Stationen

Mittwoch, 24. August 2016

Fortsetzung

Im ersten Teil dieses Beitrags beschrieb ich, wie sich die Herrschenden als „die Demokratie“, „die Verfassung“ oder „die freiheitlich-demokratische Grundordnung“ ausgeben, um sich gegen Kritik abzuschirmen.

Insbesondere bedeutet dies, daß nicht Merkels Asyl- und Einwanderungspolitik und deren Folgen – wie das Vorantreiben der Islamisierung und des Bevölkerungsaustauschs – als Gefahr für „die Demokratie“ betrachtet werden, sondern vielmehr der „populistisch“ genannte Einspruch dagegen.



Ins gleiche Horn stieß am 13. 8. in der Zeit auch der Direktor des Instituts für Zeitgeschichte in München, Andreas Wirsching. Betitelt war der Beitrag „Die Gefährdung der westlichen Demokratien“, und bebildert mit einem Foto von einer Pegida-Demo, auf der russische und identitäre Fahnen zu sehen sind, sowie Transparente, die Merkel als „Mutter Terroresia“ darstellen und via DDR-Ikonographie selbst der Demokratiefeindlichkeit bezichtigen (DDR heißt übrigens „Deutsche Demokratische Republik“).
Wirsching verortet den Feind „rechts“ (die Fauxelle hat es bereits klug kommentiert), und bemüht zu diesem Zweck eine historische Analogie:
Es gibt eine aus der Geschichte bekannte Konstellation, die für eine Demokratie besonders gefährlich ist. Sie entsteht dann, wenn sich auf ihrem Boden extremistische Kräfte bilden, die sich einerseits gegenseitig bekämpfen, die am Ende aber auch die Demokratie selbst treffen wollen. Fast alle europäischen Demokratien in der Zeit zwischen dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg sahen sich einem solchen Zweifronten-Konflikt gegenüber.
In Bezug auf die zwanziger und dreißiger Jahre mit ihrer „latenten Bürgerkriegsatmosphäre“ und dem „gleichzeitigen Aufkommen starker kommunistischer und extrem nationalistischer Bewegungen“, schreibt er:
Zugleich brachte dies vor allem auf Seiten der politischen Rechten neue Gefahren mit sich: die Versuchung nämlich, aus der Konstellation Kapital zu schlagen und mit Extremisten zum Zwecke der eigenen Machterweiterung zu kollaborieren.
Die Geschichte kann man auch ganz anders und etwas präziser erzählen: Wirsching spricht wohl die Tatsache an, daß die politische Rechte dieser Zeit sich zu einem großen Teil dem Faschismus zuwandte, da dieser als einziger stark genug schien, die kommunistische Bedrohung abzuwehren. Eine analoge Bewegung fand allerdings auch auf der Seite der politischen Linken statt. Diese Verzerrung zugunsten der extremen Linken hat System. Über die Zeit nach 1945 schreibt Wirsching:
Am aufregendsten waren noch die Sechzigerjahre. Aber der Ansturm einer starken sozialen Bewegung von links blieb überwiegend in verfassungskonformen Bahnen, und den durchaus vorhandenen extremistischen Tendenzen standen letztlich doch keine vergleichbaren extremistischen und demokratiefeindlichen Kräfte von rechts gegenüber.
Na, kommt wohl darauf an, was man mit „überwiegend“ meint – ein radikaler Teil dieser „starken sozialen Bewegung von links“, der breite Sympathien von der linksalternativen Studentenszene bis weit ins Kulturestablishment hinein genoß, hat es seinerzeit immerhin via RAF, Bewegung 2. Juni und ähnlicher Terrorzellen geschafft, dutzende Menschen zu ermorden und den bundesdeutschen Staat in die schwerste Krise seit seiner Gründung zu stürzen.
