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Samstag, 27. August 2016

Na endlich!

Behandlungen durch Heilpraktiker, deren medizinischer Nutzen nicht eindeutig erwiesen ist, sollten verboten werden können. Krankenkassen dürften solche Leistungen auch freiwillig nicht mehr finanzieren. Das fordert Josef Hecken, der Vorsitzende der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen, im Gespräch mit der F.A.Z. „Es sollte den Kassen untersagt werden, Dinge zu bezahlen, für die es keine Evidenz gibt“, sagt Hecken.
Bei schwerwiegenden Erkrankungen wie Krebs müsse eine homöopathische Therapie auch Selbstzahlern verboten werden können, solange die Wirksamkeit nicht mit Studien belegt worden sei. „Da brauchen wir ganz klare Verbote“, sagt Hecken. Schließlich gehe es hier „nicht um Befindlichkeiten, sondern um Menschenleben“. Hecken ist der Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses der Ärzte, Kassen und Krankenhäuser. Das Gremium legt fest, welche Leistung die Kassen bezahlen.
 
Homöopathisch behandelte Krebs-Patienten sind gestorben, nun gibt es Verbots-Forderungen.
Im niederrheinischen Brüggen waren unlängst mehrere Krebspatienten gestorben, nachdem sie von einem Heilpraktiker mit dem Präparat „3-Bromopyruvat“ behandelt worden waren. Die Staatsanwaltschaft Mönchengladbach ermittelt gegen den Betreiber des „Biologischen Krebszentrums“ wegen fahrlässiger Tötung in drei Fällen. Am Freitag teilte sie mit, der Wirkstoff habe grundsätzlich verwendet werden dürfen, sei aber womöglich verunreinigt oder falsch dosiert gewesen.
Auch der Vorsitzende der Krankenhausgewerkschaft Marburger Bund, der CDU-Bundestagsabgeordnete Rudolf Henke, hält es für an der Zeit, „die Regelungen des Heilpraktikerwesens völlig neu zu überdenken“. Der F.A.Z. sagte der Präsident der Ärztekammer Nordrhein: „Ich halte es nicht für vertretbar, dass Heilpraktiker die Behandlung von Patienten mit Krebserkrankungen übernehmen.“ Überhaupt müsse das Tätigkeitsfeld von Heilpraktikern, etwa bei der Akupunktur oder intravenösen oder intramuskulären Therapien überdacht werden. Henke wandte sich aber dagegen, das Thema mit der Frage der Erstattungsfähigkeit homöopathischer Therapien zu vermengen.
Homöopathische und anthroposophische Arzneimittel können als „OTC“-Präparate seit 2004 grundsätzlich nicht mehr zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet werden. Das ist ausnahmsweise zulässig, wenn sie bei der Behandlung schwerwiegender Erkrankungen als Therapiestandard gelten. Der gemeinsame Bundesausschuss legt in einer „OTC-Übersicht“ fest, welche Arzneimittel unter diese Regel fallen.

Abweichend von dieser für alle Kassen geltenden Vorschrift erstatten manche die Kosten für die Behandlung durch Heilpraktiker oder für homöopathische Arzneien freiwillig als „Satzungsleistung“. Nach Übersichten einschlägiger Internetportale bieten zwei Drittel der 118 Kassen solche Leistungen an, darunter sind fast alle großen Krankenkassen. Hecken ist das ein Dorn im Auge. Er argumentiert, dass dies für die Kassen ein reines Marketinginstrument zur Gewinnung neuer Mitglieder sei. Doch würden die Kosten dafür aus dem allgemeinen Beitragsaufkommen aufgebracht. Die Ausgaben für solche Satzungsleistungen nennen die Kassen nicht oder nur ungern, weil sie dem Wettbewerber keinen Einblick in ihre Daten geben wollen. Bei der TK, Deutschlands größter Kasse mit fast 10 Millionen Versicherten, hieß es lediglich, die Ausgaben bewegten sich im Promille-Bereich.

