Stationen

Mittwoch, 12. Oktober 2016

Der IWF und die Hofberichterstattung in Deutschland

Der SPIEGEL (Nr. 40, Seite 76) wusste es schon, bevor die Meetings in Washington überhaupt begonnen hatten: Deutschland werde wegen seines Doppelüberschusses (öffentliche Haushalte und Leistungsbilanz) im Fokus der Kritik stehen, sei aber argumentativ gut gewappnet. Insbesondere könne Deutschland darauf verweisen, dass selbst John Maynard Keynes gefordert hatte, der Staat solle in guten Zeiten Überschüsse bilden und Schulden abbauen. Sogar dass Schäuble das mit einem Anflug von Süffisanz sagen werde, erfährt man von dem gut informierten und wohl instruierten Hauptstadtschreiberling schon im Vorfeld der Tagung.
Diese Art des vorauseilenden Gehorsams nennt man bei der Kriegsberichterstattung eingebetteten Journalismus. Der „Journalist“ schreibt, auch schon bevor überhaupt etwas passiert ist, was seine „Auftraggeber“ hören wollen und bekommt als Belohnung ein paar Insiderinformationen. Aber auch bei den übrigen „Qualitätsmedien“ ist es nicht viel besser. Zwar erfährt man, dass es Konflikte gab, aber das Handelsblatt macht daraus eine „Beziehungskrise“ zwischen IWF und Deutschland und laut Focus lässt Schäuble Christine Lagarde, die Exekutivdirektorin des IWF, „auflaufen“. In der FAZ darf Otmar Issing Deutschlands Politik gegen den IWF verteidigen, wobei der langjährige Chefvolkswirt von Deutscher Bundesbank und EZB jedoch in erster Linie zeigt, dass er die relevanten Zusammenhänge auch nach vielen Jahrzehnten der Beschäftigung damit noch nicht verstanden hat oder partout nicht verstehen will.
Was in Washington wirklich passiert ist, ist sensationell, aber das deutsche Publikum soll es nicht wissen. Dass die Chefin des IWF auf offener und öffentlicher Bühne und schon im Vorfeld der eigentliche Meetings Deutschland (zusammen mit Kanda und Korea) auffordert, mehr für die Konjunktur und die Binnennachfrage zu tun, ist extrem ungewöhnlich (hier nachzuhören). Dass sie später Schäubles Ankündigung, man werde 6 Milliarden für Steuersenkungen aufwenden (das sind weniger als 2 Promille des deutschen BIP), mit einem sarkastischen „phantastisch“ kommentierte, zeigt keine „Beziehungskrise“, sondern tiefe Frustration über den deutschen Starrsinn.
Und es ist auch völlig klar, dass hinter dieser überraschend undiplomatischen IWF-Haltung die wichtigsten Länder stehen, also vor allem die USA, aber vermutlich auch einige Europäer. Frankreich wird in seiner Kritik an der deutschen Haltung lauter (hier) und Italien ist ohnehin kurz vor dem Explodieren (hier). Nach meiner Einschätzung beginnt man in vielen Ländern angesichts immer weiter steigender deutscher Leistungsbilanzüberschüsse und weiterhin schwacher Binnenkonjunktur im „Musterland“ zu verstehen, dass die deutsche Haltung, wenn überhaupt, nur noch mit viel größerem Druck von außen modifiziert werden kann. Dass der Bundesfinanzminister sich trotz des deutschen Doppelüberschusses in Washington zu der Behauptung versteigt, Deutschland halte Europa zusammen (hier nachzuhören), wird in Paris und Rom wohl als sehr schlechter Witz verstanden.
Schäuble hat in einem Punkt allerdings vollkommen Recht. Er sagt in der gleichen Diskussion, die Menschen trauten den Medien nicht mehr, und er sagt das, als ob er entrüstet darüber sei. Er müsste nur ein wenig selbstkritisch sein, dann würde er sehen, dass gerade seine Politik von den deutschen Medien wie ein rohes Ei behandelt wird. Die meisten Berichterstatter aus Washington sind nicht einmal bereit, die Tatsache des deutschen Leistungsbilanzüberschusses zu erwähnen, geschweige denn, dass sie in der Lage oder bereit wären, daraus die zwingenden Konsequenzen zu ziehen. Warum sollten Menschen Medien trauen, die in einem so entscheidenden Punkt glatt und fast in ihrer Gesamtheit versagen?
Zu den üblichen Schutzbehauptungen der deutschen Politik und der deutschen Medien gehört, dass die deutsche Binnenkonjunktur Fahrt aufnehme, weil die Löhne in Deutschland inzwischen kräftig stiegen. Daran ist jedoch nichts richtig. Betrachtet man die Entwicklung der (nominalen) Löhne in den vergangenen Jahren und für das kommende Jahr, findet man folgendes Bild, das aus der Gemeinschaftsdiagnose der Institute stammt. Da einige Tarifverträge bis weit in das Jahr 2017 hineinreichen, ist die Schätzung für das kommende Jahr durchaus relevant, die für 2018 dagegen ist reine Phantasie.
Ganz im Gegensatz zu dem, was öffentlich geglaubt und verbreitet wird, steigen in Deutschland (bei „Vollbeschäftigung“, wie ja gerne hinzugefügt wird) die Löhne von Jahr zu Jahr nicht stärker, sondern schwächer. Die Tariflöhne pro Stunde sind das entscheidende Maß. Hier sinkt die Zuwachsrate von 3,0 Prozent in 2014 über 2,4 Prozent im vergangenen Jahr auf 2,1 in diesem Jahr. Auch für 2017 schätzen die Institute den Zuwachs nur auf 2,2 Prozent – bei dann sinkender Arbeitszeit.loehne-gdps
Woher in einem solchen Szenario die binnenwirtschaftliche Belebung kommen soll, ist nicht zu sehen. Die Reallöhne sind in diesem Jahr etwas stärker als vorher gestiegen, weil die Preise weniger stark gestiegen oder sogar gesunken sind. Für das nächste Jahr erwartet niemand, dass das noch einmal der Fall sein könnte. Auch die europäischen Nachbarn Deutschlands müssen immer klarer erkennen, dass in Deutschland nichts getan wird, um eine Wende herbeizuführen, die ihnen die Luft zum Atmen geben würde.
Warum das so ist, hat außerhalb Deutschlands inzwischen auch fast jeder verstanden. Da tritt Otmar Issing aus der Vergangenheit und sagt:
„…der Zusammenhang zwischen dem Saldo des öffentlichen Haushalts und der Leistungsbilanz ist alles andere als eindeutig.“
 Eine solche Aussage war früher vielleicht einmal hinnehmbar. Heute ist der Zusammenhang vollkommen eindeutig. Ich muss leider die Graphik noch einmal zeigen, die unsere Leser schon bis zum Überdruss kennengelernt haben. In einem Land wie Deutschland, wo die Privaten (private Haushalte und Unternehmen) systematisch sparen (also Netto-Sparer sind), kann der Staat nur dann Überschüsse machen oder seine laufenden Defizite reduzieren, wenn er dem Ausland die notwendige Gegenbuchung in Form von Netto-Verschuldung auf dem einen oder anderen Wege aufbürdet.