Als nächstes bügelt Wirsching die Frage nach dem Islam hinter dem islamischen Extremismus ab, indem er auf angeblich vollendete, angeblich alternativlose Tatsachen verweist:
Seit den Achtzigerjahren haben sich die westlichen Gesellschaften gewandelt. Zumindest in ihren Ballungszentren sind sie unter dem Einfluss der Globalisierung zu multikulturellen Einwanderungsgesellschaften geworden. Das ist nicht mehr zu leugnen. Und die Frage, ob der Islam denn nun zu Europa (oder zu Deutschland) gehöre, ist im Kern falsch gestellt. Denn wer sie angesichts von mehr als 15 Millionen Muslimen in der Europäischen Union verneinen wollte, würde die Realität verkennen.
Mit anderen Worten: der Bevölkerungsaustausch ist bereits so weit fortgeschritten und der Islam bereits so tief im europäischen Boden verpflanzt, daß daran nichts mehr zu rütteln ist. Die 15 Millionen Muslime haben bereits jetzt durch ihre bloße Anwesenheit die Identität Europas umdefiniert, und die restlichen 495 Millionen Menschen, die in der EU leben und keine Muslime sind, sollen dies widerspruchslos akzeptieren.
Nun, dann sollte man aber auch nicht „die Realität verkennen“, daß dieser „Wandel“ ein demographisch dynamischer Prozeß ist, der noch lange nicht abgeschlossen ist und nach Wunsch der Regierenden „der westlichen Gesellschaften“ auch nicht abgeschlossen, gebremst oder gestoppt werden darf, sondern vielmehr vorangetrieben werden muß, um eine Art „manifest destiny“ zu erfüllen. Das heißt de facto, daß auch die Frage, ob man den „Großen Austausch“ will oder nicht, „im Kern falsch gestellt“ ist, weil es hier angeblich keine Infragestellungen mehr geben darf.
Dieser „Wandel“ habe, so räumt er ein, nun schon seit den achtziger Jahren „neue Verunsicherungen“ erzeugt:
Das für jede Demokratie bedeutsame Verhältnis von Staat, Nation und Individuum ist deutlich komplizierter geworden. Und die für die modernen Massengesellschaften so zentralen Fragen nach Komplexität und Identität stellen sich neu. Denn wenn die Welt komplexer und undurchsichtiger wird, dann steigen auch die Identitätsunsicherheiten.
Man kann es auch weniger euphemistisch ausdrücken: die multikulturalistische Politik hat die relative ethno-kulturelle Homogenität der Staatsvölker zunehmend aufgelöst, und damit auch die essentiellen demokratischen Grundlagen, von denen etwa noch die Väter des Grundgesetzes eindeutig ausgegangen sind. Man kann nun gewiß sagen, die Gesellschaft wäre „komplizierter“ und „komplexer“ geworden, und dabei so tun, als handele es sich bei dieser „Komplexitätssteigerung“ um etwas grundsätzlich Gutes oder Wünschenswertes. Die unvermeidlichen Folgen einer solchen Politik für die Identität eines Volkes verlinkt Wirsching im Handumdrehen mit dem „Extremismus“:
Historisch betrachtet, schlägt seine Stunde vor allem dann, wenn drei Voraussetzungen zusammenfallen: wenn – erstens – Identitäten noch nicht gesichert sind oder erst etabliert werden müssen; wenn – zweitens – bestehende Identitäten kultureller Veränderung ausgesetzt sind und damit als akut bedroht empfunden werden; und wenn – drittens – zur Identitätsunsicherheit ökonomisch begründete, soziale Statusunsicherheit tritt.
All das ist in den westlichen Demokratien seit den Achtzigerjahren der Fall, in jüngster Zeit jedoch verstärkt wirksam.
Das ist zweifellos der Fall, und Wirsching wird wohl genauso gut wie jeder andere wissen, warum diese Probleme gerade „in jüngster Zeit verstärkt wirksam“ werden. Sie stehen in direktem Zusammenhang mit Merkels Schleusenöffnung, in der die politischen Tendenzen von vier Jahrzehnten Einwanderungspolitik kulminieren.
