Stationen

Donnerstag, 25. August 2016

SPD-Herzkammer



Guido Reil


Dem bevölkerungsreichsten Bundesland kommt im kommenden Jahr eine entscheidende Bedeutung zu. In rund neun Monaten finden Landtagswahlen statt. Derzeit regiert die SPD mit Ministerpräsidentin Hannelore Kraft in einer Koalition mit den Grünen. Die Umfragewerte an Rhein und Ruhr sind mit 31 Prozent deutlich besser als die auf Bundesebene. Aber auch deutlich schlechter als die vor fünf Jahren. Damals überraschte nur der Wahlerfolg der „Piraten“, die auf knapp acht Prozent kamen, aber das Wählerreservoir der SPD kaum anzapften.
Mit der Alternative für Deutschland ist den Sozialdemokraten nun ein höchst gefährlicher Gegner erwachsen. „Für die SPD ist es fünf vor zwölf, wenn sie in ihrem Kernland nicht wie schon in den bundesweiten Umfragen einbrechen will“, warnte der linke Politikwissenschaftler Alexander Häusler gegenüber dem „Focus“ und fügte hinzu: „Nordrhein-Westfalen wird entscheidend sein, ob die AfD ihren Durchmarsch fortsetzen kann.“ Die AfD kommt gerade im Ruhrgebiet hemdsärmelig-moderat daher. Landeschef Marcus Pretzell sieht gerade in den strukturschwachen Regionen „ein Riesenpotenzial“ für die Protestpartei. Dabei sind die Arbeiter an der Ruhr das klassische Wählerpotenzial der Sozialdemokraten.
Nach einem Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbands ist das Ruhrgebiet Deutschlands „Problemregion Nummer Eins“. Jeder fünfte muss hier demnach zu den Armen gezählt werden.
Die Menschen im Ruhrgebiet seien schon immer recht konservativ gewesen, erzählt der sozialdemokratische Oberbürgermeister von Gelsenkirchen, Frank Baranowski. In seiner Stadt sind knapp 17 Prozent der Menschen arbeitslos, die Revier-Metropole ist damit trauriger Spitzenreiter der Republik. „Für das Ruhrgebiet stehen zwei sozialdemokratische Grundwerte im Mittelpunkt: Solidarität und Gerechtigkeit“, erklärt er dem Nachrichtensender n-tv. Dabei gehe es um Bildung, eine ordentliche Finanzausstattung der Städte und eine gute Infrastruktur. „Und wir brauchen endlich einen sozialen Arbeitsmarkt, denn wir dürfen langzeitarbeitslose Menschen nicht einfach ohne Perspektive und Wertschätzung lassen.“
Und so hat er sich Wirtschaftsminister Gabriel als Wahlkampfunterstützer geholt. „Wir dürfen die Oberbürgermeister nicht alleine lassen“, tobte der in Gelsenkirchen und stellte unterschwellig finanzielle Hilfen in Aussicht. Woher diese kommen sollen, ließ es offen. Ungewohnt deutlich wurde Gabriel beim Thema Zuwanderung. „Es gibt Leute, die führen sich auf, das geht überhaupt nicht“, pflichtet er einer Frau bei, die ihn auf das Problem aggressiver Zigeuner-Banden hingewiesen hat. Die Sorgen der Menschen müssten gehört werden, sagte Gabriel: „Nicht alles, was an Ängsten vor Zuwanderern besteht, ist fremdenfeindlich“, sagte Gabriel.
Die Immigrationsrate ist im Ruhrgebiet überdurchschnittlich hoch, es gibt Straßenzüge, die eher an Istanbul denn an eine deutsche Stadt erinnern. „Wir wollen den Menschen ihre Heimat zurückgeben“, sagt AfD-Mann Pretzell. Und Gabriel? „Die Menschen wollen, dass sie sich sicher aufgehoben fühlen, ein Gefühl von Heimat haben.“ Das sind in der Tat ungewöhnliche Töne für einen SPD-Vorsitzenden. Aber sie sollen dazu führen, dass nicht allzu viele Stammwähler zur AfD abwandern.

Dies hat Guido Reil kürzlich getan. Er hat im Essener Stadtrat die Seiten gewechselt, gehört nun der AfD an. Er war bundesweit bekannt geworden, als er sich Anfang des Jahres auf dem Höhepunkt der Asylkrise mit grundsätzlich asylkritischen Äußerungen hervortat. Die AfD wird ihm wohl einen sicheren Listenplatz gewähren. „Fünf von zehn Leuten, die beim letzten Mal die SPD gewählt haben, wollen ihr Kreuz im Frühjahr bei der AfD machen“, ist der Seitenwechsler sicher.
Peter Entinger

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