Finanzierungssalden Deutschland
Da in Deutschland niemand ernsthaft diskutiert, mit Hilfe von wirtschaftspolitischen Maßnahmen die privaten Haushalte und/oder die Unternehmen in eine Schuldner-Position zu zwingen, ist der Zusammenhang zwischen dem Saldo des Staates und der Leistungsbilanz absolut eindeutig: Jede staatliche Konsolidierung und jeder staatliche Überschuss lassen sich nur realisieren, wenn das Ausland eine entsprechend höhere Verschuldung akzeptiert. Deswegen, ich habe es vor kurzem erst deutlich gesagt (hier), gibt es die guten Zeiten nicht mehr, auf die alle so gerne verweisen, die Überschüsse des Staates verteidigen wollen.
Wer auf der deutschen Position beharrt, spaltet Europa ganz unmittelbar, weil die anderen Länder dem deutschen und europäischen Diktat, die staatlichen Haushalte zu konsolidieren, gar nicht folgen können, ohne unmittelbar ihre wirtschaftliche Lage zu verschlechtern und ihre Arbeitslosigkeit zu erhöhen. Auch sie sind nämlich nicht in der Lage, ihre privaten Haushalte und ihre Unternehmen in die Position des Schuldners zu zwingen. Wer, ob er die Zusammenhänge versteht oder nicht, die deutsche Position verteidigt, ist ein Spalter, kein Versöhner, mag er auch das Gegenteil behaupten.   Heiner Flassbeck

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