 
Als erste extremistische „Bewegung“ nennt Wirsching den Islamismus, bei dem er sich aber nicht lange aufhält:
Im radikalen Islamismus haben sich Formen der Identitätskonstruktion durchgesetzt, die mit ihrer quasi-religiösen und antiwestlichen Ideologie die Welt mit Gewalt in ein Freund-Feind-Schema zwingen wollen.
Die Rede vom „Freund-Feind-Schema“ spielt natürlich auf Carl Schmitt an, dessen Formel für den „Begriff des Politischen“ bekanntlich so lautete:
Die spezifisch politische Unterscheidung, auf welche sich die politischen Handlungen und Motive zurückführen lassen, ist die Unterscheidung von Freund und Feind.
Die Invokation der „Freund-Feind“-Kategorie dient hier wie üblich vor allem der sinistren Suggestion. Grob gesagt, zerfallen die Schmitt-Ausleger an dieser Stelle in zwei Lager: diejenigen, die akzeptieren, daß „Freund-Feind“ im Bereich des Politischen konstitutiv ist, ob man will oder nicht; und diejenigen, die glauben, Feindschaft ließe sich vermeiden und in Schmitts Definition einen finsteren Imperativ sehen.
Daß Wirsching wohl eher zur letzteren Gruppe gehört, zeigt die seltsame und unklare Formulierung, der radikale Islamismus wolle „die Welt mit Gewalt in ein Freund-Feind-Schema zwingen“. Man kann es auch einfacher sagen: der radikale Islam hat die westliche Welt zum Feind erklärt, aus welchen Gründen auch immer. Sobald einer einem anderen die Feindschaft erklärt, aus welchen Gründen auch immer, wird letzterer, sofern er diese Feindschaft nicht wünscht, gewiß „mit Gewalt in ein Schema gezwungen“; man kann eine Feindschaftserklärung nicht einseitig verweigern, und dann so tun, als wäre diese Feindschaft aus der Welt geschafft. Der selbsternannte Feind wird nicht aufhören, Feind zu sein, weil man die Kategorie Freund/Feind nicht akzeptiert.
Dies ist wohl der Grund, warum Wirsching abschwächend von einer „Herausforderung“ spricht:
Für die westlichen Demokratien ist diese Form des radikalen Islamismus und seiner terroristischen Aktion eine enorme Herausforderung. Wirklich gefährlich wird die Lage aber dadurch, dass diese Herausforderung auf zutiefst identitätsunsichere Gesellschaften trifft.
Hier ist es deutlich formuliert: die „wirkliche Gefahr“ – für wen? – ist offenbar weniger der radikale Islamismus, als die „identitäre“ Abwehreaktion der „herausgeforderten“ Gesellschaften. Das korrespondiert wohl mit einer Feststellung, die ich im ersten Teil dieses Beitrags traf:
Die Macht des regierenden Kartells wird vom islamischen Terrorismus nicht bedroht.
Indes könnte man obigen Absatz auch aus identitärer Sicht unterschreiben, wenn er auch einer ganzen Menge Ergänzungen bedarf. Was nun die Konstitution dieser „zutiefst identitätsunsicheren Gesellschaften“ betrifft, so fällt Wirschings Analyse eher trübe und therapeutisierend aus:
Kulturelle Unklarheiten, soziale Statusunsicherheiten und Verlustängste verdichten sich zur Ablehnung von Einwanderung.
Hier versucht Wirsching aus der „Ablehnung der Einwanderung“ ein rein psychologisches Adaptionsproblem zu machen: er spricht von „Unklarheiten“, „Unsicherheiten“, „Ängsten“, ohne auf deren konkrete Ursachen einzugehen. Was aber, wenn diese Ablehnung konkrete, handfeste, rationale Gründe hat, die nicht zuletzt mit dem sozialen Verhalten breiter Einwandererschichten zu tun haben?
