Stationen

Freitag, 29. Juli 2016

Vielsagende Szenen aus der Provinz

24. Juli 2016 – Radle mit einer Tochter ins Kino. Gucken „Toni Erdmann“. Dachte, wenn das Feuilleton rundum schier ausflippt vor Freude über den Streifen, kann der Film nicht ganz schlecht sein. War er aber; banal, langatmig und sterbenslangweilig. Tiefer Seufzer: Wo kann man „der Presse“ und ihrem kruden Geschmack noch trauen…

Auf dem Rückweg versagt das Fahrrad der Tochter. Nichts geht mehr. Wird geschoben. Es regnet in Strömen. Ist ein warmer Regen, wir genießen es. Nach neun Kilometern sind es nur noch zwei Sekunden zwischen Blitz und Donner. Ich rase heim (Elternhaus, Offenbach), während die Tochter sich in einem Hauseingang unterstellt.
Zu Hause muß ich duschen, es wird (da nun noch kaltgefroren) leider überlang. Breche drum verspätet mit dem Auto auf, finde die Tochter nicht mehr. Bin längst schon wieder naß bis auf die Knochen, als sie aus dem Haus tritt, sich entschuldigend: Sie habe sich während der langen Wartezeit verquatscht.
Mit´nem echt netten Jungen. „Nationalität?“ – „Hab ich nicht gefragt, jedenfalls Alewit. Der hat sich mit seinen Eltern verkracht und hat nun vom Jugendamt die Wohnung dort bekommen.“ – „Und ihr habt euch richtig gut verstanden?“- „Na, was heißt ´verstanden´. Der war total freundlich, konnte aber sehr schlecht deutsch.“- „Wie lange schon hier?“ – „Seit Geburt. Naja. Hat er sich auch entschuldigt für. Meinte so lachend: ´Das ist natürlich ein Problem, wenn man nur mit Ausländern zu tun hat. Erst die Eltern, dann die Freunde, so wird das halt nie was.´“ – „Und, was denkst Du? Problem benannt, Problem gebannt? Ich mein, wird er dran arbeiten, am Sprachproblem?“ – „Nö, eher nicht. Wieso auch, er kommt ja anscheinend auch so ganz gut durch, mit, haha, Mittelhochdeutsch.“


25. Juli 2016 – Ich habe in einem See schwimmen gelernt, vom Papa. Ich war das, was man eine Wasserratte nennt und konnte daher schon mit vier Jahren den sogenannten Frühschwimmer (einen Pinguin) mir an die Badehose heften. Der See hieß Schultheisweiher. Der Lokalpresse entnehme ich, daß es ebendort gerade zu einem tragischen Badeunfall gekommen sei. Im seichten Uferbereich sei ein 15jähriger „Deutsch-Äthiopier“ ertrunken. Nicht der Lokalpresse entnahm ich nun dies:
BILD erfuhr: Einen Tag nach der Tragödie tauchten zwölf Familienangehörige um 19 Uhr am See auf. Sie bedrohten die zwei Rettungsschwimmer: „Wir stechen Euch ab!“ (…) Noch im Weggehen drohen Clan-Mitglieder den Bademeistern: „Wir kommen wieder …“.
Der tragische Einzelfall, über die BILD-Regionalausgabe kaum bekannt geworden, ist natürlich aus sämtlichen Perspektiven bedauerlich. Was mir auffällt: „Schwimmenkönnen“ fehlt seltsamerweise in allen kanonischen Leitwertekanons. Auch im brillanten, fast-alles-abdeckenden Bestseller Die deutsche Seele von Thea Dorn/Richard Wagner hat es zwar Kapitel wie „Abendbrot“, „Wurst“ und „Spießigkeit“ aber nicht das essentielle „Schwimmenkönnen“.
Für mich ist die Schwimmerei und die Schwimmenkönnerei der Deutschen (man bedenke, daß nicht nur viele Polen, sondern beispielsweise auch viele Portugiesen trotz wirklich langer Küste schwimmunfähig sind)

[auch viele Italiener!!]

neben dem Fremdsprachenerwerb geradezu ein Symbol für die Anpassungsfähigkeit unseres Volkes. Sich fremden Elementen vertraut zu machen, sich im Fremden bewegen zu können – das ist ziemlich deutsch. Clan- und Vergeltungsdenken hingegen: eher undeutsch.


