50 Jahren hat sich im 12. Jhd. die (damals) 5.000-Seelen-Gemeinde von León diese gigantische gotische Kathedrale errichtet, mit einer Fensterfläche von über 1000 Quadratmetern, um dem Reich Gottes auf Erden zu huldigen. Das wäre in der heutigen Zeit selbst in einer Stadt, die 5.000000 Einwohner zählt, meines Erachtens nicht mehr denkbar."
Besonders angerührt hat ihn – und mich – diese Skulptur der Maria gravida (Maria in der Hoffnung, auch Mariä Erwartung).


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