Er macht noch eine weitere psychologische Volte, indem er den Einwanderungsgegnern unterstellt, sich gleichsam einen „sichtbaren Gegner“ zu schaffen, in dessen Richtung sie ihren „Hass“ kanalisieren können, den er als „diffus vagabundierend“ bezeichnet, also als grundlos und irrational, auf der Suche nach einem (im Grunde beliebigen) Feindbild:
Alle Vorbehalte und Ressentiments, die ganze „Politikverdrossenheit“ und der Populismus, die seit Jahren beklagt werden – all das hat nun einen einzigen Bezugspunkt: einen „Feind“, gegen den die Mobilisierung – und Gewaltausübung -
„Gewaltausübung“?
so viel einfacher ist als gegen die diffusen Mächte der Komplexität, heißen sie nun Finanzkapitalismus oder Euro-Zone, Globalisierung oder Gemeinsamer Markt.
Abgesehen von diesem wohlfeilen Mythos vom „diffus vagabundierenden Haß“ und der Gleichsetzung von „Haß“ und „Feindschaft“: es ist nun keineswegs so, als ob diese genannten „diffusen Mächte“ keinen Bezug etwa zur laufenden Politik der „replacement migration“ haben, die von Angela Merkel und Wolfgang Schäuble bis hin zu George Soros und der UNO als Heilmittel gegen überalternde Gesellschaften angepriesen wird (und ich nenne hier nur ein paar exemplarische Beispiele), um nur einen Strang der globalistischen Agenda zu nennen. Es gibt heute bezeichnenderweise kaum einen Reichen und Mächtigen der westlichen Welt, von Hillary Clinton über Mark Zuckerberg bis hin zum Papst, den Königen der Wall Street und den Chefs der Großkonzerne, der nicht eine Welt der „offenen Grenzen“ propagiert. Daraus folgt, daß die Politik der offenen Grenzen und der Masseneinwanderung im Interesse dieser Reichen und Mächtigen sein muß.
Wie Jim Goad sarkastisch auf Takimag anmerkte:
When was the last time you heard an open-borders globalist referred to as “right-wing”?
Ein paar Zeilen weiter oben hat Wirsching noch selbst eingeräumt, die „westlichen Gesellschaften“ seien „unter dem Einfluss der Globalisierung zu multikulturellen Einwanderungsgesellschaften geworden“.  Diese „Globalisierung“ ist allerdings nicht bloß eine unvermeidliche Naturgewalt (sie ist in der Tat ein weltgeschichtlicher Prozeß, der in vielen Aspekten bereits mit der Neuzeit begann); sie ist in ihrer heutigen Form zugleich eine Ideologie, eine universalistische Utopie und eine politische Strategie, in der es nach Thomas Barnett um die Sicherstellung eines vierfachen globalen Flusses geht:
Dabei gilt es, vier Arten von Ressourcen in einen ausbalancierten, aber möglichst ungehinderten Fluß zu bringen: den Fluß von Menschen (migration), von Rohstoffen, von langfristigen finanziellen Investitionen (long-term investment, foreign direct investment) und von „Sicherheit“ („der ‚Export‘ von US-Sicherheitssystemen zu regionalen „Märkten“, mit anderen Worte militärische, „weltpolizeiliche“ Kontrolle des ganzen Erdballs). „Balance“ bedeutet hier, daß in einem globalen System nichts den Fluß von Ressourcen aus Überschuß- in Defizitgebiete behindern darf.
