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Montag, 15. August 2016

In der Not wird die Wendigkeit zur Notwendigkeit

Nach der Entschuldigung des türkischen Machthabers Recep Tay­yib Erdogan bei Russlands Präsidenten Wladimir Putin wegen des Abschusses einer russischen Suchoi Su-24 über Syrien normalisieren sich die Beziehungen zwischen den beiden Ländern mit einer auffälligen Geschwindigkeit.
Dazu trägt die lehrhafte und bevormundende Politik des Westens erheblich bei: 

Wer von den USA oder der EU oder aber von beiden ständig gescholten wird, der rückt gerne näher zu einem anderen, dem es ebenso ergeht. Erdogan war es allerhand wert, nach Russland eingeladen zu werden – die Entschuldigung als erstes, aber ebenso eine finanzielle Entschädigung und die Ankündigung, dass dem Mörder des russischen Piloten der Prozess gemacht werde. Betrachtet man, mit welchem Selbstbewusstsein Erdogan vor der EU auftritt, so bedeutet seine Haltung gegenüber Russland nachgerade eine Kapitulation. Von Brüssel war die hohe Schule der Diplomatie ohnehin nicht zu erwarten, sodass die Dinge sehr zur russischen Zufriedenheit verlaufen.
Begünstig wird die Entwick­lung zwischen Moskau und Ankara durch gemeinsame wirtschaftliche Interessen, vor allem auf dem Energie-Sektor. Noch vor dem Russland-Besuch Erdogans haben beide Länder die Verhandlungen über das Erdgas-Projekt „Turkish Stream“ wieder aufgenommen, die von Mos­kau wegen des tödlichen Angriffs auf das russische Flugzeug unterbrochen worden waren.

Das Projekt „Turkish Stream“ war im Dezember 2014 beschlossen worden. Grund dafür war, dass auf massiven Druck der USA die EU den Plan für „South Stream“, ebenfalls eine Gas-Pipeline von Russland in die EU, trotz gültiger und unterzeichneter Verträge aufgekündigt hat. Jetzt wird eine Pipeline von der südrussischen Hafenstadt Anapa durch das Schwarze Meer bis zur Ortschaft Kiyiköy im europäischen Teil der Türkei verlegt. Sie wird rund 1100 Kilometer lang sein und fast durchgehend unterseeisch verlaufen. In Anapa ist die nötige Infrastruktur für das Kopfstück der Pipeline bereits vorhanden, sie war bereits für „South Stream“ fertiggestellt worden. Die notwendigen Rohre sind gekauft, die Finanzierung ist dadurch geregelt und sichergestellt, dass der russische Partner Gazprom die Kosten zur Gänze übernimmt. Die notwendigen Verträge sind schon vor Erdogans Besuch in Russland abgeschlossen worden und muss­ten dort lediglich noch unterzeichnet werden.
Die Kapazität wird 32 Milliarden Kubikmeter pro Jahr betragen, von denen ungefähr die Hälfte für die Türkei vorgesehen ist. So wird die neue Pipeline nicht nur der Versorgung der Türkei dienen, sondern von dort aus wird auch Gas in die EU geleitet. Der heimliche Neben-Effekt: Damit ist obsolet geworden, dass die EU im Jahr 2014 das Projekt „South Stream“ hat platzen lassen. Die jetzige Gasleitung erfüllt denselben Zweck.

 Freilich ist jetzt die EU aus dem Spiel, ebenso wie die USA. Der russische Energieminister Alexander Nowak und der türkische Wirtschaftsminister Nihat Zeybekci beteuerten kürzlich, dass das Projekt für „beide Länder günstig“ sei, und speziell mit Blick auf sein Land setzte Zeybekci hinzu, „Turkish Stream“ entspreche „voll und ganz den Interessen der Türkei und wird die Gaslieferungen zuverlässiger und günstiger machen“. Minister Nowak erklärte: „Die Türkei ist daran interessiert, Gas direkt zu beziehen – ohne Umweg durch andere Transit-Länder. Dafür ist ein Strang allein für die türkischen Verbraucher vorgesehen. Der zweite ist für die europäischen Verbraucher bestimmt.
Doch nicht überall teilt man die Genugtuung darüber, dass das russische Gas bald über die Türkei nach Europa fließen soll. In Brüssel fürchtet man, die Position Russlands würde dadurch gestärkt. Ein hoher Diplomat sagte zu der Agentur Reuters: „Die neue Freundschaft zwischen der Türkei und Russland kann ein Problem werden, wenn Russland versucht, die Ukraine gegen die Türkei auszutauschen.“

Ganz scheint der Diplomat die Zusammenhänge nicht begriffen zu haben. Natürlich kommt „Turkish Stream“ nicht zusätzlich zu den jetzigen Leitungen, sondern an ihrer Stelle. Im Jahr 2019 laufen die betreffenden Verträge zwischen Russland und der Ukraine aus und werden nicht mehr verlängert. Dasselbe gilt für Polen. Ganz besonders für die Ukraine hat das gravierende Folgen. Bislang hatte man in Kiew geglaubt, man besitze als Transitland ein geostrategisches Monopol. So hat im vergangenen Jahr die Ukraine die Durchleitungsgebühren für russisches Gas von 2,7 Dollar pro 1000 Kubikmeter und 100 Kilometer auf 4,5 Dollar angehoben. Bis Ende 2009 lag die Taxe sogar bei nur 1,7 Dollar. Und ungeachtet seiner eigenen Gepflogenheiten warf Kiew dem russischen Energie-Konzern Gazprom vor, er missbrauche eine Monopolstellung und verhängte eine Kartell-Strafe von 3,2 Milliarden Euro. Die Ukrainer haben also den Russen den Abschied aus dem gemeinsamen Handel sehr leicht gemacht.

Allerdings steht zu befürchten, dass man in Kiew über die Sache noch lange und angestrengt nachdenken wird. Denn ab dem 1. Januar 2020 bleiben die Durchleitungsgebühren aus, die jährlich drei Milliarden Dollar betragen und rund zwölf Prozent des ukrainischen Staatshaushalts darstellen. Man kann sich ungefähr ausrechnen, wann eine ukrainische Delegation in Brüssel vorsprechen und das Gespräch unauffällig auf die Finanzen lenken wird. Von den USA hat Kiew kein Geld zu erwarten, dort betrachtet man das als europäische Angelegenheit. Das vordringliche Interesse Washingtons an der Ukraine war erloschen, sobald der CIA-Putsch auf dem Kiewer Maidan sein Ziel erreicht hatte.    Florian Stumfall

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