Hecken will Patienten nach eigenen Worten nicht die Einnahme von „Globuli“ madig machen. Es gebe auch Beispiele dafür, dass der Bundesausschuss solche Therapien zugelassen habe. So komme die Misteltherapie als Alternative zur klassischen Krebstherapie zwar nicht in Betracht, wohl aber für eine mögliche Therapie-Ergänzung. Es dürfe aber nicht sein, dass Beitragsgelder für Präparate ausgegeben würden, für die es keinen wissenschaftlichen Beleg gebe. So sei ihm unverständlich, warum ein Patient ein Nasenspray selbst bezahlen müsse, dessen therapeutischer Nutzen empirisch belegt sei, seine Kasse aber Arzneimittel bezahle, deren Wirksamkeit völlig unklar sei. „Wir sollten es nicht hinnehmen, dass im Sozialgesetzbuch Schritt für Schritt eine Grauzone eingeführt wird.“
Das gelte gerade dort, wo Patienten mit nicht belegten Heilsversprechen von anerkannten klassischen Therapien, etwa einer Chemotherapie bei der Krebsbehandlung, abgehalten würden. Damit verschlechterten sich womöglich nicht nur ihre Therapie- und Überlebenschancen, es könnten auch höhere Kosten durch Verschleppung ausgelöst werden. „Hier wird eine Grenze überschritten“, sagte er.
Hecken führte ein weiteres Beispiel an: So untersuche der Bundesausschuss seit Jahren, ob Menschen, in deren Familie eine Veranlagung zum Darmkrebs nachgewiesen ist, früher als andere Versicherte Anspruch auf die kostenlose Vorsorgeuntersuchung bekommen sollten. Das werde bisher nicht bezahlt, weil der wissenschaftliche Nachweis dafür fehle. Nur bei den „klassischen medizinischen Angeboten wird alles mit dem Hundert-Watt-Strahler bis ins letzte Mauseloch untersucht“, klagt er. Bei der „alternativen Medizin“ tappe man dagegen im Dunkeln. Verwundert zeigte er sich darüber, dass auch Ärztekammern eigene Abteilungen für die „Komplementärmedizin“ gründeten, „obwohl die von der Evidenz her betrachtet eine riesige Black Box ist“.
Die Autoren einer Studie in Australien hätten unlängst ein „vernichtendes Urteil“ über homöopathische Präparate gefällt: „Es gibt keine Überlegenheit gegenüber Placebos“, fasst Hecken das Ergebnis zusammen. In Großbritannien habe der öffentliche Gesundheitsdienst die Bezahlung homöopathischer Präparate eingestellt, nachdem eine Kommission im Auftrag des Unterhauses keinen Beleg für Vorteile gegenüber der klassischen Medizin gefunden habe. Selbst aus den Reihen der „Komplementärmedizin“ werde dies zugegeben.
Die Anhänger der anthroposophischen Medizin fordert Hecken auf, gegebenenfalls den Gegenbeweis anzutreten. „Es ist an der Zeit, die Leute, die dafür werben, beim Wort zu nehmen und die Evidenz zu prüfen.“ Das Thema müsse auch hierzulande gründlich durchleuchtet werden. „Der Gesetzgeber sollte den Gemeinsamen Bundesausschuss oder ein anderes Institut beauftragen, sich im Rahmen einer Metaanalyse der Evidenz der homöopathischen Medizin anzunehmen und entsprechende Schlussfolgerung zu ziehen.“
Als langjährigem Gesundheitspolitiker ist Hecken die Brisanz seiner Forderungen klar, gilt die Homöopathie doch auch als ein Lieblingskind der Grünen und Besserverdienenden. Dem Ausschuss-Vorsitzenden ist das offenkundig egal. Er sagt: „Wir sind an einem Punkt angelangt, wo wir eine breite öffentliche Diskussion brauchen. Dafür bin ich auch bereit, mich öffentlich schelten zu lassen.“  FAZ

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