28. Juli 2016 – Im Schwimmbad. Sachsen-Anhalt. Jüngste Tochter absolviert heute das Seepferdchen. Hoch, hoch, hoch! Also muß sie auf den Dreier, trainieren für „Bronze“. Schwer zu sagen, ob die Bauchschmerzen daher rühren oder von der Eiskanonenbelohung.
Ältere Tochter: „Sind dieses Jahr schon auffallend viele Asylanten hier, und alle so extrem muskulös.“ Äh, wo? Mit Brille sehe ich sie dann: Vier Typen, oder fünf, die fröhlich toben, wohlgemerkt, unter rund zweihundert weißen Körpern. Mädchengespräch: „Stimmt, alle voll muskulös.“- „Ja, und die zwei dort haben krasse Narben.“- „Na, die haben wohl echt einen Fluchtgrund.“- „Weiß man nicht. Ich sag nur: So Araber prügeln sich eh öfter. Gewalt ist dort Friedensalltag.“ – „“Was’n das jetzt für eine Behauptung!?!“ – „Angelesen. Ich sag nur, man weiß es nicht. Vielleicht haben die sich auch nur an heißem Tee verbrüht.“ (Es spricht die, die’s immer in besonderem Maße wissen will.) – „ Man, und Du hast einen Sonnenstich, ja? Tee-Narben, ja?“ – „Ich sag nur, wir alle haben den Araber von morgen gelesen. Du hast vermutlich nur arrogant durchgeblättert, weil’s Dir zu wenig intellektuell war! Ich sag nur: Bildungslücke! Schlag nach bei Riad Satouff!“

Folgend: längere Diskussion darüber, ob die Fremdlinge aus Gründen der Freizeit („wenn du ein halbes Jahr nichts zu tun hast, kein Schulstreß, keine Lehre, kannst du dich deinem Körper ganz anders widmen“), der Kampf- und Arbeitserfahrung seit Kindheit oder der Genetik mehr Muckis haben als die autochthonen Altersgenossen. Ob „corpore sano“ Durchtrainiertheit umfaßt oder bloß einen soliden Lebenswandel. Ich, typisch unbedarft: „Also, gefallen die Euch?“ Drei Blicke aus halbgeschlossenen Lidern, seufzend: „Mama!“
Die den Comic nur durchgeblättert hat, verweist auf ein kompliziertes Kategoriencluster, wobei körperliche Fitness nicht gerade unter ferner liefen, aber eingebunden in vielfältige Überlegungen rangiert. Ich frage: „Und Du selbst erfüllst das alles und hättest also freie Wahl?“ – „Hab ich nie gesagt. Ich sprach vom Ideal.“ Wenn alle Stricke reißen, werde sie LKW-Fahrerin und freie Philosophin, notfalls unbemannt.

Mit dabei im Schwimmbad ein Besucher aus dem Westen. Er hat die Einlassung der Großen nicht mitbekommen und staunt: „Daß es so was noch gibt! Daß es sowas wirklich noch gibt! Ein proppenvolles Freibad in Deutschland, nur mit Deutschen! Ich glaub es nicht! Völlig irre,“ usw., usf. Unglaublich übrigens: Rund 20% der Westdeutschen waren noch nie im „Osten“. Für die ist das hier glatt „Ausland“. Weiß nicht, ob je abgefragt wurde, ob das die besonders „weltoffenen“ Wessis sind. Osten, a place to be. Wie handhabbar hier alles noch scheint!  Ellen Kositza

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