 
Aus dieser Perspektive erscheinen uns die verfemten „populistischen“ Widerstandsbewegungen in einem klareren Licht. Es gibt einen gemeinsamen Nenner in der gängigen Parade derer, die von den Mainstreammedien als Schurken portraitiert werden: Von Farage bis Orban, von Petry bis Le Pen, von Trump bis Putin, ja sogar Erdogan kann man zu dieser Reihe zählen. Apropos Brexit brachte es Alain de Benoist auf den Punkt:
Wir können die Bedeutung dieses Wahlergebnisses nur verstehen, wenn wir es in einem größeren Kontext betrachten, nämlich der globalen Revolte gegen die selbsternannten Eliten. Der Aufstieg des Populismus ist nur dessen sichtbarster Ausdruck, und das „Nein“ des Jahres 2005 zur Europäischen Verfassung markiert den symbolischen Beginn dieser Entwicklung. Brexit kann nicht vom Aufstieg des Front National in Frankreich, der FPÖ in Österreich, Syriza in Griechenland, Podemos in Spanien, von der Wahl einer Vertreterin der Fünf-Sterne-Bewegung zur Bürgermeisterin von Rom, vom Trump- und Sanders-Phänomen in den USA usw. getrennt betrachtet werden. Überall revoltiert das Volk gegen eine übernationale Oligarchie, die es nicht länger unterstützt. Das ist die Essenz von Brexit: die Bestätigung einer fundamentalen Bewegung. Nach Jahrzehnten der Expansion gehen wir auf eine Ära der Sezessionen zu.
Benoist hebt hier den wirtschaftlichen Aspekt hervor – dieser ist allerdings untrennbar mit der Masseneinwanderung verbunden, die von den übernationalen Oligarchien offen gefördert wird.
Vereinfacht auf einen Nenner gebracht, verläuft die Frontlinie heute zwischen Globalisten und „Souveränisten“ oder „Nationalisten“ im weitesten Sinne. Ich benutze diesen verfemten Begriff wertneutral, um sämtliche Bewegungen zu bezeichnen, die sich für nationale oder identitäre oder patriotische Selbstbehauptung und Souveränität einsetzen. Sie werden von ihren globalistischen Feinden auch kaum mehr unterschieden. Nie zuvor wurde solches Schindluder mit Begriffen wie etwa „extremistisch“ oder „rassistisch“ getrieben. Sämtliche Maßstäbe sind verloren gegangen, wodurch heute alle souveränistisch-identitären Bewegungen, Gruppen, Parteien in einen einzigen Topf gesteckt werden, seien sie noch so liberal, moderat und kompromißbereit. Längst wird die AfD so behandelt, als stünde sie auf demselben Level wie die dahinsiechende NPD.
Das ist ein Indiz für die Zuspitzung der Feindschaft: das globalistische Lager duldet nicht mehr den leisesten Widerspruch, ohne mit Verfemung, Verleumdung und, ja, „Haß und Hetze“ zu reagieren. Darum steht der Feind des globalistisch orientierten politisch-medialen Machtkomplexes „rechts“ und kann nur rechts stehen, sofern damit die souveränistische Position der Selbstbehauptung und der Verteidigung des Eigenen gemeint ist; und wer sich ihm entgegenstellt wird rasch „rechts“ einsortiert – wie es inzwischen sogar einer Sahra Wagenknecht geschehen ist.

Nun muß aber selbst Wirsching trotz seiner diffusen Suggestionen zugeben, daß sich der „Haß“ der „Populisten“ und angeblichen „Extremisten“ de facto weniger auf „Fremde“, Asylanten oder Einwanderer richtet, sondern vor allem auf die Merkel’sche Regierung. Auch das versteht er zu trivialisieren, indem er den Einwanderungsgegnern à la Nassehi  „Komplexitätsreduktion“ im Sinne einer intellektuellen Vereinfachung unterstellt. (Nassehis Formel wird übrigens im aktuellen Heft der Sezession nach allen Regeln der Kunst auseinandergenommen.)
Natürlich ist es „einfacher“, mit ein paar zugespitzten Slogans auf die Straße zu gehen, und gegen Merkel und ihre Regierung zu „mobilisieren“, als über die Komplexitäten der Globalisierung und die „unsichtbaren Gegner“  nachzudenken. Aber wie soll das Volk oder ein Bürger, der von seinen verbrieften demokratischen Rechten Gebrauch machen will, denn sonst seinen Einspruch kundtun? Wirsching gibt sich alle Mühe, diesen Einspruch und Widerstand zu diffamieren:
Die populistischen Bewegungen in den westlichen Demokratien werden nicht aufhören, mit der Konzentration auf einen „Feind“ ihre Chance zu verbessern, Menschen zu mobilisieren und damit die unausweichliche Komplexität der modernen Welt in schändlicher Weise scheinbar zu reduzieren. Und sie werden nicht aufhören, die Demokratie als zu korrupt und zu „volksverräterisch“ zu diffamieren, um mit dem „Feind“ fertig zu werden.
Wieder dasselbe Muster: die herrschenden Eliten werden mit „der Demokratie“ schlechthin gleichgesetzt. Wer sie als korrupt oder „volksverräterisch“ bezeichnet, kann per se keine guten Gründe und Argumente haben. Er hat lediglich ein psychologisches Bedürfnis nach einem Feindbild und ist nicht schlau genug, die „unausweichliche Komplexität der modernen Welt“ zu bewältigen, wie es etwa Angela Merkel auf profunde Weise vormacht („Wir schaffen das!“, „Ist mir egal, ob ich schuld am Zustrom der Flüchtlinge bin. Nun sind sie halt da.“, „Wir alle leben auf einem Planeten, jeder Mensch hat ein Leben, und jeder hat das Recht, dieses Leben nachhaltig und sinnvoll zu verleben.“ etc. etc. etc. )
Das Ergebnis wäre, halbwegs analog zu Weimar, ein Zweifrontenkrieg „der Demokratie“ gegen Islamisten und Populisten:
 Am dramatischsten ist die Situation derzeit in Frankreich, wo sich auf der Basis einer universalistisch verstandenen Demokratie Parallelgesellschaften etabliert haben; wo viel von der „intégration ratée“ die Rede ist; wo der Terror vermehrt zuschlägt; wo gesellschaftliche Verlustängste grassieren; und wo inzwischen jeder Dritte seine Stimme dem rechtsextremen Front National geben würde.
Analog auf Deutschland bezogen wird Wirsching an dieser Stelle wohl an die beiden wichtigsten „rechtspopulistischen“ Player denken, AfD und Pegida. Er bleibt aber wie alle verbissenen Verteidiger des Status Quo und der Machthaber den konkreten Nachweis schuldig, warum das Establishment in Frankreich und Deutschland nun „demokratischer“ sein soll als deren Herausforderer. Es gibt in deren Parteiprogrammen und politischen Forderungen nichts, was man allen Ernstes als „demokratiefeindlich“ oder „extremistisch“ bezeichnen könnte. Es ist, ich wiederhole es, im Grunde ganz einfach: die Machthaber bezeichnen sich selbst als „die Demokratie“, um ihre Kritiker als „Demokratiefeinde“ stigmatisieren und diskreditieren zu können.
Dazu müssen oft allerlei rhetorische Umwege eingeschlagen werden. Man höre etwa die Argumentation eines „Experten“ namens Nico Lange, der in den heiligen Hallen der Konrad-Adenauer-Stiftung folgendes von sich gab:
Nehmen Sie das Thema Demokratie. Das nimmt im Programm (der AfD) weit vorn viel Raum ein. Die AfD stellt sich da gegen die Tradition der parlamentarischen repräsentativen Demokratie in Deutschland. Sie versucht, das Bild einer direkten Demokratie nach Schweizer Vorbild zu entwickeln. Das ist typisch für rechtspopulistische Parteien. Diese gehen zumeist davon aus, dass in Volksabstimmungen die Mehrheit so abstimmt, wie sie es für richtig halten. Darin steckt ein anti-pluralistischer Geist. Das Bild, das hier gezeichnet wird, entspricht nicht dem der parlamentarischen Demokratie der Bundesrepublik.
Michael Klonovsky kommentierte dies in seinem Netztagebuch vom 5. August so:
Halten wir ergriffen fest: Das Prinzip Mehrheitsmeinung entspricht nicht der parlamentarischen Demokratie der BRD.
Auch Bundespräsident Gauck, der vollständig hinter der Linie Merkels steht, ließ verlauten, daß er Volksentscheide für keine sehr gute Idee hält (man achte auf die Verwendung des Wörtchens „kompliziert“):
„Oft müssen schwierige Kompromisse gefunden werden, die mit Volksentscheiden nicht möglich sind.“ Deshalb sei im Bund die „repräsentative Demokratie die beste Antwort auf die komplizierten Probleme unserer Zeit“.
Nun, wo sind sie denn nun, diese „besten Antworten“ unserer weisen Entscheidungsträger? Sind die Leute zu blöd, zu feindbildsüchtig, zu unterkomplex, sie in all ihrer Glorie zu sehen, und sollen darum lieber nicht mitentscheiden dürfen? Thorsten Hinz bemerkte nüchtern:
Die repräsentativen Demokraten der Bundesrepublik sind offensichtlich unfähig, Antworten auf die Fragen unserer Zeit zu geben. Sie wursteln sich durch und lassen aus Konflikt- buchstäblichen Explosivstoff entstehen. Sie haben Deutschland in einen Staat mit ethnisch-kulturellen und religiösen Bruchlinien verwandelt, in dem der Terror zum Alltagsphänomen zu werden droht.
Parallel dazu verflüssigt die europäische Währungsunion unser Erspartes und bringt den Kontinent ins Taumeln. Beides hätten Volksentscheide verhindern können. Schon die theoretische Möglichkeit, daß die direkte Demokratie ihre Fehlentscheidungen korrigiert, hätte die Funktionseliten zu mehr Vor- und Umsicht gezwungen.
Im übrigen gibt es wenig, was den Begriff der repräsentativen Demokratie länger rechtfertigt. Der Bundestag ist zur Abnickmaschine degeneriert. Als Kontrollorgan der Exekutive und zentrales politisches Diskussionforum des Landes ist er ein Totalausfall. Eine parlamentarische Opposition und alternative Politikangebote existieren faktisch nicht. Unverdrossen generiert die politische Klasse sich über inzüchtige Parteienlisten.
Dies alles im Hinterkopf, bekommt die schneidende Feinderklärung Wirschings im Sinne der Machthaber ihren ganz besonderen Geschmack:
Demokraten und der Demokratie verpflichtete Medien sollten daher auch keinen allzu großen Ehrgeiz entwickeln, mit den Feinden der Demokratie zu „diskutieren“, sie zu „verstehen“.
Womit wieder einmal bewiesen wäre, daß kein Weg an Carl Schmitts Erkenntnis vorbeiführt: es gibt im Bereich des Politischen kein Ausweichen vor der Bestimmung Freund-Feind; ausnahmslos jeder, der im Bereich des Politischen denkt und agiert, muß sie treffen; das liegt in der Natur des Politischen.
Die Kirsche auf der Torte ist allerdings dies:
Denn alle historische Erfahrung zeigt: Feinde der Demokratie sind Demokratiefeinde auch deswegen, weil sie sich hinter einer Realitätsverweigerung verschanzt haben. Propagandistisch gefangen in einem Weltbild, das nur noch Freund und Feind kennt, entziehen sie sich dem rationalen Argumentieren und dem ihm zugrunde liegenden Erfahrungswissen.
Wort für Wort dieses Absatzes, insbesondere was die „Realitätsverweigerung“ und den Verzicht auf „rationales Argumentieren“ betrifft, ließe sich ohne Abstriche auf die Merkel’sche Regierung, ihre linksextremen Kettenhunde von Kahane bis Antifa und ihre medialen und akademischen Propagandisten anwenden – nicht zuletzt auf Wirsching selbst, der offenbar „gefangen in einem Weltbild“ ist, das „nur noch Freund und Feind (der ‚Demokratie‘, also der herrschenden Eliten) kennt“, und darum seinerseits auf „schändliche Komplexitätsreduktionen“ zurückgreifen muß.  Martin Lichtmesz

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